Bad Dürkheim „Ein anderer Blick auf die Welt“

Im Mannheimer Nationaltheater läuft bis 27. März das zweite Bürgerbühnenfestival, auf dem deutsche und europäische Bühnen ihre Produktionen mit Laiendarstellern zeigen. Brisante Themen wie die NSU-Morde, die Weltsicht von Behinderten oder Probleme afrikanischer Fußballprofis kommen auf die Bühne. Der Mannheimer Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski spricht über das plötzliche Interesse an dieser Kunstform.

Herr Kosminski, „Auftritt Volk“ lautet das Festivalmotto, bei Schiller dürfen die Laien nur als Volk der Statisten auf die Bühne, auf der Bürgerbühne spielen sie auch die Hauptrollen. Ist das die Emanzipation des Laientheaters?

Spätestens seit Christoph Schlingensief, Alain Platel und Rimini Protokoll gibt es diese Kunstform. Neu daran ist, dass sich Bürgerbühnen in einigen Stadttheatern etablieren. Das ist keine Alternative zu Oper, Ballett und Schauspiel, sondern eine produktive Ergänzung. Die Darsteller, die auf der Bühne stehen, nennt Rimini Protokoll „Experten des Alltags“. In ihrem Stück „Qualitätskontrolle“, das beim Festival zu sehen ist, erzählen sie auf sensible, humorvolle Art die Geschichte einer Frau, die nach einem Badeunfall von den Schultern abwärts gelähmt ist und wie sie mit ihrem neuen Leben umgeht. Ein lebensbejahender Abend zum Thema Inklusion. Laientheater für Erwachsene war bislang eine Sache von Kulturvereinen, Mundartbühnen oder freien Theatergruppen. Woher das Interesse der Profis? Auf diese Weise findet man neue Themen und andere Beschreibungen unserer Wirklichkeit. Und dafür müssen sich meiner Meinung nach die Theater öffnen. Darüber hinaus geht es natürlich um kulturelle Bildung und Partizipation. Sie haben die Bürgerbühne eine neue Kunstform genannt. Was macht diese Kunstform aus? Authentizität und Expertentum und im besten Sinne dokumentarisches Theater. Warum ist Ihnen die professionelle Unterstützung der Laiendarsteller durch Regisseure und Bühnenbildner dabei so wichtig? Der künstlerische Prozess läuft umgekehrt. Erst steht das Thema und dann beginnt die Suche nach der adäquaten Darstellung. Das Regieteam entwickelt zum Beispiel ein Projekt zum Thema Einwanderung wie unsere Produktion „Hoffnung auf größeres Wohlbehagen“. Mannheimer mit Migrationshintergrund stehen auf der Bühne, erzählen ihre Lebensgeschichte und gleichzeitig die Lebensgeschichten von Deutschen, die im 19. Jahrhundert aus dem Odenwald nach Amerika ausgewandert sind. Ein kunstvoller und dokumentarischer Abend über den Verlust von Heimat. Sie sprachen von neuen Themen, die mit den Laiendarstellern auf die Bühne kommen, Können Sie da noch ein paar Beispiele nennen? Bei diesem deutsch-europäischen Theatertreffen wird es um den NSU-Anschlag in Köln und seine Folgen für das überwiegend von Türken bewohnte Viertel gehen, um afrikanische Fußballprofis, die als Arbeitsmigranten nach Europa gekommen sind, um jüdische Identität im heutigen Deutschland, um Inklusion und Schönheitsnormen von Männern und Frauen. Die Bürgerbühne ist hier eine Erweiterung und Ergänzung unserer Spielpläne, sie ermöglicht einen anderen Blick auf die Welt. Sie bietet die Chance, den gesellschaftlichen Wandel mitzugehen, genauso wie Bürgerbefragungen und Bürgerbeteiligungen. Meiner Meinung nach ist es notwendig, dass sich das Theater diesen Formen gelebter Demokratie öffnet. Wie kam das Festival zustande, wer hat die Produktionen ausgewählt, die nun in Mannheim zu sehen sind? Das Festival ist eine gemeinsame Initiative des Staatsschauspiels Dresden und des Nationaltheaters Mannheim und wird maßgeblich gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Weitere Partner sind das Badische Staatstheater Karlsruhe, das Deutsche Theater Berlin und das Theater Aalborg in Dänemark. Nach Dresden 2014 findet das Festival nun in Mannheim zum zweiten Mal statt. Die Inszenierungen wurden von einer sechsköpfigen Jury aus 100 europäischen Produktionen ausgewählt.

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