Neustadt Singen ist ein Knochenjob

Neustadt. Alle 14 Teilnehmer des Meisterkurses, sie sind zwischen 24 und 32 Jahre alt, und haben bereits ein Gesangsstudium hinter sich. Sie absolvieren derzeit Aufbaustudien. Ihre Stimmen sind voll ausgebildet, das hört man. In diesem Meisterkurs geht es darum, noch mehr in die Tiefe zu steigen, jeden einzelnen Ton einer Arie optimal zu formen, aber auch seinen eigenen Körper, soweit er in den Gesang involviert ist, noch besser kennen und kontrollieren zu lernen. Singen, das ist jedem Anwesenden schnell klar, ist eine sehr körperliche Angelegenheit. „Jeder Sänger sollte die Anatomie seines Kehlkopfes, die Resonanzräume hinter den Knochen seines Kopfes, etwa in Stirn- und Nebenhöhlen und Mundhöhle, genau kennen“, sagt Claudia Eder. Es ist eine Form von Hochleistungssport, „ein Knochenjob“, wie alle sagen. „Das muss man wirklich sehr wollen“, wie es Ruth-Katharina Peeck aus Mannheim ausdrückt. Sie sehen aus wie die meisten anderen Studenten in den Universitätsstädten, tragen Jeans und Shirt oder Ähnliches. Aber wenn sie den Mund aufmachen und die Töne strömen lassen, bringen sie Leben in die überdimensionalen Charaktere der Opernbühne, von denen wir uns tief emotional berührt fühlen. Tenor Alexej Egorov, 32 Jahre, kommt aus Moskau und hat dort bereits ein langes Studium abgeschlossen. „Ich habe erst mit 24 Jahren ernsthaft zu singen begonnen. Zuerst habe ich Klavier studiert, bis ich merkte, dass es das Singen ist, das mich mehr als alles fasziniert.“ Er hat auch Theaterwissenschaften studiert und denkt an die Möglichkeit, später einmal selbst Regie zu führen. Er singt die Arie des Tebaldo aus der Oper „I Capuleti e i Montecchi“ von Bellini, kein sehr bekanntes Werk. Er singt mit einer stimmlichen Wucht und Pracht, dass es einem die Haare wegweht. Trotzdem ist noch viel zu tun. „Ich sehe bis in deinen Magen, das ist toll, aber da muss noch mehr Spannung her“, sagt Claudia Eder. „Die Lautstärke brauch ich nicht“. Und: „Mein Gott, wie die alle so unbekümmert auf ihren Stimmbändern rumhacken. Das geht aber nur, bis man 30 ist. Danach sollte man aufpassen.“ Sopranistin Lingyuan Gao, 27 Jahre, kam vor sieben Monaten aus Shanghai nach Mainz, wo sie schon ihr Masterstudium als Konzertsängerin beendet hat. Jetzt fängt sie in Mainz mit dem Aufbau nochmal an und übt im Kurs eine Arie aus Verdis „Ein Maskenball“. Bariton Chen Hongyu hilft ihr als Übersetzer. Er stammt aus Huhhot in der Inneren Mongolei und sollte eigentlich auf Wunsch seines chinesischen Vaters Medizin studieren. Ein Jahr nahm er, von seiner Schwester unterstützt, privat Gesangsstunden, bis er die Familie überredet hatte. Er arbeitete als Dolmetscher bei einem Meisterkurs einer Lehrerin aus Weimar in Peking und fand so Kontakt zum Gesangsstudium in Deutschland, wo er seit 2008 lebt. Bei Claudia Eder übt er eine Arie von Tschaikowsky und eine aus dem „Bajazzo“ von Leoncavallo. „Du musst die Kehle runterlassen“, bekommt er zu hören. Damit er besser bemerkt, worum es geht, bekommt er einen Spiegel vorgehalten. Ruth-Katharina Peeck, 24 Jahre, Mezzosopran, hat schon ein Studium fürs Lehramt, Musik und Geschichte im Frühjahr abgeschlossen. Im Herbst legt sie die Aufnahmeprüfung fürs Gesangsstudium in Mainz ab. „Ich wollte schon immer singen, seit ich zurückdenken kann. Das Gesangsstudium ist derart vielseitig. Man muss ja nicht nur singen können, sondern auch schauspielern und vieles andere.“ Alexey Egorov meint: „ Auch etwas Akrobatik gehört dazu, und Sprachen sollte man können, und sich körperlich sehr fit halten.“ Derweil ist der japanische Bariton Iguchi Tohru dran, ein sehr zierlicher junger Mann. Er singt die Arie des Figaro aus Rossinis „Barbier von Sevilla“, und seine Stimme scheint zu einem viel gewaltigeren Körper zu gehören. Anschließend verwandelt sich die koreanische Mezzosopranistin Jina Oh mit ihrer Stimme in eine feurige Spanierin aus „Carmen“. Claudia Eder entgeht keine einzige Nuance, deshalb sitzen die anderen Sänger auch dabei, wenn der Unterricht anderen gilt. Man lernt trotzdem. (adö)

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