Frankenthal In kurzer Diensthose

In Frankenthal gibt es seit diesem Jahr eine Fahrradstreife. Die besteht aus zwei Beamten, die zusätzlich zu ihrem normalen Dienst auf dem Velo unterwegs sind – und es unter anderem mit Geisterfahrern auf zwei Rädern zu tun haben. Von Daniel Krauser

Der junge Herr ist offensichtlich Gymnasiast. Jedenfalls ist der junge Herr, so um die 16 Jahre alt, schwarze Hornbrille, auf Disput gebürstet – und will wissen, was er jetzt falsch gemacht hat. An der Stelle könnte Tobias Groh natürlich direkt werden. Und Sätze sagen wie: „Mann Gottes: Auf dem verdammt noch mal falschen Radweg in die verdammt noch mal falsche Richtung gefahren und dabei Himmelherrgott noch mal beinahe eine alte Frau umgesemmelt“, aber eines der Ziele der Fahrradstreife ist halt die Verkehrserziehung. Und deshalb bleibt Groh ruhig und betont sachlich. „Sie haben den Radweg in die falsche Richtung befahren“, sagt Groh. „Aha“, sagt der junge Mann. „Ja“, sagt Groh. Von hinten, aus Richtung Speyerer Tor, kommt schon wieder der nächste Kunde. Auf der falschen Seite. Das ist hier so eine Stelle, an der Mahlastraße in Frankenthal: gut befahrene Ausfallstraße mit einigen Einmündungen – und Radwegen auf beiden Seiten. Und damit bevorzugter Schauplatz eines der Klassiker nicht regelkonformen Radelns – und dessen Folgen. In Stenogrammform: Radfahrer fährt als „Geisterfahrer“ auf dem falschen Radweg, links statt rechts. Autofahrer will in die Hauptstraße einbiegen und guckt, einem Automatismus folgend, nur nach links, der Richtung, aus der Verkehr zu erwarten ist. Radfahrer landet auf der Motorhaube. Oder unterm Auto. Und vielleicht im Krankenhaus. Und die Mahlastraße ist überall: „Sicherheitsprobleme durch das regelwidrige Linksfahren“ bestehen „vor allem bei Radwegen“, so eine Studie der Unfallforschung der Versicherer aus dem laufenden Jahr. Die „Unfallraten waren für die linke Fahrtrichtung mehr als doppelt so hoch wie für die rechte Fahrtrichtung“, konstatiert die Untersuchung. Es sind Zusammenhänge wie dieser weswegen Tobias Groh und sein Kollege Sebastian Mehrhof bei der Frankenthaler Polizei zeitweise in kurzen Hosen Dienst tun dürfen, ohne dass ein Vorgesetzter missbilligend Brauen und Stimme hebt: Die beiden stellen das Personal für die Fahrradstreife, die man in Frankenthal in diesem Jahr eingeführt hat. Auch wegen der Statistik: Laut der Kennzahl, die mit einem bürokratischen Unwort „Unfallhäufungszahl“ genannt wird, gibt es in Frankenthal hochgerechnet pro 100.000 Einwohnern 227 Unfälle mit Fahrradfahrern. Was noch nicht mal der Spitzenwert in der Pfalz ist (siehe Kasten), allerdings deutlich über dem Landesdurchschnitt von rund 85 liegt. Und neben den Zwängen, die die Statistik so transportiert, spielt der Begriff der „Bürgernähe“ auch noch ein wenig ins Konzept. „Gibt stramme Waden!“, frotzelt ein Autofahrer, gesunde Solariumsbräune und gegelte Igelfrisur, im Vorüberfahren, Groh und Mehrhof grinsen. Groh nimmt gleich den nächsten Kunden in Empfang, einen Schwarzafrikaner auf der Sorte Fahrrad, die die Stadt Frankenthal oft an Asylbewerber ausgibt. „Das kostet normalerweise 20 Euro“, sagt Groh, der es bei einer Ermahnung belässt, der Mann nickt erleichtert und schiebt ab. „Das war jetzt ein Mittelloser“, sagt Groh, „da bringt das verkehrserzieherische Gespräch oft mehr als die Strafe“, ergänzt Mehrhof. Es sind neben dem Klassiker mit der falschen Fahrtrichtung die üblich verdächtigen Delikte, mit denen sich Groh und Mehrhof zu beschäftigen haben – die Sorte, die in jedem beliebigen Wochenend-Polizeibericht gut vertreten ist. Alkohol, klar, wer den sogenannten „Gefahrengrenzwert“ von 1,6 Promille auf dem Rad toppen will, der muss das wollen. Defekte oder rundweg nicht vorhandene Sicherheitsausrüstung am Rad, hängt auch damit zusammen, dass viele Räder heutzutage in Minimal-Konfiguration verkauft werden – und von der Beleuchtung bis zum Reflektor alles nachgerüstet werden muss. Und dann gibt es da noch eine Theorie, die, ganz salopp formuliert, lautet: Auf dem Fahrrad wird auch der bravste Mann gelegentlich zur Wildsau. Alexander Koch, Sachbereichsleiter in der Polizeiinspektion Frankenthal, drückt es ein wenig differenzierter aus: „Wenn sich ein Mensch aufs Fahrrad setzt, wird die Normenakzeptanz geringer.“ Was nach Kochs Meinung unter anderem damit zu tun hat, dass mit einem Fahrrad weniger an Wert bewegt wird als mit einer Limousine – und bei eventuellen Unfällen demzufolge weniger Schaden entsteht. Und ganz schlicht mit der Tatsache, dass für das Führen eines Fahrrads kein Führerschein vonnöten ist. Die These findet Siegfried Brockmann von der Berliner Unfallforschung der Versicherer nun allerdings etwas einseitig: „Eine mangelnde Regelakzeptanz bei Radfahrern gibt es schon – bei Autofahrern findet man sie aber auch.“ Und oft ist es eben der Regelbruch der einen, der den Regelbruch der anderen provoziert, Beispiel Zuparken von Radwegen, die den Radfahrer zum Ausweichen auf den Bürgersteig zwingt. 212 Knöllchen wegen Parkens auf dem Radweg sind in Frankenthal im Jahr 2014 ausgestellt worden – Tendenz leicht fallend. Kein Vergleich mit der Millionen-Metropole Berlin natürlich: Dort hat die „Initiative clevere Städte“ Anfang des Jahres sogar mit einem „Internationalen Falschparker-Tag für Radfahrer“ die Rücksichtslosigkeit mancher Autofahrer angeprangert. Was einiges mit dem Leidensdruck zu tun haben dürfte, der in der Hauptstadt herrscht: „Nach fünf Kilometern (auf dem Fahrrad, d. Red.) ist mein Frustrationspotenzial dermaßen ausgeschöpft, dass ich auch aggressiv werde“, sagt Brockmann, selbst häufiger Wechsler zwischen den verschiedenen Verkehrsarten. Geisterfahrten und angeblich oder tatsächlich fehlende Normakzeptanz sind natürlich nicht die einzigen Ursachen für die Häufung von Fahrradunfällen. Die Ballung verschiedener Verkehrsarten in urbanen Strukturen spielt für die Unfallhäufigkeit eine Rolle – und in Frankenthal wohnen „80 Prozent der Einwohner im inneren Kern“, meint Koch. Die mancherorts immer noch unzureichende Integration des Fahrrads in den Verkehrsraum spielt eine Rolle – sind viele deutsche Städte beim Wiederaufbau doch vor allem mit dem Fokus auf der „Autofahrerfreundlichkeit“ gestaltet worden, und urbane Grundraster nur schwer wieder zu entfernen. Der Trend in Berlin geht dabei laut Brockmann schon seit geraumer Zeit zur Schaffung von Radfahrstreifen auf den Fahrbahnen – wohl auch, weil die ins vorhandene Straßen- und Wegenetz vergleichsweise leicht zu integrieren sind. Und, höchst banal: Je häufiger Menschen radfahren, desto größer die Wahrscheinlichkeit, in einen Unfall verwickelt zu werden. Dass die Westpfalz statistisch gesehen vergleichsweise wenig Unfälle mit Radlern verzeichnet (siehe Kasten), ist da wohl vor allem dem Landschaftsprofil geschuldet: „Wir sind nicht so die Radlergegend“, sagt Wolfgang Denzer vom Polizeipräsidium Westpfalz, „da ist die Topographie bei uns etwas ungünstig.“ Bleibt die Erkenntnis, dass es auf deutschen Radwegen „ein erhebliches Problem mit Geisterfahrern“ gibt, so Brockmann – und das führt dann wieder zurück zum Vorderpfälzer Groh und dem Westpfälzer Mehrhof und ihrer Kontrolle an der Frankenthaler Mahlastraße. Und einer kleinen Verfolgungsjagd durch Frankenthals südliche Innenstadt, man kann sich hier über mangelnde Action wirklich nicht beschweren. Die Dame um die 60 hat die Halteaufforderung Grohs überhört – und fährt unbeirrt in die falsche Richtung weiter. Groh und Mehrhof stellen die Dame eine Straßenecke weiter, und müssen dann ein nach Eigenauskunft nicht untypisches Gespräch führen: Die Dame ist aus Osteuropa, versteht wenig Deutsch, und was da von Begriffen wie „Fahrtrichtung“ oder „Verwarnungsgeld“ hängen bleibt, sei dahingestellt. Hängen bleibt sicher, dass Groh und Mehrhof es auch diesmal bei einer Ermahnung belassen. Von wegen verkehrserzieherischem Ansatz, Herrgott noch mal.

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