Neustadt Eine Pizza und ein Glas Wein vor der Chemotherapie

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Sebastian Gärtner hat die Geschichte seiner Genesung sicher gefühlte hundert Mal erzählt. Vor Studenten, vor Journalisten, vor Patienten. Eigentlich hat er die Nase voll davon. „Es ist doch immer das Gleiche“, sagt er. Wenn er sich dann doch noch einmal durchringt, dann nur aus diesem einen Grund: „Vielleicht kann ich damit jemandem Mut machen.“ Anfang April war die Geschichte des 69-jährigen Neustadter einmal mehr gefragt. Die Universitätsklinik Heidelberg veranstaltete ein internationales Expertentreffen zum Thema Stammzelltransplantation und lud dazu den Mann ein, der weltweit der Erste war, der mit Stammzellen aus dem eigenen Blut behandelt wurde – Sebastian Gärtner. Über 30 Jahre ist das nun her. Gärtner war damals 38 Jahre alt. Familienvater, Fußballer, Fasnachter. Und dann auf einmal das: eine faustgroße Schwellung am Hals. Die Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Eine äußert aggressive Art von Krebs. An dieser Stelle beginnt die Geschichte, die schon so viele Male erzählt worden ist. Wie Gärtner den Arzt mit unerschütterlichem Vertrauen umarmte und sagte: „Sie schaffen das schon.“ Wie er auf die neue Therapie hingewiesen wurde, mit der er, wenn er sie denn überstehen würde, geheilt werden könnte. Und wie er lakonisch antwortete: „Die nehm’ ich dann.“ Gärtner ist von Beruf Fahrlehrer, für Medizin hat er sich noch nie auch nur ein bisschen interessiert. Der 69-Jährige ist fest davon überzeugt, dass diese Distanz für ihn ungemein hilfreich war. Wenn er einem Patienten einen Tipp geben sollte, dann wäre das dieser: „Lass die Ärzte machen.“ Kürzlich habe er einmal angefangen, selbst im Internet zu recherchieren, als bei einer Routine-Untersuchung ein Schilddrüsenwert auffällig war. „Da machst du dich verrückt“, sagt er. 1985 wusste er weder, dass die Therapie mit Stammzellen aus eigenem Blut zuvor noch niemals an einem Menschen angewandt worden war, noch, wie gefährlich seine Krankheit tatsächlich war. Bevor er mit der Chemotherapie begann, bestellte er sich erst einmal noch eine Pizza und ein Glas Rotwein. Auch das wieder eine der Episoden, die Journalisten immer wieder gerne aufgegriffen haben in den Berichten über ihn. Dass er tatsächlich schwer krank war, wurde ihm erst klar, als er eine Woche vor der Übertragung der aufbereiteten Stammzellen eine Hochdosis an Chemo und Strahlen bekam. „Da ging’s mir richtig dreckig“, erinnert er sich. Nägel und Haare fielen aus, die Schleimhäute schmerzten. Doch selbst in dieser Situation zweifelte er keine Sekunde an seiner Genesung. Später, als er tatsächlich wieder gesund war und seine Arbeit wieder aufgenommen hatte, wurde er gefragt, ob er zu einer Vorlesung an der Heidelberger Universitätsklinik kommen könnte. Sein Fall sollte dort Studenten vorgestellt werden. Erst in dieser Vorlesung sei ihm klar geworden, wie dünn der Faden gewesen war, an dem sein Leben gehangen hatte. Die Therapie mit Stammzellen aus Eigenblut war bei Gärtner damals eine Notlösung, weil eine Knochenmarktransplantation, die damals üblich war, nicht möglich war. Das Mark war verknöchert, deshalb musste eine Alternative gefunden werden. Heute dagegen ist die Methode etabliert, allein in Heidelberg gibt es über 300 Transplantationen pro Jahr. Die Forschung geht unterdessen weiter. 2017 soll eine Krebstherapie mit körpereigenen, genmanipulierten Immunzellen starten. Auch darum ging es bei dem Expertentreffen Anfang April, bei dem Sebastian Gärtner auch „seinen“ Arzt wiedertraf, den Hämatologen Anthony Ho. Und ein Foto mit den beiden in der Frankfurter Allgemeinen erschien. Doch jetzt soll, so findet Gärtner, endgültig Schluss sein mit Interviews und Pressefotos. Der Kalender des Rentners ist auch so voll genug. Ganz wichtig für ihn: der Gitarrenunterricht. „Ich kann zwar Lieder spielen, aber nicht nach Noten“, erzählt er. Und das übt er jetzt. Um „im Kopf fit“ zu bleiben.

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