Frankenthal Dunkle Zeiten

Karl Hofer: „Harlekin mit gefalteten Armen“, 1921.
Karl Hofer: »Harlekin mit gefalteten Armen«, 1921.

Zur großen Ausstellung „Stimme des Lichts“ mit ihren farbkräftigen Bildern von Sonja und Robert Delaunay, Paul Klee, Fernand Legér gibt es im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen nun die überwiegend in Schwarz-Weiß gehaltene Kabinettausstellung „Nachtschwärmer“. Hinter den kleinen Grafiken verbergen sich große Namen: Dix, Beckmann, Grosz, Munch, Corinth, Slevogt, Toulouse-Lautrec. Ein Besuch lohnt sich.

Die meisten dieser Arbeiten aus der 9000 Blätter umfassenden grafischen Sammlung waren noch gar nicht zu sehen oder sind seit Jahrzehnten nicht mehr ausgestellt worden. Sie sind von manchmal knallhartem Realismus. Das Licht ist hier melancholisch heruntergedimmt, die Großstadt wird erst in der Nacht lebendig, wenn die Varietés mit ihrer Halbwelt-Atmosphäre öffnen oder die Gäste in die privaten Salons strömen. Im Paris der Jahrhundertwende wurde Henri Toulouse-Lautrec zum Chronisten dieser Welt, er hielt in seinen Lithografien die Tänzerinnen und Sängerinnen fest, die in Varietés wie dem Moulin Rouge auftraten. Die Ausstellung zeigt nicht nur Porträts und Bühnenszenen der Chansonsängerin Yvette Guilbert und der Tänzerin Edmée Lescot, sondern auch zeitgenössische Fotos von ihnen. Im Kontrast zur Pariser Halbwelt stehen die bürgerlichen Salons und Cafés, in denen Edvard Munch, Max Slevogt und Lovis Corinth ihre Hauskonzerte und Tanzdarbietungen festgehalten haben. Das Pastell „Im Café“ von Xaver Fuhr führt uns ins Mannheim der beginnenden 1920er-Jahre. Die Unbeschwertheit abendlicher Unterhaltung ist deutlich getrübt, ein Weltkrieg liegt hinter den Menschen, eine Republik mit Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und politischer Gewalt vor ihnen. Die meisten Arbeiten stammen aus Berlin, das jetzt zur wichtigsten Kunstmetropole Deutschlands geworden ist. Ausstellungshöhepunkt ist die Mappe „Im Schatten“ von George Grosz, die auf neun Lithografien eine gesellschaftliche Analyse der Weimarer Republik mit ihren eklatanten sozialen Gegensätzen bietet. Ein wachsamer Schupo steht da zwischen ärmlichen Proletariern und selbstzufriedenen Spießbürgern. Während im Hintergrund die Fabrikschlote dampfen, begegnen im Vordergrund die betuchten Freier und die verarmten Kriegerwitwen, die sich mit nächtlicher Prostitution am Leben halten. Jahrmarkt und Zirkus werden als neue Motive entdeckt, Otto Dix porträtiert die gelenkige Akrobatin Lili Leitzel, Karl Hofer einen Harlekin, Erich Heckel einen Schlangenmenschen und der Ludwigshafener Maler Georg Lauer in bester Beckmann-Manier ein Artistenpaar. Max Beckmann im Original ist auch vertreten mit ein paar exquisiten Blättern, auch der Radierung „Vor dem Maskenball“. Mit verbundenen Augen sitzt der Künstler da in kraftvoller Körperlichkeit, aber räumlich arg bedrängt inmitten von Familie und Bekannten. Fasnacht, Zirkus und Jahrmarkt sind hier längst keine Orte harmloser Unterhaltung mehr, die dunklen Zeitläufe haben auch hier Spuren hinterlassen. Selbst ein Liebespaar von Carla Pohle, Mitglied der Münchner Neuen Secession und einzige Frau in der Ausstellung, steht verunsichert in gefahrvoll-nächtlicher Szenerie. Termine Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen bis 8. Juli, geöffnet Dienstag, Mittwoch, Freitag 11-18 Uhr, Donnerstag 11-20 Uhr, Samstag, Sonntag 10-18 Uhr.

George Grosz: „Im Schatten“, 1921.
George Grosz: »Im Schatten«, 1921.
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