Bad Dürkheim „Ich bin mit Lust Sisyphos“

Eine glücklichere Wahl wäre wohl schwer denkbar: Das Komponistenporträt der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz gilt diesmal Jörg Widmann, einem der spannendsten Musiker der Gegenwart. Ungewöhnlich vielseitig ist zudem das Schaffen des in Freiburg und in seiner Geburtsstadt München lebenden Musikers, der auch als Klarinettist und Dirigent gefeiert wird.

Herr Widmann, da drängt sich zuerst die Frage auf, wie sich Ihre abwechslungsreichen Aktivitäten zwischen Komponieren, Klarinette spielen und Dirigieren zeitlich bewältigen lassen.

Ich glaube, gerade aus der Vielfalt Energie zu beziehen. Als ausgesprochen erfrischend empfand ich beispielsweise während der Arbeit an meinem Ende Oktober in Paris uraufgeführten Violakonzert den gelegentlichen Wechsel zur Klarinette. Überraschend wirkt diese Vielseitigkeit freilich erst in der heutigen Ära der Spezialisten. Die gab es früher gar nicht, nur Musiker. Bach komponierte als Thomaskantor in Leipzig regelmäßig für die Gottesdienste, dirigierte und spielte Orgel. Sie knüpfen da also an ein historisches Berufsbild an ... … das mag zutreffen. Spezialistentum in der Musik, die Trennung zwischen dem im stillen Kämmerlein arbeitenden Tonschöpfer und dem auf den Podien der weiten Welt brillierenden Virtuosen, entspricht einer Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Sind Paganini und Liszt die Hauptschuldigen? Gehören aber Instrumental- und Vokalakrobatik nicht mit zum Musizieren? Bestimmt ja, und einige meiner Kompositionen bieten denn auch der spielerischen Bravour weitgehende Entfaltungsmöglichkeiten. Besonders die Etüden für Violine solo und „ad absurdum“ für Trompete und kleines Orchester, das ich für den phantastischen Virtuosen Sergei Nakariakov komponiert habe. Er wird das Stück am 5. Mai auch mit der Staatsphilharmonie aufführen. Virtuosität soll aber nicht von der musikalischen Substanz ablenken und das Ernste nicht in den Hintergrund geraten. Was gab bei Ihnen den Impuls zum Dirigieren, Ihrem dritten „Fach“? Auf Wunsch von Gérard Mortier habe ich 2009 die musikalische Leitung der Pariser Uraufführung von „Am Anfang“, meinem in Kooperation mit Anselm Kiefer entstandenen Musiktheater, übernommen. Das war mein Debüt als Dirigent. Was dirigieren Sie am liebsten? Grundsätzlich Stücke, zu denen ich etwas zu sagen habe. Besondere Affinität spüre ich zu Mozart, Mendelssohn, Schubert und auch Beethoven. Mit dem Irish Chamber Orchestra, bei dem ich Erster Gastdirigent bin und eine neue musikalische Heimat gefunden habe, ist ein Mendelssohn-CD-Zyklus in Vorbereitung. Ist Komponieren heute dank der herrschenden Ästhetik des Stilpluralismus leichter geworden als es zu Zeiten streng festgelegter Modelle war? Die Vorteile der Freiheit stehen selbstverständlich außer Frage, heute ist aber auch nicht alles unbedingt leichter. Während der seriellen Periode konnten sich die Komponisten auf einen verbindlichen Stilkanon verlassen. Und es gab damals auch etwas, wogegen man rebellieren konnte, wie es mein Lehrer Wolfgang Rihm und mit ihm eine ganze junge Komponistengeneration tat. Worin bestehen die Schwierigkeiten der Freiheit? Sie bedeutet auch, dass es für jedes Stück den Ton neu zu erfinden, die Setzung zu finden und sich dabei nicht zu wiederholen gilt. Die Gefahr des Scheiterns ist heute größer als während der seriellen Zeit. Ich halte es aber mit Samuel Becketts Ausspruch, er hoffe, beim nächsten Mal besser zu scheitern. Es geht um eine Sisyphos-Arbeit, und ich bin mit Lust Sisyphos. Die Künstler, die ich am meisten schätze, sind jene, die nicht stehen blieben: Picasso, Strawinsky oder Miles Davis, der für mich immer wichtig war. Termine —Mannheim, Christuskirche, heute; Widmann: „Ikarische Klänge“ für zehn Streicher —Mannheimer Meisterkonzert, 5. Mai; Widmann: „ad absurdum“, Konzert für Trompete und kleines Orchester, Solist Sergei Nakariakov —Neustadt, Saalbau, 12. Mai, und Ludwigshafen, Pfalzbau, 13. Mai; Philharmonisches Konzert; Widmann: „Armonica“ und Konzertouvertüre „Con brio“; Klarinettenkonzerte von Mozart und Weber, Solist Widmann —Ludwigshafen, Philharmonie, 15. Mai; Kammerkonzert mit Widmann; Musik von Widmann und Weber (Foto: Marco Borggreve)

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