Ludwigshafen „Ich bin aufgewacht und dachte, ich sterbe“

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Interview: Normann Stadler gehörte zu den besten Triathleten der Welt. Der Mannheimer gewann 2004 und 2006 den legendären Ironman auf Hawaii und war einer der ganz großen Stars seines Sports. Doch schlagartig veränderte sich sein Leben. Im Alter von 38 Jahren bekam er die Hiobsbotschaft, dass seine Hauptschlagader krankhaft erweitert ist und die Herzklappe nicht mehr schließt. Ein Gespräch über Ruhm und den Tod.

Herr Stadler, ist Ruhm nebensächlich?

Nebensächlich vielleicht nicht. Wir Sportler wollen schon, dass unsere Leistung anerkannt wird und wir hofiert werden. Jeder findet es toll, wenn er ganz oben steht und diese Leistung honoriert wird, sei es durch Anerkennung oder aber finanziell. Ich frage deshalb, weil Sie als zweimaliger Ironman-Sieger auf Hawaii der bekannteste deutsche Triathlet waren, dieser Ruhm aber von einen auf den anderen Tag unwichtig wurde. Die Koordinaten verschieben sich komplett. Ich war ein gesunder Athlet, der im Odenwald trainiert hat. Irgendwann traten Probleme auf. Ich bekam Luftnot, Krämpfe und konnte nicht mehr mithalten. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Ein Sportler hat ein Gefühl für seinen Körper. Was haben Sie dann gemacht? Ich bin dann zur Sportmedizin nach Heidelberg, meinem medizinischen Ansprechpartner. Ich habe ein Blutbild machen lassen. Die Ärztin riet mir außerdem, auch ein Ultraschall des Herzens machen zu lassen. Das wollte ich zunächst nicht, weil meine Frau im sechsten Monat schwanger war und wir einen Termin hatten. Wir haben es dann doch getan und dabei kam heraus, dass ich ein sieben Zentimeter großes Aneurysma an der Aorta und eine defekte Herzklappe hatte. Da war mir sofort klar, dass diese Diagnose das Ende meiner Karriere war. Ich habe daraufhin alle unsere Projekte eingestampft. Wir wollten in Mutterstadt ein Haus bauen. Ich habe dem Architekten gesagt, dass er aufhören soll, weil wir alles verkaufen werden. Denn ich musste für meine Frau da sein. Mein Sohn war damals zwei Jahre alt. Ich durfte auf eigene Verantwortung dann noch einmal nach Hause und habe dann, so gut es ging, mein Testament aufgesetzt und meine Patientenverfügung gemacht. Ich bin dann mit meinem kleinen Köfferchen in den Garten zu meinen Schwiegereltern gefahren und habe mich von meinem Sohn und allen anderen verabschiedet. Wie ging es dann weiter? Dann ging es in die Uniklinik Heidelberg. Ich konnte nur hoffen, dass die Ärzte alles gut und richtig machen. Ich hatte aber in Professor Karck einen der weltweit besten Herzchirurgen. Er war früher selbst im Juniorenalter Leistungssportler und wusste, um was es geht. Ich hatte mich zuvor im Internet über eine offene Herz-OP informiert. Als ich dann aufwachte, versuchte ich ein Klicken zu hören. Das soll man hören, wenn man eine künstliche Herzklappe bekommt. Das war aber bei mir letztlich nicht der Fall. Die Ärzte haben meine Klappe retten können, was mir viele Vorteile gebracht hatte. Denn ich wollte in dem jungen Alter keine künstliche Klappe. Da wusste ich, dass alles toll verlaufen war. Das klingt wie ein Märchen. Naja, danach fing das Dilemma an. Ich hatte ja ein Sportlerherz. Ich bekam Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern und Panikattacken. Ich musste lange lernen, damit umzugehen, musste noch einmal für ein paar Tage ins Krankenhaus. Man verliert als Sportler plötzlich die Sicherheit. Du hattest zuvor alles im Griff und bist nun in den Händen der Ärzte. Ich saß dann in der Reha auf dem Ergometer neben einem Menschen, der noch nie Sport getrieben hatte. Der strampelte schneller als ich. Das war frustrierend. Aber die Fitness kam schnell zurück. Ich konnte ja kämpfen, Ziele setzen und diese erreichen. Ich wollte am Anfang fünf Kilometer um den Neckar spazieren. Das war das erste Ziel. Dann dazwischen ein bisschen joggen, dann eine komplette Runde joggen. Das habe ich schnell erreicht. Dann ging es stetig bergauf. Heute kann ich alles machen, aber es dauerte eineinhalb Jahre, bis alles seinen normalen Weg ging. Ich wachte nachts oft auf und dachte, ich sterbe. Aber die Ärzte sagten, das sei normal. Es war ein extremer Eingriff. Sie haben Ihre Reha in Ludwigshafen gemacht. Warum? Ich war im Zentrum für ambulante Therapie am Klinikum Ludwigshafen. Ich wollte nicht stationär in die Reha. Doch im Nachhinein war das ein Fehler. Denn ich hatte während der Reha Momente, wo ich Angst hatte und Panik bekam, als ich abends wieder zu Hause war. Da sackte der Puls ab oder schnellte über 200 in die Höhe. Stationär hätte ich den Knopf im Krankenzimmer gedrückt und eine Schwester wäre gekommen, um mich zu beruhigen. Zu Hause ging das nicht. Ich durfte auch drei Monate nicht mehr als fünf Kilogramm heben. Mein Sohn aber wollte mit mir spielen und ich musste immer wieder Nein sagen und es ihm erklären. Oder beim Einkaufen: Meine Frau war mit dem zweiten Kind schwanger. Sie schleppte die Einkäufe und ich schlenderte nebenher. Ich hörte die Leute sagen: Schau dir mal den an. Da dachte jeder, was ist das für ein Ehemann. Ja, und dann macht man zu Hause zwangsläufig dennoch Dinge, die man nicht tun sollte. Im Nachhinein würde ich die Reha stationär machen. Aber trotz allem bin ich in Ludwigshafen top betreut worden. Wie lange haben Sie gebraucht, um alles zu verarbeiten? Das tue ich immer noch. Das ist ein Prozess. Auf einmal ist man für andere Leute mit den gleichen Befunden ein Gesicht. Ich bekam viele Zuschriften aus der ganzen Welt. Ich glaube, ich habe mindestens 20 Menschen auf eine Herz-OP vorbereitet. Es gibt immer noch Momente, da denke ich sofort ans Schlimmste. Ich gehe aber nicht mehr an meine Grenzen wie damals, ansonsten kann ich alles machen. Auch bei jedem Vortrag wühlt mich das auf, aber ich rede lieber darüber als zu schweigen. Meine Mutter hatte vor zwei Monaten das Gleiche. Da wusste ich, dass es erblich bedingt war. Ich habe das aufgrund meiner 20 Jahre Leistungssport eben viele Jahre früher bekommen. Für mich war es aber auch eine Erleichterung. Denn ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht hatte. Ich werde nun meine zwei Söhne medizinisch checken lassen, wenn man jetzt weiß, dass es familiär bedingt war. Kann man da überhaupt zum Alltag zurückkehren? Man muss. Ich habe zwei Kinder und eine Frau. Ich muss die Familie ernähren. Ein Sohn geht jetzt in die Schule, der andere noch in den Kindergarten. Da muss man funktionieren. Ich habe aber nie gejammert. Man kommt da auf einmal aus der Wohlfühloase Leistungssport heraus, war an den schönsten Orten der Welt, hat super verdient. Ich habe alles gesehen, war 13 Mal auf Hawaii. Dann fängt ein neues Leben an und du musst dich neu erfinden. Viele dachten, die ganze Welt reißt sich um mich. Aber das war nicht so. Viele haben sich abgewendet und mich vergessen, weil sie mit mir keinen Profit mehr machen konnten. Damit musste ich umgehen und mich neu erfinden. Wohin geht die Reise hin mit meinen Erfahrungen? Es war nicht der einzige Schicksalsschlag in Ihrem Leben. Sie haben auch zwei Kinder verloren. Wer hat Ihnen und Ihrer Frau in solch schwierigen Momenten die Kraft gegeben? Meine Frau ist so eine coole. Sie zeigt das nicht. Sie verarbeitet das auf eine andere Art und Weise, aber sicherlich mehr als ich. Ich hatte ja immer meinen Sport. Gerade bei den Schicksalsschlägen mit den Kindern konnte ich mich beim Sport abreagieren. Mich hat es dann anders eingeholt. Die Leistung wurde schwächer. Ich habe nicht mehr funktioniert wie vorher. Am 10. Mai 2008 war die Beerdigung unserer Tochter. Da war vor Kurzem der Jahrestag. Das holt dann einen immer wieder ein. Ein Sportler ist im Kopf schon sehr stark. Ich hatte mir auch bei Hans-Dieter Herrmann, dem Sportpsychologen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Rat geholt. Ich habe versucht, alles so gut zu verarbeiten, wie es nur ging. Aber das war das Schlimmste, was es gibt. Da kommt meine Herz-OP nicht mit. Bloß hatte ich ein 13-Mann-Triathlon-Team gegründet mit einem Millionen-Budget für fünf Jahre. Unser Sponsor damals, die Dresdner Kleinwort, hatte mir das Vertrauen gegeben. Ich hatte eine Verantwortung. Ich konnte nicht einfach fliehen. Ich musste meine Leistung bringen. Ich war auf meine Boni angewiesen. Es gab Klauseln, wo mich der Sponsor hätte rauskicken können, wenn ich keine Leistung bringe. Im Vertrag waren Rennen aufgelistet, bei denen ich starten musste. Die erste Totgeburt war in Kalifornien. Ich war auf dem Weg nach Hawaii, als meine Frau im vierten Monat Komplikationen bekam. Wir mussten in einem fremden Land einen Schwangerschaftsabbruch machen. Das war alles ein Schock und Stress. Die Telefonate mit den Ärzten in Deutschland, die Abstimmung mit den Ärzten in den USA, die andere Mentalität. Das war alles eine Katastrophe. Ich wollte dann in Hawaii nicht antreten, habe es aber gemacht. Das Rennen ging komplett in die Hose, denn mir fehlten eben durch diesen Schock die paar Prozent, die dann den Unterschied ausmachen. Mein Umfeld und die Sponsoren waren in diesem Moment sehr sozial zu mir. Sie gaben uns die nötige Zeit. Rückblickend frage ich mich schon, warum wir, warum ich. Das ist ja alles Stoff für einen Film. Gab es da schon Anfragen? Ein Buch wird kommen. Ich habe vor, eine Biografie zu schreiben. Aber diese soll etwas anders werden. Ich habe ja mehr zu erzählen als nur meine Sportkarriere. Als wir unsere Kinder verloren hatten, kamen ganz viele Leute, auch aus dem Umfeld, auf uns zu und erzählten, dass sie auch Kinder verloren hatten. Ich gehe da offensiv ran. Das ist mein Naturell. Erst später haben dann viele verstanden, warum ich 2008 in Hawaii versagt hatte. Nur mein engstes Umfeld wusste damals Bescheid. Das macht einen dann menschlich. Wer dann dafür keine Gefühle aufbringt, der hat etwas nicht verstanden. Sie sind also für Menschen mit ähnlichen Schicksalsschlägen ein Vorbild? Ja. Am Mittwoch hatte mich im Internet ein Amerikaner angeschrieben. Seine Frau steht vor einer Herz-OP. Dann redet man mit diesen Leuten. Sie waren dem Sport lange treu geblieben und hatten den belgischen Triathleten Marino Vanhoenacker betreut. Was machen Sie jetzt? Marino und ich hatten mit der Zeit unterschiedliche Auffassungen. Letztendlich haben wir uns im Guten getrennt. Nun betreue ich Firmen im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Ich mache bei Boehringer in Ingelheim mehrere Camps für die ganze Belegschaft, wo ich die Leute auf den Wettkampf 70.3 in Wiesbaden vorbereite. Ich halte viele Vorträge. Ich repräsentierte ab sofort den neuen Hauptsponsor beim Ironman in Frankfurt. Ich coache auch Führungskräfte. Die suchen oft den Rat von anderen Spezialisten. Es ist ja mittlerweile schick für Spitzenmanager, nun einen Triathlon zu machen. Gesund erscheint das nicht. Raten Sie den Herren davon ab? Genau. Ein Marathon reicht heute nicht mehr. Gesund ist das nicht von 0 auf 100. Ich bringe da immer gerne das Beispiel aus dem Straßenverkehr. Man beginnt mit dem Mofa, dann kommt das Moped und dann das Motorrad. Heute kann man sich bei einem Triathlon online anmelden, zahlt seine Startgebühr und macht auf eigene Verantwortung ein Häkchen, dass man gesund ist. Keiner fragt nach. Das ist nicht der richtige Weg. Man sollte vielmehr eine Art Stempelkarte bekommen, auf der ich nachweisen kann, dass ich zwei Kurz-, zwei Mitteldistanzen bewältigt habe und dann darf man für den Ironman zugelassen werden. Solange nichts passiert, ist alles gut. Wir bereiten uns da lange Zeit darauf vor und nicht so nebenbei. Das birgt einige Risiken. Man darf das nicht unterschätzen. Ich habe 1988 meinen ersten Wettkampf bestritten und erst 1996 meinen ersten Triathlon. Ich habe sehr viel trainiert. Heute bereiten sich die Leute ein paar Wochen vor und machen Wettkämpfe über 16 bis 17 Stunden. Das Immunsystem wird nach so einem Wettkampf komplett heruntergefahren. Wir haben nach den Wettkämpfen Blutwerte wie ein Schwerkranker. Nur können wir Spitzenathleten danach zum Physiotherapeuten gehen und die Zeit nehmen, die wir zum Erholen brauchen. Andere gehen dann wieder arbeiten und gönnen sich keine Erholung. Ist demnach die Prävention im Spitzensport ausreichend? Wir Triathleten machen das alles privat. Wir Ironmänner gehören keinem Verband an. Wir Top-Athleten müssen alles selbst finanzieren. Da fragt keiner, ob wir einen Check-up gemacht haben. Da müsste schon mehr passieren. Man kann vieles früh erkennen. Man gibt viel Geld für die Ausrüstung aus, anstatt für die Gesundheit. Das müsste auch im Interesse der Veranstalter sein. Stimmt es, dass zwei Raddefekte im Grunde Ihr Leben gerettet haben? Ja. Mir ist beim ersten Wettkampf über die Kurzdistanz im Kraichgau der Mantel geplatzt. Darüber war ich so sauer, dass ich gleich weiter nach Spanien gereist bin zum Half-Ironman im Baskenland. Bei Kilometer 70 riss mir die Schaltung ab. Das war mir noch nie passiert. Die Ärzte sagen alle, wäre ich zum Laufen gekommen, hätte ich sterben können. Diese Defekte sollten so sein. Das war Schicksal. Sie sprechen darüber so nüchtern. Ist Ihnen der Abschied nicht schwer gefallen, wenn man ein Großteil seines Lebens für diesen Extremsport opfert? Nein. Das war ein Wink. Wir Sportler sind doch alle privilegiert. Ich sage jedem meiner Kollegen, den ich noch kenne, dass er es so lange wie möglich diese Zeit ausnutzen soll. Von 2004 bis 2006 waren meine besten Jahre. Mir fehlt kein einziger Tag. Ich wollte nur wieder gesund werden, für meine Familie da sein, mit meinen Söhnen spielen. Ich habe alles gewonnen, zweimal Hawaii. Das hat bislang kein anderer Deutscher geschafft. Ich habe nach der OP vieles entschleunigt. Die Schwerpunkte im Leben ändern und verschieben sich. Wie oft treiben Sie heute Sport? Das hängt vom Zeitplan ab. Ich versuche schon, täglich Sport zu treiben, aber dann ganz ohne Druck. Ich laufe ohne Uhr, nur zum Spaß. Ich jogge mit Freunden am Neckar. Früher hätte ich die überrannt, wären Sie nicht aus dem Weg gegangen. Wir haben heute Spaß und ich sehe Dinge, die habe ich früher nicht wahrgenommen.

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