Ludwigshafen „Nationen nur noch auf dem Fußballplatz“

Jeder kann sich eine Heimat schaffen: Anna Scheuermann.
Jeder kann sich eine Heimat schaffen: Anna Scheuermann.

Nach den Diskussionsreihen „Heimat als Utopie?“ und „Heimat ohne Grenzen?“ geht es nun im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum in einer dritten Staffel um das Thema „Heimat als Lebensform?“. Die Frage erörterten der Schriftsteller Robert Menasse, die Kuratorin Anna Scheuermann und die Philosophin und Theaterautorin Silvia Mazzini.

Dass diesmal so viele Zuhörer ins Bloch-Zentrum gekommen waren, lag wohl in erster Linie an Robert Menasse. Mit seinem jüngsten Roman „Die Hauptstadt“ steht der Österreicher derzeit auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, der Mitte Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Mit fünf anderen Titeln konkurriert Menasse um die Auszeichnung, den besten Roman des Jahres geschrieben zu haben. Die Auszeichnung, den ersten EU-Roman geschrieben zu haben, ist ihm jetzt schon sicher. „Die Hauptstadt“ spielt nämlich in Brüssel, beschäftigt sich mit der EU-Bürokratie und ist nach dem Urteil der Buchpreis-Jury „kriminalistisch angetrieben, philosophisch durchdrungen und dabei immer grundironisch“. Um Menasses neuen Roman ging es im Bloch-Zentrum allerdings nicht. Er wurde nicht einmal erwähnt, spielte aber in die Diskussion hinein. Denn wie in seinem Buch trat der Autor leidenschaftlich für ein einiges Europa ein und wies alle nationalen Ansprüche ab. Der 63-Jährige hat sich vom Europa-Skeptiker zum glühenden Europa-Befürworter gewandelt, seit er aus Recherchegründen ein paar Jahre in Brüssel gelebt und EU-Bürokraten bei der Arbeit beobachtet hat. Menasses leidenschaftliche Parteinahme bekam jetzt ein Zuhörer zu spüren, der den oft gehörten und nicht ganz von der Hand zu weisenden Vorwurf erhob, Europa diene nur ökonomischen Interessen. Europa, hielt Menasse dem entgegen, sei der einzige Staatenverbund, der nicht wirtschaftlichen Interessen, sondern einer Idee entsprungen sei, die auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs reagiert habe. „Es geht bei Europa auch um Ideale und Ideen“, betonte Menasse. Außerdem sei nur ein vereintes Europa, nicht aber eine einzelne Nation stark genug, um multinationalen Konzernen wie Microsoft oder Amazon entgegenzutreten. Nationen hält Menasse für etwas von der Geschichte Überholtes. Nationen hätten nur noch bei Fußballspielen und auf der Wetterkarte eine Bedeutung, behauptete er. Im Alltag seien sie aus den Köpfen verschwunden, „außer bei Bundestagswahlen“. Und auf das Thema der Diskussion bezogen, lautete seine provokante These: „Nation kann keine Heimat sein.“ Heimat verbindet Menasse mit Regionen, nicht mit Nationen. Deshalb spricht er von einem Europa der Regionen, und verbindet den Begriff Heimat mit bestimmten Gerüchen und Tönen. Zum Beleg für seine These von der Region als Heimat führte er Unabhängigkeitsbestrebungen wie die der Basken und der Katalanen oder auch der Schotten an. Dass Heimat nicht etwas Gegebenes ist, sondern etwas erst zu Schaffendes, betont Anna Scheuermann. „Making Heimat“ hieß sehr bezeichnend die von ihr kuratierte Architekturausstellung im deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig, die noch bis Ende September im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen ist. Die Offenbacherin nennt ihre Stadt mit einem hohen Anteil von Migranten „Arrival City“. Offenbach biete jedem die Möglichkeit, sich eine Heimat zu schaffen und eine Identität auszubilden, so dass jeder sagen könne: „Wir sind Offenbacher.“ Diese „Arrival City“ sähe sie gern zu einem „Arrival Country“ ausgeweitet, zu einem Deutschland der Willkommenskultur. Einen kräftigen Schuss Blochscher Philosophie gab Silvia Mazzini der Diskussion bei. Die in Berlin lebende Italienerin hat über Kunst und Politik bei Gianni Vattimo und Ernst Bloch geschrieben, sieht Heimat, ähnlich wie Anna Scheuermann, nicht als Zustand, sondern als Prozess und beschäftigt sich in ihren Theater- und Filmprojekten mit Immigration. In die sehr harmonisch, nicht im Geringsten kontrovers verlaufende Diskussion brachte Robert Menasse einen leisen Paukenschlag ein. Er schlägt ein „Little Damaskus“ nach dem Vorbild von Einwanderervierteln in Sao Paulo vor, wo er viele Jahr gelebt hat. Ob ein solches Viertel dann wirklich eine eigene Attraktivität entwickeln würde, oder ob es klüger ist, jegliche Ghettobildung zu vermeiden, wie es die Bundesrepublik tut, diese Frage blieb im Bloch-Zentrum unerörtert.

Nation kann keine Heimat sein: Robert Menasse.
Nation kann keine Heimat sein: Robert Menasse.
Heimat ist kein Zustand, sondern ein Prozess: Silvia Mazzini.
Heimat ist kein Zustand, sondern ein Prozess: Silvia Mazzini.
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