Frankenthal Kopfüber in den Erfolg

In dem Tanzstück „Hieronymus B.“ werden die Visionen des spätmittelalterlichen Malers Hieronymus Bosch lebendig.
In dem Tanzstück »Hieronymus B.« werden die Visionen des spätmittelalterlichen Malers Hieronymus Bosch lebendig.

Opulente Gesamtkunstwerke zaubert die Niederländerin Nanine Linning: Mal verwandelt sie ihre Tänzer mit Designer-Kostümen in kuriose Wesen, mal zeigt sie den Menschen in seiner Nacktheit wie der spätmittelalterliche Maler Hieronymus Bosch. Mit ihrer Heidelberger Produktion „Hieronymus B.“ gastiert sie heute im Ludwigshafener Pfalzbau. Hier gestaltet sie künftig bei den Festspielen das Tanzprogramm.

Sie hat nie in einer Kompanie getanzt, nur in ihrer eigenen. Und die krasseste Rolle übernahm Nanine Linning gleich selbst: ertrinkend in einer Kloschüssel, der Körper von Krämpfen geschüttelt, während das Gesicht unter Wasser gefilmt wird. In „Bacon“ war das, ihrem Schlüsselwerk von 2005, in dem sie ihren Tänzern abverlangt, sich kopfüber von der Decke zu winden, sich Instinkten und Begierden hinzugeben, ja, sich zu entmenschlichen. Doch selbst im Abgründigen findet sie Schönheit. Den Willen, schöpferisch zu arbeiten, spürte die Niederländerin früh, so früh, dass sie mit 18 Jahren ihren Abschluss in Choreografie an der Rotterdam Dance Academy machte. Als Europas jüngste Haus-Choreografin wurde sie mit 24 beim Scapino Ballet in Rotterdam engagiert, wo sie Preise gewann und mit klaren Strukturen und spektakulärem Lichtdesign überzeugte. Bis sie 2000 ihre eigene Kompanie gründete und im Maler Bacon ihr Vorbild fand. Das Arbeiten im sterilen Ballettsaal hatte sie immer unbefriedigend gefunden, sie lud Graffiti-Künstler ein, die Wände zu besprühen, kochte mit ihren Tänzern im Studio. Tanz verband sie mit Multimedia, mit Fashion-Shows, einem Rockkonzert oder den Erkenntnissen von Neurowissenschaftlern, um die Emotionen der Zuschauer zu erforschen. Linning webt atmosphärische Texturen aus Bewegung, entführt mit avantgardistischen Kostümen in Fantasiewelten und umfängt die Zuschauer mit Gesamtkunstwerken. Sinnlich auf die Spitze getrieben ist das in dem Tanzstück „Khôra“ (2016), in dem die Tänzer Geschmacksexplosionen eines Food-Designers reichen und Sekt ausschenken, während sie als lebende Kronleuchter kopfüber von der Decke hängen. Mit ihrem Gespür fürs Publikum hat sie dem Theater Heidelberg ausverkaufte Vorstellungen beschert. Das Einsaugen des Betrachters in eine Fabelwelt gefällt Linning auch am Werk von Hieronymus Bosch, das jetzt im Pfalzbau zu sehen ist. Sie erweckt nicht nur die monströsen Wesen aus dem berühmten Gemälde „Garten der Lüste“ zum Leben, sondern lädt die Zuschauer auf Tuchfühlung ein: Jeweils die Hälfte des Publikums wimmelt abwechselnd auf der Bühne. Zugleich erzählt sie von Boschs Epoche im Übergang zur Renaissance und der Entdeckung der Freiheit. Die Kritiker jubelten, und das Stück avancierte zum Publikumsliebling, weshalb Linning es nun mit neuen Tänzern noch einmal einstudiert hat. Es ist ihr Abschiedsgeschenk. Die 40-Jährige verlässt zum Ende der Saison das Heidelberger Stadttheater. Von Heidelberg aus baut sie nun eine freie Kompanie auf, mit der sie touren will. Danach sehnte sie sich im Theater vergeblich: „Zwei Monate konzentriert zu proben und dann zwei Monate zu spielen, damit man an jeder Vorstellung weiter feilen kann.“ Und die Welt ruft: Die Niederländerin genießt international so viel Ansehen, dass sie von Ensembles eingeladen wird, demnächst von der Rambert Dance Company in London. Pfalzbau-Intendant Tilman Gersch gewann Linning für die nächsten zwei Jahre als Tanzkuratorin für die Festspiele. Zu ihren Plänen will sie noch nichts verraten. Ihre Vorliebe für Gesamtkunstwerke, die Mode, Film, Technik und Malerei verschmelzen, wird sich auch da niederschlagen. „Hieronymus B.“ bietet einen Vorgeschmack. Termine —„Hieronymus B.“ von Nanine Linning heute, 19.30 Uhr, im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen. Kartentelefon: 0621 5042558. —„Khôra“, „Bacon“ und „Dusk“ noch in dieser Saison am Stadttheater in Heidelberg. Termine im Internet unter www.theaterheidelberg.de.

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