Ludwigshafen Sportpsychologe zum Eulen-Spiel: „Es ist leichter, wenn andere an einen glauben“

…sondern nach der Partie gegen den HC Erlangen morgen ausgelassen den Klassenverbleib bejubeln können.
…sondern nach der Partie gegen den HC Erlangen morgen ausgelassen den Klassenverbleib bejubeln können.

Interview: 60 Minuten entscheiden morgen über die sportliche Zukunft der Eulen Ludwigshafen. Gewinnen die Eulen gegen den HC Erlangen, dann bleiben sie in der Handball-Bundesliga (15 Uhr, Friedrich-Ebert-Halle). Was geht in den Köpfen der Spieler vor? Wie kann Trainer Ben Matschke im Vorfeld auf seine Mannschaft einwirken? Ein Gespräch mit dem Sportpsychologen Werner Mickler über Stressmomente und die Rolle des Publikums.

Herr Mickler, was geht im Kopf eines Spielers vor so einem wichtigen, weil alles entscheidenden Spiel vor?

Es kommt darauf an, ob ein Spieler schon einmal mit so einer Situation umgegangen ist oder ob ein Spieler unbedarft in so ein Spiel geht, weil er so eine Situation noch nicht erlebt hat. Und der dritte kann sich da total verrückt machen, weil vielleicht viel für ihn vom Ausgang der Partie abhängt. Also: Hat er schon einen Vertrag für die kommende Saison? Einige Spieler bei den Eulen Ludwigshafen haben noch keinen Vertrag für die neue Saison, weil es davon abhängt, ob der Verein den Klassenverbleib schafft. Ein junger Mensch spielt damit um seine sportliche Zukunft. Es kann sein, dass im Spiel so ein Gedanke reinkommt. Ich hoffe es nicht. Denn das ist wie in einer Prüfung. Wenn man die ganze Zeit darüber nachdenkt, ob man durchfällt, dann fällt man durch. Denn dann konzentriert man sich nicht mehr auf seine Aufgabe, nämlich auf das, was man tun muss, um erfolgreich zu sein. Das ist der eine Punkt. Der andere ist, dass die Spieler lernen müssen, vor der Partie diese Gedanken komplett auszublenden und sich nur auf diese spezielle Aufgaben konzentrieren, so wie sie sich in der Prüfung nur auf ihre Aufgaben konzentrieren. Diese Aufgaben müssen sie Schritt für Schritt abarbeiten, denn nur das können sie beeinflussen. Die Spieler können weder die Schiedsrichterentscheidung beeinflussen, noch können sie den Spielstand in der anderen Halle beeinflussen. Wie kann der Trainer im Vorfeld auf die Spieler einwirken? Die Mannschaft steht derzeit auf einem Abstiegsplatz und hat im Grunde nichts zu verlieren. Wenn jetzt Schluss wäre, bliebe sie auf einem Abstiegsplatz. Also kann ich als Trainer deutlich machen, dass ich in so einer Situation eine ganze Menge gewinnen kann, auch wenn ich von anderen abhängig bin. Ein wichtiger Punkt dabei ist: Wenn wir unseren Job und unsere Aufgabe sauber erledigen, dann haben wir unseren Teil dazu beigetragen. Wenn jetzt die anderen Ergebnisse dazu beitragen, dann ist das klasse. Wenn es aber auf den anderen Spielfeldern anders laufen sollte, dann braucht sich die Mannschaft nichts vorzuwerfen. Dann hat sie alles versucht und kann es auch nicht mehr ändern. Problematisch wird es nur, wenn die anderen sozusagen für uns spielen, aber wir selber gar nicht in der Lage sind, unseren Teil zu bringen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren, was wir tun müssen, um erfolgreich spielen zu können. Wie kann der Trainer den Druck von den Spielern nehmen, denn jeder weiß doch, was auf dem Spiel steht. Indem er sich im Training sehr gut auf den Gegner vorbereitet. Diese Analysen werden im Handball ja immer gemacht. Da wird genau herausgearbeitet, was sind die Stärken und was die Schwächen des Gegners. Denn mit dieser Analyse weiß meine Mannschaft genau, was sie als Team tun muss, was sie an Stärke in das Spiel hineinbringen muss, um diese Aufgabe erfolgreich zu lösen. Das heißt also, vor dem Spiel bewusst die Stärken in den Vordergrund stellen und das, was wir in der Saison schon an Stärken gezeigt haben, zu betonen, damit ich als Trainer nichts Unmögliches von den Spielern verlange. Ich sollte als Trainer deutlich machen, dass die Spieler diese Aufgabe bewältigen können, dass sie das schon im Training gezeigt und mehrmals wiederholt haben, aber auch schon während der Saison bewiesen haben. Und deswegen gehen wir als Mannschaft gut vorbereitet in dieses Spiel. Eulen-Trainer Ben Matschke übt immer wieder im Training Drucksituationen, setzt seine Spieler bewusst Stresssituationen aus. Kann man solche Abläufe überhaupt automatisieren? Jeder Spieler ist individuell und reagiert doch anders? Ich kann zumindest den Leuten Übungsformen anbieten, wo sie lernen, ihre psychologischen Techniken, die sie sich erarbeitet haben, auch umzusetzen. Was etwas schwierig ist, ist, dass ich als Trainer nie den Druck erzeugen kann, wie er im Spiel ist. Aber was wichtig ist, ist, dass ich bestimmte Techniken schon einmal unter solchen Drucksituationen getestet habe und sie letztendlich auch funktioniert haben. Daher steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch im entscheidenden Spiel funktionieren werden. Aber erst einmal muss ich solche Techniken haben und sie für mich auch selber erarbeitet haben. Das muss jeder Spieler für sich individuell tun. Dann muss ich schauen, ob es letztlich auch in den Stresssituationen klappt. Woran erkennt ein Trainer denn während des Spiels, ob der Akteur dem Druck gewachsen ist? Der Trainer erkennt schnell, ob der Spieler seine normale Leistung abrufen kann. Wenn der Trainer merkt, dass der Spieler nicht seine gewohnte Leistung abrufen kann, ihm einfache Abspielfehler passieren oder er sich nicht auf seine Aufgabe konzentrieren kann, dann ist das ein Hinweis, dass ich als Trainer eventuell reagieren muss. Also den Spieler aus dem Spiel nehmen? Ja, zum Beispiel. Das muss unter Umständen aber nicht lange sein. Vielleicht braucht der Spieler nur eine kurze Ruhephase oder einen Moment, um vom Kopf her umzuschalten und dann wieder anzugreifen. Wie wichtig ist in so einem Spiel die Heimkulisse? Das kann eine wichtige Rolle spielen. Da kann der Funke überspringen. Wenn es richtig gut läuft und die Zuschauer hinter einem stehen, dann kann das einen Spieler dazu führen, noch einmal ein bis zwei Prozent herauszuholen, weil er eben die Unterstützung spürt. Es gibt da einen einfachen Satz, den man da sagen kann: Es ist leichter, an sich selbst zu glauben, wenn andere an einen glauben. Wenn man das von den Zuschauern her spürt, dann kann das ein super Wechselspiel werden. Nehmen die Spieler überhaupt die Atmosphäre wahr, wenn Sie so unter Spannung stehen? Sie nehmen es nicht hauptsächlich wahr, aber sie nehmen es mit Sicherheit nebenbei wahr. Wenn sie einen Tempogegenstoß erfolgreich abschließen oder den entscheidenden Siebenmeter verwandeln und die ganze Halle jubelt, dann kriegen sie das schon mit. Das pusht dann natürlich ungemein. Das ist dann eine Welle, auf der man reiten kann. Würden Sie aus psychologischer Sicht, den Spielstand aus der Halle in Lemgo einblenden oder den Spielern in irgendeiner Form mitteilen? Ich würde ihn vollkommen ausblenden. Was hilft mir das? Es geht ja erst einmal darum, dass wir das Spiel gewinnen. Also wäre es doch sinnvoll, nur dieses Spiel, was wir beeinflussen können, in den Vordergrund zu bringen. Hinterher wird doch abgerechnet. Da gibt es ja genügend Beispiele. Erinnern Sie sich nur an den FC Schalke 04. Das Spiel in Hamburg lief noch, in Schalke war es schon abgepfiffen. Die Bayern zirkeln noch den Freistoß rein und sind Meister. Das sind Sachen, die können sie nicht mehr beeinflussen. Das, was sie beeinflussen können, ist, dass sie erfolgreich sind. Dann schauen wir auf die anderen Plätze, denn von denen sind wir ja abhängig. Aber wir haben unseren Job erfüllt. Das ist auch wichtig für die Zuschauer. Sie bekommen mit, dass die Mannschaft versucht hat, alles zu geben, und eventuell auch erfolgreich war. Und dann sieht man, ob es gereicht hat oder nicht.

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