Frankenthal Geschichte im Zeitraffer
150 Jahre Unternehmensgeschichte lässt das Schauspiel „Lehman Brothers“ Revue passieren. Das Interesse des Frankenthaler Theaterpublikums am unaufhaltsamen Aufstieg und katastrophalen Niedergang eines Finanzimperiums war überschaubar. Beim Gastspiel des a.gon Theaters München blieben am Dienstag im Congress-Forum zwei Drittel der Plätze frei.
Das Stück von Stefano Massini, das markante Ereignisse chronologisch aufschlüsselt, ist eine eindringliche Parabel aus dem Lehrbuch des amerikanischen Kapitalismus und führt dem Zuschauer vor Augen, welche desaströsen Folgen die übersteigerte Gier nach Reichtum und Macht haben kann. Dabei bewegt sich die Inszenierung von Johannes Pfeifer auf zwei Ebenen: Da wird eben noch eine Episode aus dem Leben der drei Lehman-Brüder erzählt, um dann übergangslos zu einer meist nur angedeuteten Spielszene zu wechseln – für die Schauspieler eine durchaus reizvolle Herausforderung. Das Bühnenbild von Peter Schultze ist äußerst reduziert: ein Kleiderständer und zwei multifunktionale Holzkisten. An der Rückwand bleibt Raum für Video-Projektionen in Schwarz-Weiß. Mal sind es historische Filmausschnitte, mal ist es die sich immer schneller drehende Freiheitsstatue – getreu der Philosophie von Henry Lehman, den es 1844 von einem Dorf bei Würzburg über den Großen Teich zog: „Aus der Nähe betrachtet ist Amerika eine riesige Spieluhr.“ In Szene gesetzt wird die schier unglaubliche Familiensaga der drei geschäftstüchtigen jüdischen Brüder Henry, Emanuel und Mayer, die in Montgomery (Alabama) einen kleinen Tuchladen eröffnen und schon bald in den deutlich gewinnträchtigeren Handel mit Baumwolle einsteigen. Der Sezessionskrieg zwischen den Nord- und Südstaaten macht ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung. Unterkriegen lassen sie sich noch lange nicht. Die Brüder wechseln die Geschäftsfelder, investieren in Eisenbahn und Rüstung, steigen Ende des 19. Jahrhunderts zu Giganten an der Wall Street auf. Mit ihrem Anspruch, dafür zu sorgen, dass der Staat funktioniert, versteigen sich die Lehman Brothers zu ungebremstem Größenwahn, schrecken selbst vor einer Kooperation mit dem Erzrivalen Goldman Sachs nicht zurück. Zwischenmenschliche Beziehungen spielen keine Rolle, es zählen kühles Kalkül und Gewinnoptimierung. Das mitunter recht temporeiche und mit subtilem Humor angereicherte Geschehen auf der Bühne lässt auch ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden – angefangen von der Erfindung der Blue Jeans über die Konstruktion der ersten Flugzeuge bis zur Verfilmung von „King Kong“ und der Ermordung John F. Kennedys. Bis zum hinlänglich bekannten Ende, der Insolvenz der Lehman-Bank und dem Kollaps der Finanzmärkte im Jahre 2008, wird den Zuschauern in den zweieinhalb Stunden einiges am Durchschauen wirtschaftlicher Zusammenhänge abverlangt. Dass der Spannungsfaden nicht abreißt, ist in erster Linie das Verdienst eines sehr wandlungsfähigen und professionell agierenden Schauspielensembles. Oliver Severin, Paul Kaiser, Nikola Norgauer, Konstantin Gerlach, Wolfgang Mondon und Sebastian Gerasch schlüpfen in rascher Folge in 30 verschiedene Rollen und treiben die Geschichte in Wechselrede voran.