Ludwigshafen Alpine Wunder und britische Durchschlagskraft

Fast wie einst die Talking Heads: Metronomy bei ihrem Auftritt im Palastzelt.
Fast wie einst die Talking Heads: Metronomy bei ihrem Auftritt im Palastzelt.

Bereits zum siebten Mal hat sich das sandige Gelände rund um das Reitstadium am Maimarkt in den Schauplatz eines hochkarätig besetzten Musikfestivals verwandelt. Wie schon in den vergangenen Jahren hat Programmchef Timo Kumpf neben bekannten Headlinern zahlreiche Neuentdeckungen aus dem In- und Ausland aus dem Hut gezaubert. Tausende Besucher aus Mannheim und Umgebung sind zwischen den vier Bühnen auf zahlreiche weit angereiste Fans getroffen.

Wenn nicht, wie beispielsweise bei Rock am Ring, ein Großteil der Besucher schon vor Beginn des eigentlichen Programms vor Ort campiert, ist der erste Tag eines Festivals oft eine etwas holprige Angelegenheit. Das Gelände füllt sich nur langsam, die langen Schlangen vor dem Einlass kosten Zeit und Nerven. Beim Maifeld Derby funktioniert alles reibungslos, aber bevor so richtig Festivalstimmung aufkommt, muss erst einmal die Sonne in allen erdenklichen Farben hinter der benachbarten Fertighaus-Ausstellung untergehen. Der erste Tag ist der Tag der Stammgäste und Festivalfans. Es gibt viele bekannte Gesichter, die andere bekannte Gesichter erkennen, begrüßen und in Gespräche verwickeln. Die Atmosphäre ist trotz des riesigen Areals fast familiär. Das alles spiegelt sich auch im Programm wider, das selbst für Kenner viel Neues und reichlich Gesprächsstoff bietet. Es kristallisiert sich ein kleiner Hype um die Dreampop-Band Cigarettes after Sex aus den USA heraus, die mit ihrem allzu verträumten Auftritt aber nicht alle hohen Erwartungen erfüllt. Für den größten Teil des Abends sind die beiden größten Bühnen aber fest in österreichischer Hand. Denn zum frenetisch gefeierten Headliner Bilderbuch gesellt sich nicht nur der Wiener Solokünstler Sohn, der seine Fans mit elektronischem Pop beglückt. Ebenfalls aus der Alpenrepublik kommen Flut, deren überspitzte Theatralik an die glorreichen 1980er Jahre mit Superstars wie Falco erinnert, auch wenn der Gast-Auftritt des Pfälzer Lokalmatadors Max Gruber von Drangsal nicht nur Applaus, sondern auch einen gehässigen „Try again“-Ruf aus dem Publikum provoziert. Doch spätestens beim herrlich sarkastischen Diskurspop von Voodoo Jürgens ist jedem klar, dass Wanda und Bilderbuch erst der Anfang eines neuen österreichischen Popwunders waren. Während die ersten sich schon auf den Weg Richtung Campingplatz oder Altbauwohnung machen, geht es in den Musikzelten noch fast bis drei Uhr weiter. Im großen Palastzelt erzeugt der dänische Electronica-Veteran Anders Trentemøller mit pumpenden Beats und einer spektakulären Lightshow zum Abschluss eine Atmosphäre wie auf einer ausgelassenen Technoparty. Parallel setzt das japanische Krautrock-Kollektiv Kikagaku Moyo im kleineren Brückenaward-Zelt zu endlosen instrumentalen Improvisationen an und versetzt die Nachtschwärmer in Trance. Tags darauf ist das Gelände ausverkauft und so etwas wie Volksfeststimmung macht sich breit. Dazu passend folgen im Palastzelt zwei britische Bands aufeinander, die jeweils auf ihre Art ein Exempel in Sachen Durchschlagskraft statuieren. Temples neigen eher zu psychedelischem, zeitweise sogar progressivem Rock, während Metronomy fast wie einst die Talking Heads in Richtung Disco ausscheren. Die Konzerte laufen aber beinahe deckungsgleich ab: Auf drei tanzbare Nummern folgt ein vorgezogener Rausschmeißer, der das Laufpublikum aus den vorderen Reihen vertreibt und die Fans nachrücken lässt. Beide Bands profitieren enorm von ihren Multi-Instrumentalisten, die zwischen Gitarre und Keyboards wechseln und damit von krachenden Riffs bis zu butterweichen Synthieflächen jede Klangfarbe abdecken. Als es endlich dunkel wird, strömen die Massen ins Freie, um Kate Tempest beim Philosophieren zuzuhören. Die junge Britin hat es geschafft, mit gesprochener Poesie zu den kreisenden Instrumentaltracks ihrer Band so eine Art Popstar zu werden. Im Publikum sieht man die gleichen hippen Leute, die kurze Zeit später zum Technopop von Moderat tanzen werden, diesem monumentalen Zusammenschluss der DJs von Modeselektor und der Band Apparat. Gleichzeitig spielt Ryley Walker aus Chicago am anderen Ende des Geländes fast unbemerkt von den meisten Besuchern seine endlosen, grandios verjazzten Folksongs hinein in die Nacht. Aber wenn viele unterschiedliche gute Dinge gleichzeitig passieren und man nicht weiß, wo man hingehen soll, erst dann darf man von einem gelungenen Festival sprechen.

Eine Art Popstar: die Britin Kate Tempest.
Eine Art Popstar: die Britin Kate Tempest.
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