Neustadt Hipster-Zählen in Mitte

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Neustadt-Hambach. War es bei ihrem letzten Gastspiel in Neustadt noch eher ein bürgerlicher Salonabend, so bewiesen die Berliner Chansonkabarettisten Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn am Donnerstag auf dem Hambacher Schloss mit ihrem Programm „Volumen 9“, dass sie im Internet-Zeitalter angekommen sind: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für hochwertige Unterhaltung hätten sich eben geändert, hieß es gleich zu Beginn.

Um die ausreichende Finanzierung anspruchsvollen Kabaretts zu sichern, sei es notwendig, von der reinen Eintrittsgeldregelung wegzukommen, erklärte Pigor: Mit Werbeeinspielungen sei daher ebenso zu rechnen wie mit der Verpflichtung der Zuschauer, auf der Bühne mitzuspielen. Und weil das Finanzamt die gemeinsame Wodka-Runde, die das Berliner Duo am Ende seiner Programme immer zelebrierte, nicht mehr als Betriebsausgabe anerkenne, müsse man auch darauf eben verzichten und stattdessen Cookies akzeptieren – dies immerhin nicht in elektronischer Form, sondern in der klassisch dänischen Variante ... Gepflegter Unsinn auf hohem Niveau ist es, was die Programme von Pigor und seinem Begleiter Benedikt Eichhorn seit jeher auszeichnet, und auch mit der Vorpremiere der Nummer 9 – offiziell geht es damit am 19. Mai in der „Bar jeder Vernunft“ in Berlin los – zelebrieren die beiden ihren eigenen, ungezogenen Blick auf die Menschen und die Welt. Dabei gehört es unter anderem dazu, bei Soja-Latte und Rhabarbersaft im veganen Café in Berlin-Mitte Hipster-Bärte zu zählen (für jeden Dutt gibt’s einen Extrapunkt), die Toleranz der Mitmenschen zu testen, indem man eine Burka trägt – „Travestie im oriental style“ – oder eben festzustellen, dass auch Tiere sich irren können – beispielsweise wenn die Tauben nicht wissen, dass der Kuchenspender im Park Georg Kreisler heißt. Um erfolgreiche Chansons zu komponieren, müsse der Refrain früh anfangen, bedürfe es einer gewissen „Danceability“ und des richtigen Themas, erfährt der Zuschauer. Außerdem brauche es eine harmonische Formel, die sich an der Kadenz, an Pachelbel oder an Bushido orientieren kann, erklären Pigor und Eichhorn. Und kommen von der katholischen Kirche als Kaderschmiede des Kabaretts nahtlos zur Werbung für Zahnpasta. Wie Ungläubige sich im Gospelkonzert fühlen müssen, demonstriert das Duo mit seinem blasphemischen „Gott ist tot“-Swing in Jazz-Phrasierung, bevor die nächste Werbeeinspielung für Klavierunterricht folgt: „Wer will schon einen Arzt in der Familie?“ Wer die Volumina von Pigor und Eichhorn kennt, weiß, dass ein fremdsprachiger Teil fest dazugehört: In Nummer 9 widmet sich Pigor dem Österreichischen und redet sich dabei über die geistlose Masse derart in Rage, dass Eichhorn die Erholungspause als Solopianist mit einem Lied über verliebte Komponisten überbrücken muss – und das natürlich „im Ergebnis kacke“ ist. So schlagen Pigor und Eichhorn munter weiter ihre Haken vom Urheberrecht, das dem Regietheater ab 2027 – dann läuft es für Brechts Werke aus – erlaubt, endlich richtig schlechte Inszenierungen abzuliefern, ohne dass sich die Erben dazwischenquatschen, zum Unterschied von gefühlter Temperatur und gefüllter Paprika, um zu Saint-Éxupery zu kommen („Man füllt nur mit dem Herzen gut“) ... Im Verlauf des gut zweistündigen Programms geht es außerdem um die Operette „Frau Luna“, die Coolness von Ignoranz in postfaktischen Zeiten, in Vergessenheit geratene Schimpfworte und gemeinsam mit dem Publikum erarbeitete Choreographien zum Lied „Berliner Luft“. Nebenbei machen die beiden auch noch ein bisschen Werbung für den Kabarett-Kollegen Matthias Egersdörfer, kommen angesichts des drohenden Muttertags, der von den Kindern ohnehin ja wieder vergessen werde, zu dem Schluss, dass man sie eigentlich gar nicht gebären sollte, und kontrastieren die Überbetonung der nationalen Zugehörigkeit gegenüber der kommunalen Friedlichkeit, die sich unter anderem darin ausdrücke, dass Maikammer Hambach noch nie den Krieg erklärt hat. Bleibt zu hoffen, dass Pigor und Eichhorn auch mit Volumen 10 bald mal wieder mit gepflegtem Unsinn nach Neustadt kommen ...

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