Neustadt Eine wunderbare zweite Heimat

Das „Thodé Resource Center for Girls“ unterstützt junge Mütter und ihre Kinder in Liberias Hauptstadt Monrovia und ist eines jen
Das »Thodé Resource Center for Girls« unterstützt junge Mütter und ihre Kinder in Liberias Hauptstadt Monrovia und ist eines jener Sozialprojekte, über das Patricia Gies vertieften Zugang zum Land ihres Vaters fand.

«Neustadt». Ein zwölfjähriges Mädchen aus Deutschland fliegt 1989 völlig allein mit einem Schild um den Hals nach Liberia. Es ist der Beginn einer langsamen Annäherung an das Land des unbekannten Vaters und zugleich das erste Kapitel im Roman „Willkommen daheim, Clara!“, der im Juli als Book on Demand erschienen ist, obwohl er von seiner literarischen Qualität her durchaus einen großen Verlag verdient hätte. Die Autorin Patricia Gies hieß früher Patricia Hofmann und hat 1998 am Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Neustadt Abitur gemacht. Die Geschichte von Clara ist ihre eigene.

„Ohne eine Spur von Afrika“ sei sie „in einer pfälzischen Kleinstadt“ aufgewachsen, schreibt Patricia Gies über ihre Heldin Clara im Klappentext des Buches, doch im Gespräch lässt die Autorin keinen Zweifel daran, dass diese Aussage ganz genauso für sie selbst gilt: 1976 in Homburg geboren, wuchs die heute 41-Jährige im westpfälzischen Waldmohr bei ihrer deutschen Mutter auf. Der Vater, ein Medizinstudent aus Liberia, war 1978 in seine Heimat zurückgekehrt und der Kontakt danach fast völlig abgebrochen – bis die Zwölfjährige 1989 eben jene Reise nach Monrovia durchsetzte. „Meine Mutter hat mir damit ein unglaubliches Geschenk gemacht“, sagt Patricia Gies heute. Zunächst freilich ist von dieser Begeisterung wenig zu spüren: Zu fremd ist dieses Land anfangs, zu ungewohnt die Sitten und die Einschränkungen, denen man als Kind hier ausgesetzt ist. Hinzu kommt, dass der Vater merklich auf Distanz bleibt und fast alle Entscheidungen der Stiefmutter Josephine überlässt. So steht für das Mädchen nach der Rückkehr fest: „Liberia, nie wieder.“ Erst elf Jahre später, als junge Frau, kommt Clara-Patricia erneut nach Monrovia – in ein Land, das zu dieser Zeit vom Bürgerkrieg zerrissen ist. „Der Vater hat mir den Zugang zu dieser wunderbaren zweiten Heimat geschenkt“, sagt die Autorin heute – doch im Buch überwiegt zunächst auch weiterhin die Fremdheit. Allerdings: Als die Tochter sich mit Malaria infiziert, ist der ferne Vater plötzlich da und hilft. Und Clara beginnt nun auch zu ihrer Bestimmung zu finden: Sie engagiert sich in einem Hilfsprojekt für Straßenkinder. Zu Hause in Deutschland beginnt Patricia Hofmann in dieser Zeit ein Sozialpädagogik-Studium in Darmstadt. Aber erst der dritte Aufenthalt 2012 bringt für die Autorin und ihre Hauptperson jene Nähe, jene Liebe zu Liberia, die ihr Verhältnis zu dem Land und seinen Menschen bis heute prägt und sie „mit Herz und Verstand“ erleben lässt, „dass sie in Liberia nicht nur willkommen, sondern auch beheimatet ist“. Während der Vater dabei weiter eine Leerstelle bleibt, sind es vor allem die ehemalige Stiefmutter Josephine, nun oberste Richterin des Landes, und verschiedene soziale Projekte, darunter eines für alleinerziehende junge Mütter, die ihr zur Heimat werden. Dabei ist das Land – Stichwort Ebola – auch weiterhin von Katastrophen gebeutelt. Die in drei unterschiedlichen Lebensabschnitten vollzogene Annäherung an die Heimat des Vaters beschreibt Patricia Gies sprachlich sehr versiert, lakonisch, aber auch poetisch, ohne dass es deshalb gekünstelt wirken würde, treffsicher und vor allem sehr lebendig, im Präsens. Dabei ist alles psychologisch stimmig, selbst in den kleinsten Beobachtungen, und jeweils der Perspektive des staunenden Mädchens, der jungen, nach Orientierung suchenden Frau und der gereiften, neugierigen 36-Jährigen angepasst. Um Distanz zum Geschehen zu entwickeln und den Blickwinkel zu weiten, hat die Autorin den zuerst in der ersten Person geschriebenen Text nachträglich in die dritte umgewandelt und auch die Namen verändert. Ursprünglich sei das Ganze ohnehin nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen gewesen, berichtet sie, sondern habe zunächst nur der Selbstvergewisserung und später dann für Lesungen gedient, mit denen sie Spenden für die liberianischen Sozialprojekte sammelte. Nach Neustadt kam Patricia Hofmann als 16-Jährige – weil die familiären Verhältnisse in der Westpfalz seinerzeit das Jugendamt auf den Plan riefen. Über den Jugendhof in Haßloch landete sie schließlich in einer Frauen-WG in der Fröbelstraße, zu deren Bewohnerinnen der Kontakt bis heute so eng ist, dass sie sich von einer adoptieren ließ und so zu ihrem neuen Nachnamen Gies kam. Eine andere, Rendel Freude, begleitete sie auf einer ihrer Reisen nach Liberia und steuerte jetzt für das Buch einige der dabei entstandenen Fotos bei. Ihre Laufbahn als Sozialwissenschaftlerin führte Patricia Gies schließlich an die Hochschule Fulda. Doch ihren Arbeitsvertrag dort hat sie mittlerweile ebenso gekündigt wie ihre Wohnung und ihren Handy-Vertrag, denn seit 1. September befindet sie sich auf einer ganz neuen Abenteuerreise: ohne Rückflugticket nach Nepal. „Mein Plan ist, keinen zu haben“, sagte sie kurz vor ihrem Abflug nach Kathmandu, doch es ist vielleicht kein Zufall, dass das „Thodé Resource Center for Girls“, das sie in Monrovia unterstützte, eine Partnerorganisation in Nepal hat. Lesezeichen Patricia Gies: „Willkommen daheim, Clara!“. Books on Demand, fester Einband, 124 Seiten, 16 Euro. Über ihre Erfahrungen in Nepal will Patricia Gies regelmäßig im Blog https://undclarareist.wordpress.com/ berichten .

x