Wir über uns Über den Unfalltod einer 16-Jährigen berichten: Wie man als Redakteur damit umgeht

Betroffenheit: Gedenken am Unfallort der 16-jährigen aus Speyer.
Betroffenheit: Gedenken am Unfallort der 16-jährigen aus Speyer.

Redakteure sind oft mittendrin im Stadtgeschehen und keinesfalls nur teilnahmslose Beobachter. Ein aktueller Fall aus Speyer zeigt das nachdrücklich.

Eine Lokalredaktion hat den Anspruch, möglichst die ganze Bandbreite des örtlichen Lebens abzubilden. Dazu muss sie auch über Themen berichten, die belastend sind, auch für die Redakteure persönlich. Das richtige Maß und die angemessenen Worte zu finden, ist eine Herausforderung.

Die Mitteilung der Polizei war nur kurz, doch sie hatte es in sich: ein schwerer Verkehrsunfall in der Stockholmer Straße. Ein Motorrad ist gegen einen Laternenmast geprallt. Fahrerin war eine Jugendliche, 16 oder 17 Jahre alt, aus Speyer. Sie musste am Unfallort reanimiert werden und befindet sich auf dem Weg in die Unfallklinik. Mehr war zunächst nicht bekannt am Abend des 7. April, einem Sonntag.

Zwei Prozesse parallel

Erreicht die Redaktion eine solche Nachricht, beginnen zwei Prozesse parallel abzulaufen: Der Journalist nimmt die Informationen, die er hat, und verarbeitet sie routiniert zu einer Meldung, die er möglichst bald veröffentlicht. Weil er weiß: Unfälle, allzumal schwere, erregen viel Aufmerksamkeit. Das Interesse der Öffentlichkeit ist hoch. Zugleich ist derjenige, der die Zeilen verfasst, auch selbst betroffen von dem, was er gerade erfahren hat. Reanimiert? Die Fahrerin, so jung? Aus der Stadt, in der man einen Gutteil seines Lebens verbringt und mit der einen viel verbindet? Kennt man die Person vielleicht sogar?

Lokalredakteure sind nicht immer, aber häufig, selbst Teil der Gemeinschaft, über die sie berichten. Sie sind Mütter, Väter, Bruder, Schwester, Sohn, Tochter, Onkel, Tante. Ihre Kinder besuchen örtliche Kitas und Schulen, sie sind Mitglied in Vereinen, engagieren sich ehrenamtlich, kaufen ein und gehen zum Arzt, oft kennen sie Hinz und Kunz. Kurz: Sie gehören dazu. Sie sind mittendrin, nicht nur teilnahmslose Beobachter, die nüchtern von außen darauf blicken, was sich drinnen im Terrarium abspielt.

Abgeklärtheit ist keine Selbstverständlichkeit

Diese Rolle macht es mitunter schwer, die nötige Distanz und Abgeklärtheit zu wahren. Gerade wenn sich um schlimme Ereignisse handelt, die junge oder sehr junge Menschen betreffen und wenn man vielleicht sogar selbst Kinder im vergleichbaren Alter hat. Dann ringt man bisweilen um jedes Wort, das man schreibt. Es ist ein steter Abwägungsprozess: Was muss an die Öffentlichkeit, um deren Informationsbedürfnis zu befriedigen? Was ist nötig, damit Außenstehende verstehen, was vorgefallen ist? Und was bleibt besser ungenannt, um den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen gerecht zu werden? Die Balance zu halten, ist herausfordernd. Manchmal gelingt es nicht.

Auch wenn die ihre Situation nicht vergleichbar ist mit der von Polizisten und Rettungskräften, die unmittelbar mit zum Teil furchtbaren Eindrücken konfrontiert sind: Redakteure sind durch die Schilderungen von Beteiligten häufig ebenfalls nah dran am Geschehen. Als Mittler gegenüber der Öffentlichkeit wirken sie wie Filter: Sie sollen die Essenz, das Wichtigste, durchlassen. Grobe Bestandteile bleiben hängen. Das kann belasten. Spurlos vorbei geht eine Geschichte wie der tödliche Verkehrsunfall der 16-jährigen Speyererin jedenfalls an niemandem. Sie beschäftigt auch lange nach Redaktionsschluss noch.

Diese Nachricht braucht niemand

In der Medienbranche gibt es einen alten Spruch: „Only bad news are good news“, also nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Er beschreibt ein Phänomen, das die Sozialpsychologie als „Negativitätsdominanz“ bezeichnet, nämlich dass negative Gedanken und Erlebnisse das menschliche Denken und Handeln stärker prägen als positive. Anders ausgedrückt: Negativen Infos schenken Menschen mehr Aufmerksamkeit als positiven. Journalisten wird daher gern unterstellt, sie würden vorzugsweise thematisieren, was schlecht läuft. Oder ausschlachten, was an Schlimmem passiert ist, eben weil das bei der Leserschaft auf größeres Interesse stößt. Darauf sei nur gesagt: Auf so manche Nachricht würde die Redaktion liebend gerne verzichten.

Zur Person

Martin Schmitt (50), seit fast 20 Jahren Redakteur, ist seit 2022 Mitglied im Team der „Speyerer Rundschau“ für die Stadtberichterstattung. Seine E-Mail-Adresse: martin.schmitt@rheinpfalz.de.

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