Landau Vor Landau-Besuch: Stefan Aust im Interview

John-Lennon-Brille, aufgekrempelte Ärmel, süffisantes Grinsen: Das sind die Markenzeichen von Stefan Aust. Der Mann aus dem Nord
John-Lennon-Brille, aufgekrempelte Ärmel, süffisantes Grinsen: Das sind die Markenzeichen von Stefan Aust. Der Mann aus dem Norden, der bei den »St. Pauli-Nachrichten« seine journalistische Karriere begann, war 14 Jahre Chefredakteur des »Spiegel«. Über dessen Gründer Rudolf Augstein sagt der 70-Jährige, er sei der Allergrößte gewesen.

Interview: Pferdenarr, Studienabbrecher, „Spiegel“-Chefredakteur. Stefan Aust gehört zu den einflussreichsten Journalisten des Landes. Er kommt am Montag nach Landau ins Alte Kaufhaus, um mit Alexander Schweitzer über sein neues Buch zu reden. Wir haben mit ihm gesprochen – über Adolf Hitler, die RAF und Deniz Yücel.

Herr Aust, Sie sind kurz nach dem Krieg, 1946, geboren, haben die Studentenrevolte miterlebt, die Terrorjahre der RAF verfolgt. Als langjähriger Chefredakteur des „Spiegel“ haben Sie immer wieder historische Titelgeschichten gemacht. Was begeistert Sie an Geschichte?

Mich haben immer die Bruchstellen der Gesellschaft interessiert. Daran kann man besonders viel über das Wesen der Politik und der Menschen lernen. Es sind ja immer wieder ähnliche Phänomene, mit denen wir es zu tun haben. Deshalb muss man sich mit der Vergangenheit auskennen, um mit der Gegenwart kritisch und offen umgehen zu können. In Ihrem neuen Buch zeichnen Sie das Leben von Konrad Heiden nach, der als Journalist gegen Adolf Hitler anschrieb, bevor er fliehen musste. Was fasziniert Sie an diesem Mann? Ich habe seine erste große Hitler-Biografie zum 65. Geburtstag bekommen. Die stand dann erst mal im Bücherschrank rum. Jahre später bin ich dann drüber gestolpert und habe mich festgelesen, weil ich das so wahnwitzig interessant fand. Das Spannende an Konrad Heiden ist, dass er nicht wie ein Historiker an die Nazis rangegangen ist. Hinterher ist man ja immer klüger. Als Korrespondent der Frankfurter Zeitung in München hat er den Aufstieg Hitlers beschrieben, er hat dabei vieles erkannt, was andere nicht sehen konnten oder wollten. Und das macht diesen Mann mit seinem Blick auf die damalige Wirklichkeit so interessant. Ich habe deshalb auch versucht, nicht primär eine Biografie über ihn zu schreiben, sondern den Weg Hitlers aus Heidens Sicht nachzuvollziehen. Fehlt Journalisten heute manchmal der Mut, eine klare Haltung einzunehmen wie Heiden es tat? Manchmal glaube ich, dass viele Kollegen viel zu klare Meinungen haben. Dass sie von ihrem eigenen Sendungsbewusstsein so überzeugt sind, dass sie die Realität gar nicht mehr so wahrnehmen, wie sie wirklich ist, sondern nur so, wie sie in ihr eigenes politisches Konzept passt. Deshalb wurde übrigens auch an Konrad Heiden damals Kritik geübt. Einige warfen ihm vor, dass er sich viel zu intensiv mit den Nazis und ihren Motiven beschäftige, obwohl Abscheu nötig sei. Da bin ich anderer Meinung. Eine Abwehrhaltung zu haben, ist richtig. Das darf aber nicht dazu führen, dass man nicht verstehen will, warum Menschen so ticken, wie sie ticken. Sie sind also gegen Besserwisserjournalismus. Und dafür, dass wir den Menschen sagen, dass wir Fehler machen, keine Wahrsager sind. Könnte damit das angeknackste Vertrauen in die Medien repariert werden? Genau das ist wahnsinnig wichtig. Wissen Sie, ich bin da ziemlich altmodisch. Rudolf Augstein, den ich immer noch für den Größten halte, hat mal gesagt: Schreiben, was ist. Das ist das Entscheidende. Augstein hat sich in seinem Leben bei Einschätzungen sehr oft getäuscht, sehr oft. Er hat aber seine Positionen geändert, wenn sich die Wirklichkeit verändert hat. Das ist wichtig. Sie sind Herausgeber der „Welt“. Einer Ihrer Mitarbeiter, Deniz Yücel, sitzt seit Monaten in einem türkischen Gefängnis, weil er nichts anderes getan hat, als eine klare Haltung einzunehmen. Tun Ihre Zeitung und die Bundesregierung genug, um Ihn wieder freizubekommen? Über Einzelheiten kann ich nicht reden. Das Dramatische ist ja beim Fall Deniz Yücel, dass er nicht inhaftiert wurde, weil er eine andere Meinung hat, sondern weil er Fakten aufgedeckt hat. Sie haben mit Ulrike Meinhof zusammengearbeitet, später ein Standardwerk über die RAF geschrieben. Der Deutsche Herbst jährt sich in diesem Jahr zum 40. Mal. Was kann über die schießenden Bürgerkinder noch Neues, Interessantes geschrieben und gesagt werden? Das Kapitel ist noch lange nicht geschlossen. Ich schreibe zurzeit an einer neuen Fassung des Baader-Meinhof-Komplexes, weil es immer noch viele offene Fragen gibt. Mit einer beschäftige ich mich besonders intensiv: Wurden die Gefangenen während der Schleyer-Entführung in Stammheim abgehört? Dafür gibt es viele Indizien. Deshalb bleibt die Sache spannend. Wenn man sich heute mit Terror beschäftigt, etwa mit dem „IS“, und ihn mit der RAF vergleicht, versteht man besser, warum der Umgang damit so schwierig ist. Die RAF hatte nie mehr als 40 Mitglieder im harten Kern. Die Ermittler kannten die Schulzeugnisse, die Adressen, die Eltern. Bei den Islamisten weiß keiner, wo sie sind, wer sie sind. Das macht die Sache so komplex. Der Südwesten Deutschlands war das Stammland der RAF. Können Sie sich das erklären? Erklären kann ich es nicht. Ich kann nur an den Biografien einzelner RAF-Mitglieder erkennen, aus welchem Umfeld sie kommen. Und da sind Sie schon sehr nahe bei der Religion. Ich habe schon früher immer etwas besonders Religiöses an Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof festgestellt. Nach dem Kaufhausbrand in Frankfurt hat ein Journalist bei einem Interview Ensslins Vater, einen protestantischen Pfarrer, nach dem Verhältnis zu seiner Tochter befragt. Da hat er einen Satz geprägt, den müssen Sie sich mal überlegen. Er hat gesagt, das sei eine ganz heilige Selbstverwirklichung von seiner Tochter gewesen, also der Brandanschlag. Da ist der Schritt zum islamistischen Terrorismus nicht mehr weit. Sie kommen auf Einladung von Alexander Schweitzer nach Landau. Er ist 2,06 Meter groß. Halten Sie Ihn auch für ein großes politisches Talent? Ich habe ihn bei einem Abendessen in Berlin getroffen und da erst erfahren, dass er Fraktionschef der SPD in Rheinland-Pfalz ist. Wir haben uns schnell in ein intensives Gespräch verwickelt. Er ist wirklich ein intelligenter Typ, von dem wir künftig noch mehr hören werden. Sie kommen auch in die Heimat Helmut Kohls. Er hat irgendwann nicht mehr mit dem „Spiegel“ geredet. Hat Sie das als Chefredakteur geärgert? Helmut Kohl hat den „Spiegel“ mal für irgendeine verlorene Wahl verantwortlich gemacht, das war aber vor meiner Zeit. Da wurde ja praktisch Krieg gegen Kohl geführt. Das Verhältnis zwischen ihm und Augstein wurde erst durch die Wiedervereinigung wieder besser, weil Augstein das wirklich gewürdigt hat. Er hat damals den Satz „Glückwunsch Kanzler“ in einem seiner Kommentare geschrieben. Kohl hat trotzdem nie mehr mit dem „Spiegel“ geredet. Um Ihre Frage zu beantworten: Das hat mich nie geärgert, es war mit die erfolgreichste Zeit des Blattes. Was würden Sie Kohl sagen, wenn Sie ihn in Oggersheim treffen könnten? Ich würde ihm sagen, dass ich der Ansicht bin, dass seine Rolle, die er zur Zeit der Wiedervereinigung hatte, historisch gewaltig ist. So gewaltig wie bei kaum einem anderen deutschen Politiker. Er hat im Prinzip alles richtig gemacht, weil er es geschafft hat, zu diesen Konditionen die Einheit zu organisieren. Ich glaube, dass er im Bezug auf den historischen Absturz seiner Partei gelogen hat. Es existierten keine anonymen Spender. Er hat eine falsche Geschichte erzählt, um sich und die Partei zu schützen. Es gab wohl schwarze Konten im Ausland, von denen nach Bedarf Geld floss. Info „Alexander Schweitzer trifft … Stefan Aust“, Montag, 15. Mai, 19 Uhr, Altes Kaufhaus, Landau. Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist erwünscht unter Telefon 06341 945626 oder per E-Mail an wahlkreis@alexander-schweitzer.de. | Interview: Andreas Schlick

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