Speyer Ohne Rücksicht auf Flüssigkeitsverluste

Konstantin Wecker gehört mit Reinhard Mey und Hannes Wader zu den bekanntesten Liedermachern deutscher Sprache. Seit seinen Anfängen in der wilden 68er-Zeit dürfte er allerhand erlebt haben, aber laut eigener Aussage musste er noch nie ein Konzert in kurzen Hosen spielen. Beim Speyerer „Kulturbeutel“-Festival am Mittwochabend im Alten Stadtsaal war es soweit.

Über 20 Jahre, nachdem Wecker bei der ersten Ausgabe des Festivals spielte, wurde er vom Veranstalter wieder gestellt – und zwar auf die Bühne/Sauna. Wohl aufgrund schlechter Wetterprognosen oder wegen des höheren Platzangebots hatten die „Kulturbeutler“ die Veranstaltung in den Saal verlegt, und dort entwickelten sich schon im Zuschauerraum Temperaturen, bei denen die Goldkronen im Mund zu schmelzen begannen. Wecker hatte dazu noch etliche Kilowatt Licht auf sich gerichtet, was auf der Bühne sicher noch zehn Grad mehr brachte. Im Vortrag ist der Münchner ja auch nicht eben temperamentlos, und so war bereits nach der Eröffnung mit der berühmten Ballade „Willy“ das erste Hemd durchgeschwitzt, und Wecker kündigte an, später eventuell auf kurzes Beinkleid zu wechseln, und bat um Verständnis. Mit „Genug ist nicht genug“ ging es politisch-poetisch weiter – in bewährt kämpferischer Tonalität. Dazwischen erzählte der Chansonier immer wieder aus seinem Leben. Mal humorig-anekdotisch über seine ersten Ausrisse aus dem Elternhaus – nach Ausgburg zunächst, später etwas weiter weg. Mal ernsthaft, mal rezitativ, mal begleitet durch Jo Barnikel, der auch in den Genuss einer Speyerer Schwitzkur kam. Trotz der lähmenden Rahmenbedingungen kamen erste spontane Beifallsbekundungen. Spießer, Spekulanten und Knallköpfe haben den unschlagbaren Vorteil, dass man leicht gegen sie sein kann, denn niemand zählt sich selbst dazu. Weckers herausragende lyrische Fähigkeiten kamen dann im melancholischen, auf bayrisch getexteten „Fangt mi wirklich koaner auf“ zum Tragen. Trakl, Heym, Novalis – seine schulische Laufbahn muss frustrierend gewesen sein, wenn man den humorigen Anekdoten Glauben schenken darf, aber seiner Liebe zu den großen Dichtern tat es offenbar keinen Abbruch. Und „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ war angesichts der äußeren Umstände fast Realsatire, hatte der Sommer Künstler und Publikum bereits im Schwitzkasten. Jugendwahn und Bankergier, Ausländerfeindlichkeit und Zivilcourage – der Münchner Ausnahmekünstler hat sich über die politbewegte Zeit seiner Jugend hinaus weiterentwickelt und bleibt an aktuellen Themen dran. „Poesie und Widerstand“ lautet auch der Titel seines Programms – ein Querschnitt aus 50 Jahren künstlerischen Schaffens, den er auf die Bühne bringt. Weil gemeinsames Transpirieren zusammenschweißt, entwickelte sich zwischen Wecker und den Speyerern an diesem Abend eine Genuss- und Leidensgemeinschaft. Das Publikum forderte ohne Rücksicht auf Flüssigkeitsverluste Zugaben und bekam etliche. Der Maestro stieg sogar von der Bühne für ein Bad in der Menge – bis das Repertoire restlos ausgeschöpft war.

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