Frankenthal Kuschelgefühl und Hamstereffekt

Eine Vogelspinne krabbelt von Marius Mirceas Hand auf die des sechsjährigen Lukas Höllriegel.
Eine Vogelspinne krabbelt von Marius Mirceas Hand auf die des sechsjährigen Lukas Höllriegel.

Eine haarige Vogelspinne krabbelt einem cool grinsenden jungen Mann übers rechte Auge. Mit diesem Plakatbild hat eine Spinnen- und Insektenausstellung am Sonntag einige hundert Neugierige ins Dathenushaus gelockt.

Etwas irreführend heißt die für einen Tag in Frankenthal gastierende Wanderausstellung „Insectophobie“ – ein Begriff, der in der Fachsprache der Psychologie für die übersteigerte Angst vor Insekten steht. Auf seiner gleichlautenden Homepage wirbt der mittelfränkische Veranstalter Giovanno Neigert jedoch dafür, dass er mit der Schau ängstlichen Menschen helfen wolle, sich den oftmals zu Unrecht verkannten Tieren zu nähern. Die RHEINPFALZ machte die Probe aufs Exempel. Und siehe da: Eine Vogelspinne zu berühren, kann eine durchaus kuschelige Erfahrung sein. Weniger interessant für die Besucher sind Schaukästen mit auf Reißnägeln gespießten toten Schmetterlingen. Diese gibt es lebendig im Tropenhaus des Mannheimer Luisenparks. Faszinierend ist hingegen das Terrarium mit den argentinischen Schaben. Die wohlgenährten, schwarz glänzenden Exemplare in der Länge eines halben Ringfingers wären in der Küche der Albtraum einer jeden Hausfrau. Doch, so verrät beruhigend die Infotafel: Diese Tiere gehören zu den eher langsamen Schaben. Mut macht zudem der Vermerk: Ein sehr großer Vorteil sei, dass sich entlaufene Exemplare dieser Art nicht zur Plage entwickeln können. Der größte Publikumsmagnet sind die Vogelspinnen. Träge krabbeln sie durch die großen Glaskästen, darunter auch die mächtige Venezuela-Riesenvogelspinne. Sie ist gemeint, wenn Neigert in der Presseankündigung von der größten Vogelspinne der Welt spricht. Was wohl aber schon eher so gemeint dürfte, dass es sich um eine Vertreterin der größten Spezies handelt – und nicht um einen Weltrekord. Trotzdem verursacht diese Riesenspinne von der Größe einer ganzen Hand bei den Zuschauern gruselige Faszination. Dieser Schauder steigert sich beim Lesen der Infotafel noch. Theraphosa blondi, so ist neben dem wissenschaftlichen Namen es Tiers dort zu lesen, gehört zu den Bombardierspinnen und hat sehr aggressive Reizhaare. Was das Bombardieren konkret bedeutet, verrät eine andere Tafel: Zur Verteidigung schleudern manche Vogelspinnen mikroskopisch kleine Haare in die Luft, deren unangenehme Wirkung der von Brennnesseln ähneln soll. Ob sich nach dieser Information Mutige finden, die eine Vogelspinne anfassen möchten? „In der Ausstellung zeigen wir nur für den Menschen mindergiftige Spinnen“, sagt Eileen Neigert, die ihren Mann bei der Frankenthaler Ausstellung im Dathenushaus vertritt. „Wo ist hier der Streichelzoo?“, meldet sich dann doch die kleine Laura Engel aus Mörsch, die noch nie Spinnen berührt hat. Kurz bekommt die Sechsjährige Angst vor der eigenen Courage, lässt sich aber schließlich beherzt eine graue chilenische Vogelspinne in die Hände legen. „Echt pelzig“, staunt Laura und streichelt Grammostola porteri über den dicht behaarten Rücken. Ihre Tante schaut neugierig zu, anfassen würde sie das Tier um keinen Preis, schüttelt sie entschieden den Kopf. Auch Marcel Wagners Mutter scheut die Mutprobe und beobachtet leicht angespannt, wie ihr neunjähriger Filius die Vogelspinne vorsichtig berührt. „Die ist ja total weich“, meint Marcel. „Das ist der Hamstereffekt“, kommentiert Neigert. „Berührungsängste haben die meisten. Doch wer sich dann traut, merkt, dass es eine sehr angenehme Erfahrung ist“, sagt sie. Nur ungern trennt sich Marcel von seiner neuen Spinnen-Freundin und schmiedet bereits Pläne für ein neues Haustier: Würgeschlange oder Vogelspinne – darüber will er noch mal nachdenken. Kurz vor Ausstellungsschluss zieht eine Mutter ihre widerstrebende Tochter vor die Glaskästen. Maja Zakrajsek hat seit frühester Kindheit Angst vor Spinnen jeder Größe, was Psychologen als Arachnophobie bezeichnen. Studien zufolge leiden fünf bis zehn Prozent der Deutschen an dieser Furcht. Mit größtmöglichem Sicherheitsabstand mustert das 1,80 Meter große Mädchen die haarigen Exemplare. Mama Tamara beschließt, die Furcht ihrer Tochter spontan am Sonntagnachmittag mittels einfacher Konfrontationstherapie zu beheben. Sie geht allerdings mit gutem Beispiel voran. Als sie die Vogelspinne in die Hände nimmt, lässt sich auch die 15-Jährige auf diese Erfahrung ein und meint strahlend: „Die ist ja wirklich schön!“ Ob sie nun endgültig von ihrer Spinnenangst geheilt ist? „Ein bisschen schon“, sagt Maja schüchtern-abwartend. „Spinnen finde ich jetzt nicht mehr eklig.“

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