Kreis Germersheim Schaidt Innovations: Sozialplan kommt vielen unsozial vor

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Heute werden die von der Entlassungswelle Betroffenen rund 240 Mitarbeiter von Schaidt Innovations über die Auffanggesellschaft informiert. Die Belegschaft selbst steuert zu dieser Gesellschaft rund 8,7 Millionen Euro bei – den Rest der rund 50 Millionen Euro an Abfindungen, mit denen sie für fünf Jahren den Neubeginn wagten.

Dass sie selbst oder etwa die Hälfte ihrer Kollegen ihren Arbeitsplatz verlieren – damit können die meisten Mitarbeiter von Schaidt Innovations offenbar umgehen. Vor fünf Jahren wäre nämlich beinahe schon einmal Schluss gewesen. Harman Becker wollte das Werk schließen. Aber die Belegschaft entschied nach langem Kampf unter Führung der IG Metall anders: Die Mitarbeiter warfen ihre Abfindungen – rund 50 Millionen Euro – in einen Topf und machten als Schaidt Innovations weiter. Jetzt sind noch 8,7 Millionen Euro übrig. Das Geld fließt in die Finanzierung der Auffanggesellschaft ein, so gestern der 1. Bevollmächtigte der IG Metall, Bezirk Neustadt, Ralf Köhler. „Der Versuch war auf jeden Fall gut“, sagte gestern Nachmittag ein 35-Jähriger: „Ich würde es wieder so machen.“ Eine Kollegin stimmt ihm zu: „Die Entscheidung von damals war richtig. Wir konnten fünf Jahre hier weiterarbeiten und haben in der Zeit gutes Geld verdient.“ – Eine Rechnung, die auch der IG-Metall-Bevollmächtigte Köhler aufmacht. Selbst wer die maximale Abfindung von 100.000 Euro brutto (etwa 65.000 Euro netto) bekommen hätte, steht nach fünf Jahren Arbeit plus ein Jahr Auffanggesellschaft deutlich besser da. Unzufrieden waren einige Gesprächspartner der RHEINPFALZ mit dem Informationsfluss. Am Dienstag wurden offenbar die Mitarbeiter per E-Mail informiert, dass Schreiben mit dem Angebot „Auffanggesellschaft“ durch Boten am Mittwoch ausgeliefert werden sollen. Aber am gestrigen Donnerstag hatten einige das Schreiben wohl noch nicht bekommen, obwohl sie laut Auskunft ihrer Vorgesetzten zu den Betroffenen gehören. Für heftige Diskussionen sorgt aber das Auswahlverfahren. „Es hieß, es wurde ein Sozialplan aufgestellt, nach dem die Auswahl getroffen wurde. Der kann aber nicht ganz schlüssig sein. Ein Vater, der drei Kinder hat, muss gehen, in der Gegenschicht darf eine junge, ledige Frau bleiben.“ Auch auf mehrfache Nachfragen habe der Betriebsrat keine Informationen über das zugrunde gelegte Punktesystem herausgerückt, lautet ein anderer Vorwurf. Manche schimpfen auch. „Eine Riesenschweinerei“, sagt ein Mann, der seit 27 Jahren im Werk arbeitet und jetzt gehen soll. Warum es ihn trifft, das weiß er nicht. IG-Metall-Bevollmächtigter Köhler wirbt hier um Verständnis: die Grundlagen der Sozialauswahl seien in einem „sehr ausführlichen, langen“ und – wie er eingesteht – „nicht immer optimalen Prozess“ erarbeitet worden. Für die Kriterien „Alter“, „Betriebszugehörigkeit“, „Unterhaltspflichten“ und „Schwerbehinderung“ seien Punkte vergeben worden. Dann wurden Gruppen von miteinander vergleichbaren Beschäftigten gebildet, zum Beispiel die Angelernten in der Produktion oder die Mitarbeiter in der Planung und Steuerung. Schließlich muss nach der Massenentlassung der Betrieb noch funktionsfähig sein. Innerhalb der Gruppen müssen dann jene ausscheiden, die die niedrigeren Punktzahlen haben. „Ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagt eine 59-Jährige. Sie hat 39 Jahre in Schaidt gearbeitet, ist also von Anfang an dabei. „Vielleicht waren wir zu teuer“, überlegt sie. Ihrer 100.000-Euro-Abfindung trauere sie nicht nach. Sie habe gerne gekämpft – und zwar für die Jungen, vor allem für die jungen Frauen. Denn denen habe Harman beziehungsweise Schaidt Innovations flexible Arbeitsplätze geboten, wie es in der Region kaum welche gebe. Heute will die Frau um 13 Uhr die Informationsveranstaltung zur Auffanggesellschaft besuchen. Danach wird sie entscheiden, ob sie weitermacht oder nach fast vier Jahrzehnten eine Kündigung vorzieht. Geschäftsführung und Betriebsrat ließen gestern Nachmittag ausrichten, dass sie für die RHEINPFALZ erst in der kommenden Woche zu sprechen sind. |lap

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