Bad Dürkheim Bad Dürkheim: Streit um Bau-Klotz in der Karl-Räder-Allee

Ein Jahr lang blockierte die Baustelle die halbe Fahrbahn in der Karl-Räder-Allee – und zeitweise beide Gehwege. Unser Foto ents
Ein Jahr lang blockierte die Baustelle die halbe Fahrbahn in der Karl-Räder-Allee – und zeitweise beide Gehwege. Unser Foto entstand Anfang März, inzwischen ist der Kran abgebaut, der Rohbau geschlossen.

Blickpunkt: Wo früher ein Ferienhäuschen stand, entsteht im Dürkheimer Stadtteil Seebach derzeit eine um ein Vielfaches größere „Residenz“ mit fünf Wohnungen und Garagenzeile. Der Bebauungsplan gibt das her, sagen die Baubehörden. Dennoch wird der „Klotz“ demnächst den Kreisrechtsausschuss beschäftigen.

Man hat die mahnenden Worte von Reinhard Steiniger noch im Ohr. „Ihr Leut’, wir müssen aufpassen, dass in Seebach nicht Klein-Manhattan entsteht“, gab der frühere Ortsvorsteher den Kollegen im Dürkheimer Stadtrat schon vor vier Jahren zu bedenken. Damals zeichnete sich ab, dass auf Privatgrundstücken im Gebiet Judenhut/Köppel in Nachfolge dort üblicher Einfamilienhäuser etwa durch Erbschaft oder Verkauf Bauvorhaben ganz anderen Kalibers entstehen könnten. Die Stadt reagierte erst mit Verspätung, der im November 2015 verstorbene Steiniger konnte sich durch die Veränderungssperre, die der Stadtrat im Juni vergangenen Jahres für das Gebiet erließ, nicht mehr bestätigt fühlen.

Früher nur ein Häuschen

Auch für Anwohner in der unteren Karl-Räder-Allee kam sie zu spät: Dort wird seit mittlerweile einem Jahr ein Mehrfamilienhaus mit fünf Eigentumswohnungen und Garagenzeile hochgezogen. Auf dem Grundstück stand früher ein anderthalbgeschossiges Häuschen von 60 Quadratmetern Grundfläche, schätzt ein Vorbesitzer. Die ursprünglichen Bauherren nutzten es als Feriendomizil. Nach mehreren Besitzerwechseln erwarb das Grundstück zuletzt ein Investor aus Ludwigshafen, der eine GmbH für Immobilien-Entwicklung mit Sitz im Dürkheimer Fronhofgebiet betreibt. Er lässt gerade die „Karl-Räder-Residenz“ errichten: Fünf Einheiten mit insgesamt 560 Quadratmetern Wohnfläche, zuzüglich Nebenflächen. Vier davon – das Penthouse will der Mann nach Aussage des Architekten wohl selbst beziehen – sind laut Homepage bereits verkauft. Die letzte, seit Monaten inseriert, droht zum Ladenhüter zu werden. Ihre 109 Quadratmeter (zum Preis von 385.000 Euro, gut 3500 pro Quadratmeter) mit Südost-Terrasse liegen im Erdgeschoss nach hinten gegen den Hang – und damit recht tief. Denn um den Baukörper auf fast volle Parzellenbreite zwischen die beiden Nachbargrundstücke zu quetschen, musste das frühere Geländeniveau senkrecht an der rückwärtigen Grundstücksgrenze hinunter um mindestens zehn Meter abgegraben werden, es könnten auch zwölf sein.

Widerspruch richtet sich gegen Stützmauern

Darin sieht der Anwalt der Nachbarn bergan einen eklatanten Verstoß: „Das natürlich vorhandene Gelände darf grundsätzlich nicht verändert werden“, zitiert er aus einem zwölfseitigen juristischen Merkblatt zum Bauordnungsrecht inklusive diverser wissenschaftlicher Nachweise auf entsprechende Quellen und Literatur. Der Haken: Der Dürkheimer Rechtsanwalt hat das Mandat erst seit Mai vergangenen Jahres. Genehmigt wurde das Bauvorhaben indes bereits im September 2016. Der Widerspruch, den der Jurist im Oktober eingelegt hat, richtet sich denn auch nicht mehr gegen das Gebäude an sich, sondern gegen die beiderseitigen Stützmauern zu den Nachbargrundstücken. Primär jedoch gegen das Kreisbauamt als Genehmigungsbehörde. Fakt ist: Mit einer sogenannten Grundflächenzahl (GRZ) von 0,31 und einer Geschossflächenzahl (GFZ) von 0,8 schöpfen die Baupläne die Grenzen, die der einige Jahrzehnte alte Bebauungsplans Judenhut/Köppel (0,4/0,8) setzt, nahezu komplett aus. Dass das Vorhaben die Vorgaben einhält, hatten sowohl das Stadtbauamt und der erste Anwalt der Nachbarn der RHEINPFALZ bereits vor zwei Jahren bestätigt. Der auswärtige Anwalt riet seinen Mandanten damals von einem Widerspruch ab. „Das war ein Fehler“, sagt das Ehepaar heute (es führt jetzt einen Rechtsstreit mit ihm).

Vier Etagen sind erlaubt

GFZ 0,8 bedeutet: Ein Gebäude darf zwei Vollgeschosse umfassen. Zusätzlich ein normal hohes Kellergeschoss, so lange es auf einer Seite (zum Beispiel rückwärtig) maximal 1,30 Meter aus dem Boden schaut. Und ein Staffelgeschoss als Penthouse, so lange es nur bis zu zwei Drittel der Obergeschossfläche einnimmt. De facto sind dies vier Etagen. Der mittlerweile geschlossene Rohbau ist auch nicht der einzige dieser Größenordnung in der näheren Umgebung, wenn auch das Gros der Gebäude rund ums Köppel „normale“ Einfamilienhäuser sind. Darauf, dass der Komplex an den tiefen Flanken und hinten weit in den Hang hinein nicht unproblematisch umzusetzen sei, hatten die Nachbarn die Baubehörden bei Stadt und Landkreis schon ab Juni 2016 aufmerksam gemacht. Im Kreisbauamt habe sie mehrfach angerufen, sagt die Dürkheimerin. Doch weder der Amtsleiter noch die zuständige Sachbearbeiterin hatten sich bis zum Pressegespräch neulich an der Großbaustelle persönlich ein Bild verschafft. Bei mehr als 300 Bauanträgen im Jahr sei das nicht zu leisten, so die Begründung.

30 Tonnen Eisen versenkt

Und so kam erstmals (Gegenteiliges konnte in dem Gespräch niemand sagen) im Juni 2017 ein Mitarbeiter des Kreisbauamts vorbei. Weil diesmal die rückwärtige Nachbarin angerufen hatte in der Sorge, ihr Grundstück könnte etwa bei Dauerregen in die zehn Meter tiefe Schlucht abrutschen. Dies konnte der Mann angesichts der das Erdreich stützenden L-Steine offenbar ausschließen – aber bei der Gelegenheit wurde man im Kreishaus gewahr, dass für die seitlichen Stützmauern überhaupt keine Baugenehmigung vorlag. Die Arbeiten an den Mauern, die in der Branche als „Berliner Verbau“ bekannt, hatten vor genau einem Jahr begonnen. Dazu wurden mit einem Spezialbohrer laut den Nachbarn etwa 30 Tonnen Eisen in den als felsig bekannten Untergrund getrieben – unter „irrsinnigem Lärm“ von 80 bis 90, in der Spitze 110 Dezibel, wie auf Videos festgehalten ist. „Die dreieinhalb Wochen waren für uns die Hölle. In den Schränken klirrten die Gläser, auf dem Esstisch wackelten die Teller, im Untergeschoss dröhnte der Boden, wenn der Bohrer in den Fels stieß“, beschreibt die Nachbarin. An deren Grenze entlang allein ein Dutzend Eisenträger versenkt wurden, um sie mit Betonteilen zu verbinden und so die Baugrube zu sichern.

Widerspruch gegen genehmigte Mauern

In den ursprünglichen Bauplänen war von dem Berliner Verbau keine Rede. Weil eine solche Baugrubensicherung keiner Genehmigung bedarf, wenn sie später wieder entfernt wird. Dazu schrieb der Kreis an den (neuen) Anwalt der Nachbarn im September, dass das unbebaute Gelände nach Baufertigstellung „zum Teil wieder aufgeschüttet und modelliert wird. Die Stützmauern dienten zunächst lediglich der Bausicherung. Da diese nun dauerhaft erhalten bleiben sollen“, musste der Investor nachträglich einen Bauantrag dafür stellen. Der wurde im Oktober genehmigt – und dagegen hat der Anwalt nun Widerspruch eingelegt. Damit wird sich dann der Kreisrechtsausschuss befassen. „Das hätten die merken müssen!“, sagt der Anwalt in Richtung Stadt- und Kreisbauamt. Dass nämlich von vornherein klar gewesen sei, dass bei einem Klotz dieser Dimension die Stützmauern auf Dauer im Boden verankert bleiben müssen. Weil es an den Seiten gar keine Möglichkeit gibt, ausreichend aufzuschütten oder den Baukörper anderweitig abzusichern. Ein Architekt weiß das. Wenn also nicht gleich Bauantrag gestellt wurde, legt das den Gedanken nahe, etwas sollte verschleiert werden. Den Bauherren dazu befragen konnten wir nicht: Er wollte nicht mit uns reden.

Es geht um Genugtuung

„Wir sind eine Baugenehmigungs-, keine Bauverhinderungsbehörde“, machte der Amtsleiter die grundsätzliche Einstellung der Behörde deutlich. Vom Grundsatz her okay – und womöglich hätte es auch keinen Grund gegeben, die Erlaubnis für die Stützmauern zu verweigern. Zumal eine Baugenehmigung grundsätzlich „unbeschadet der Rechte Dritter“ erteilt wird. Dass der Bauherr einen bis zu 1,50 Meter breiten Streifen auf dem Nachbargrundstück in Anspruch nehmen musste, um seine Mauer zu errichten, sei also zivilrechtlich zu regeln. Die Eheleute hatten in einem Privatvertrag eingewilligt in der Hoffnung, dem Berliner Verbau entgehen zu können. Doch der Polier weigerte sich, ohne eine solche Abstützung zu arbeiten. Wegen der vereinbarten Mietzahlungen – der Bauherr nutzt das Nachbargelände bis heute – trafen sich neulich schon beide Seiten vor Gericht ... Am Ende steht wohl ein Hornberger Schießen. Denn mit Blick auf die unverkaufte Wohnung drücken die Nachbarn die Daumen, dass der Bau fertiggestellt wird und nicht als Ruine endet. Sie können ihn weder rückgängig machen noch materiell etwas herausschlagen, etwa Regress. Für sie geht es rein um die Genugtuung, falls die Instanzen am Ende ihre Sicht der Dinge bestätigt: Dass das Gebäude an dieser Stelle in dieser Dimension nicht hätte entstehen dürfen. Indiz am Rande: Eine der fünf Garagen ist eindeutig schmäler – weil wohl nicht mehr ausreichend Platz war. Dies alles will der Anwalt der Eheleute je nach dem Ergebnis vor dem Kreisrechtsausschuss gegebenenfalls auch vor dem Verwaltungsgericht klären lassen. Und eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Kreisbauamt stünde ebenfalls noch im Raum.

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