Speyer Soziales Gewissen in der Zwickmühle

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Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge brauchen Unterkünfte und bezahlbaren Wohnraum. Das ist seit Monaten bekannt. Manche Speyerer befürchten, die eigenen oder gemieteten vier Wände mit ihnen teilen zu müssen oder gar enteignet zu werden. „Diese Angst ist unbegründet“, sagt Rechtsanwalt Michael Kuhnlein.

„Bevor es bei uns zu Enteignungen kommen könnte, müssten zunächst viele ganz hohe rechtliche Hürden überwunden werden“, sagt Kuhnlein, der den Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümerverein Speyer juristisch betreut. Es bestehe keinerlei Risiko, dass in bestehende Rechte von Mietern und Eigentümern eingegriffen werde. Moralisch bewerte er aber manches anders, sagt Kuhnlein im Hinblick auf dringend benötigten Wohnraum. Er weist auf lange leerstehende Häuser und Wohnungen auch in Speyer hin, die zum Bezug freigegeben werden könnten. In dieser Beziehung macht der Jurist auch nicht vor Mietern Halt: „In Speyer suchen zahllose junge Familien nach ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum“, hat er in einem Schreiben an die Speyererin Gerdi Geng appelliert, ihre 110 Quadratmeter große Mietwohnung am Rande der Innenstadt gegen ein kleineres Objekt einzutauschen. Die 72-Jährige ist entsetzt. Vor 29 Jahren sei sie – damals noch mit ihren drei Kindern in die Vier-Zimmer-Wohnung – in Nachbarschaft zu ihrem Arbeitsplatz gezogen, erzählt sie. Auf eigene Kosten habe sie die Zimmer „bewohnbar gemacht“ und sich und ihrer Familie im Laufe der Zeit ein Schmuckstück geschaffen. Zugegebenermaßen zahle sie eine geringe Miete, die ihre Vermieter nun mit Hilfe Kuhnleins um rund 50 Euro im Monat erhöht hätten. Auch darauf sei sie trotz kleiner Rente eingegangen, sagt Geng. „Hier ist doch mein Zuhause“, erklärt sie. Die Vermieter lebten mittlerweile in einem Speyerer Seniorenheim, berichtet Kuhnlein von hohen monatlichen Ausgaben seiner Mandanten. Auch nach der Erhöhung liege Gengs Miete weit unter der ortsüblichen, sagt er. Er habe der Mieterin nicht gekündigt, aber an ihr soziales Gewissen appelliert, erläutert der Rechtsanwalt. „Dazu stehe ich.“ Zahlreiche Eigentümer in Speyer und Umland hätten in den vergangenen Monaten Wohnraum an Stadt und Gemeinden als Quartiere für Asylbewerber abgegeben, berichtet Kuhnlein. Auch Mieter hätten schon Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Stadt und Gemeinden zahlten lediglich ortsübliche Mieten und setzten Gebäude und Wohnungen bei Bedarf instand. „Eine goldene Nase kann sich damit niemand verdienen“, so Kuhnleins Überzeugung. Auch wenn ihr keine Kündigung vorliege, werde sie ihre Wohnung verlassen, sagt Gerdi Geng. „Ich halte den täglichen Druck von allen Seiten nicht aus.“ Gartennutzung sei ihr inzwischen verwehrt, das Verhältnis mit den Vermietern zerrüttet. „Ich habe kein schlechtes Gewissen und lasse mir auch von niemandem eines einreden“, sagt die Mieterin. Zeit ihres Lebens habe sie sich sozial engagiert, immer pünktlich ihre Miete gezahlt und in Haus und Beruf für gutes Miteinander gesorgt, betont sie. Dankbarkeit erwarte sie nicht. „Aber etwas mehr Verständnis für meine Lage.“ Gerdi Gengs Enttäuschung sitzt tief ... (kya)

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