Bad Dürkheim Die Hand an der Liege

In der Urlaubszeit schlägt die Stunde der deutschen Frühaufsteher, die die Liegestühle am Hotelpool mit ihren Handtüchern reservieren. Sehr zum Missfallen anderer Gäste. Ein Gespräch mit der Sozialpsychologin Andrea Abele-Brehm über markierte Reviere, verinnerlichte Regeln und die Rettung der Völkerfreundschaft. Von Martin Schmitt

Frau Abele-Brehm, uns Deutschen könnten im Urlaub kriegerische Auseinandersetzungen bevorstehen: Britische Medien warnen  bereits vor der teutonischen „Handtuch-Brigade“, die im ersten Büchsenlicht loszieht und im Hotel oder am Strand alle Liegen besetzt. Sind wir tatsächlich die Aggressoren am Pool?

So überspitzt würde ich es nicht ausdrücken wollen. Nüchtern betrachtet, zeigt sich hier erstens ein typisches Territorialverhalten, ein Ergebnis der Evolution: Man markiert sein Revier. Einfach aus dem Wunsch heraus, einen festen Platz zu haben, den man sich selbst ausgesucht hat. Die Handtücher werden ja häufig nicht wahllos hingelegt, sondern an bevorzugte Stellen. Und zweitens? Und zweitens wollen offenbar in Urlaubsanlagen, die sehr voll sind, viele Menschen sicherstellen, dass sie auch wirklich ihren Platz an der Sonne – oder im Schatten – bekommen. Was im Prinzip auch legitim ist. Gleichwohl wirkt das strategische Vorgehen – frühmorgens den Wecker stellen,  schnell raus, das Handtuch werfen und danach erst mal gemütlich frühstücken –  etwas übertrieben. Das ist es auch. Aus Sicht der Sozialpsychologie hat dieses Verhalten viel mit dem Wunsch, ja dem Bedürfnis nach Kontrolle zu tun. Man will unbedingt einen guten Platz und die Kontrolle darüber, dass man diesen auch bekommt. Ist das ein typisch deutsches Phänomen, wie  uns die Briten vorwerfen? Ich würde sagen, dass dieses Verhalten bei uns Deutschen möglicherweise besonders ausgeprägt ist. Auch Angehörige anderer Nationen reservieren Liegestühle. Nur vielleicht nicht so taktisch genau geplant. Das hat sicher auch mit dem Nationalcharakter zu tun, den man uns nachsagt, also dass man ordentlich ist, dass man Dinge genau regeln will. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Es geht hier um eine Regel. Wie meinen Sie das? Sehen Sie, oft dienen als Reviermarkierung nicht persönliche Gegenstände, sondern anonyme Handtücher vom Hotel. Im Prinzip könnte jetzt jeder sagen: Da liegt ein Handtuch vom Hotel, das lege ich jetzt weg und okkupiere die Liege selbst…... was rein rechtlich gesehen auch erlaubt ist ... Natürlich, rein rechtlich ist die Handtuchreservierung ungültig, sofern der Besitzer nicht gerade badet und gleich wieder kommt. Aber auch wenn die Liege einen halben Tag nicht benutzt wird, ist es offensichtlich so, dass Menschen die Reservierung akzeptieren. Selbst bei einer anonymen Reviermarkierung wie einem Hotelhandtuch. Da gibt es viele Untersuchungen dazu. Die Regel dahinter heißt: Wenn die Liege besetzt ist, dann nehme ich sie nicht. Aus Angst, dass dann Sanktionen folgen? Ein Streit vielleicht? Prügel am Pool, Senge am Strand? Das spielt da mit hinein. Aber nicht nur. In der Psychologie nennen wir das eine Form des sozialen Einflusses. Man hat irgendwann gelernt, dass man etwas nicht nimmt, das reserviert ist. Das gehört jemand anderem, daran hält man sich. Auch wenn derjenige im Grunde kein persönliches Anrecht auf diese Liege hat. In gewisser Weise ist das schon sehr deutsch. Aber die Briten, die unglückseligerweise  oft in dieselben Urlaubsorte wie die Deutschen einfallen, respektieren diese Regel doch auch. Sonst würden sie sich ja nicht so grämen. Briten sind eben auch regeltreue Menschen, sehr diszipliniert. Beispielsweise drängeln die sich nicht vor, das ist die britische Korrektheit. Aber sie ärgern sich natürlich, wenn sie korrekt sind und dann den Kürzeren ziehen. Kaum zu glauben, dass die auf diese Weise  einmal ihr Empire erobert haben. Oder ist es umgekehrt so, dass wir Deutsche zu verkrampft an die Liegeplatz-Frage herangehen? Ich denke schon. Andere Völker zeigen nämlich ein weit weniger ausgeprägtes Revierverhalten. Italiener etwa kämen nie auf so eine Idee wie die mit den Handtüchern. Denen wäre es auch zu langweilig, den ganzen Tag nur an einer Stelle zu verbringen. Die wandern lieber herum. Deutsche dagegen wollen diesen festen Platz, selbst wenn sie ihn nicht die ganze Zeit nutzen. Sie wollen sogar oft genau dieselbe Liege jeden Tag. Ist die schon zwanghaft, diese Kontrollsucht? Nein, davon würde ich keinesfalls sprechen. Es ist wohl eher so, dass es uns ums Rechthaben geht, nach dem Motto: Ich habe dafür bezahlt, dass ich eine gewisse Zeit hier sein kann, und da gehört die Liege einfach dazu. Die will ich dann auch haben. Und am besten das ganze Buffet. Das sind mitunter unschöne Begleiterscheinungen der deutschen Regeltreue, ja. Wobei Reservieren per se ja nicht schlecht ist, das macht jeder im Alltag. Nehmen wir nur mal die Plätze in einem Restaurant. Einen Platz reservieren, indem man etwas darauf ablegt, hat ja oft Sinn. In einem Restaurant, Hörsaal oder im Theater ist das auch deutlich rationaler als am Pool, wo man für den ganzen Tag reserviert, aber vielleicht nur wenige Stunden nutzt. Außerdem werden im Theater nur so viele Plätze verkauft, wie Leute reinpassen. Aber Hotels haben oft viel weniger Liegen als Gäste. Sie sagen es. Wenn Liegen ein knappes Gut sind, sind die Verteilungskämpfe härter, weil sich die Beteiligten besonders anstrengen. Ihr Tipp für den Völkerfrieden? Liegen für alle!

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