Der Faktencheck Was die Corona-Gegner verschweigen

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Es macht die Kinder krank, wenn sie Masken tragen. Und es sei unnötig, behaupten die Gegner der Covid-Maßnahmen. Was ist dran an solchen Aussagen?

Stoppt die Maskenpflicht an Schulen und Bildungseinrichtungen, fordern die „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“, ein eingetragener Verein. Hier die Argumente der Corona-Kritiker und was die Forschung sagt.

Behauptung 1

„Studien belegen, dass das Tragen von Masken ernste gesundheitliche und psychosoziale Schäden verursacht.“
Fakten: Diese Aussage ist in ihrer Pauschalität falsch. Studien zu den Belastungen von Kindern und Jugendlichen beziehen sich auf die Lockdowns. So zeigen eine Umfrage unter Kinderärzten und eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, dass sich die Psyche von Kindern vor allem aus schwächeren sozialen Schichten während der Corona-Pandemie verschlechtert hat, vor allem, weil der Kontakt zu Gleichaltrigen fehlte und es öfter Streit in der Familie gab. Masken waren nicht Teil der Untersuchungen.

Dass maskentragende Erwachsene die Entwicklung von Kleinkindern verzögern könnten, halten Experten für nicht sehr wahrscheinlich. Kinder sind anpassungsfähig, ihnen genügt schon ein Teil der Mimik des Gegenübers, um dessen Emotionen einzuschätzen, belegen Untersuchungen der britischen Universität Essex.

Weder aus dem asiatischen noch aus dem muslimischen Raum, wo das Verhüllen des Gesichts kulturell stark verankert ist, gebe es Hinweise, dass eine Nase-Mund-Bedeckung schade, betont die Heidelberger Entwicklungspsychologin Sabina Pauen. Nur zu Hause oder bei längerer Betreuung sei es wichtig, den Mundschutz wegzulassen, damit Kleinkinder weiter uneingeschränkt aus den Gesichtern lesen und lernen können.

Behauptung 2

„In unseren Praxen klagen Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit dem Tragen der Masken über Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Schwindel sowie Angst- und Panikzustände. Es sind auch schon epileptische Anfälle und Kreislaufkollapse aufgetreten.“ Die Ursache sei der Sauerstoffmangel.
Fakten: Ob die genannten Symptome tatsächlich mit dem Tragen von Masken zu tun haben, lässt sich kaum objektiv überprüfen. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist der Ansicht, dass man Kindern ab dem Grundschulalter draußen eine Maske zumuten kann, wenn Eltern oder Bezugspersonen die Kleinen begleiten.

Auch Kindergartenkinder können in Risikobereichen wie einer Klinikambulanz Mund und Nase bedecken, sonst eher nicht. Wichtig sei, dass man durch den Stoff atmen könne, so die Experten. Nach Knochenmarkstransplantationen habe sich gezeigt, dass schon einjährige Patienten Masken „sehr zuverlässig“ aufsetzen.

Die Masken führen zu einem höheren Atemwiderstand, was für gesunde Kinder kein nennenswertes Problem ist. Bei Kindern mit schlechterer Lungenfunktion wegen akuter oder chronischer Atemwegserkrankungen oder wegen eines angegriffenen Herzkreislaufsystems sind Masken durchaus problematisch, so die Kinder- und Jugendmediziner. In solchen Fällen ist eine Befreiung von der Maskenpflicht möglich.

Behauptung 3

Es gebe keine wissenschaftliche Studie, „die zweifelsfrei belegt, dass Masken, so wie sie hier angeordnet sind beziehungsweise getragen werden, Schutz vor gefährlichen Viren bieten“.
Fakten: Zweifelsfreie Belege gibt es in der Wissenschaft nie, das Wesen des Forschens ist der Zweifel, er treibt die Erkenntnis voran. Entscheidend ist die Transparenz. Deshalb legt die Wissenschaft immer offen, wie sie zu ihren Resultaten kommt, damit die Methoden nachvollzogen, kritisiert und verbessert werden können.

Wie Masken und welche Masken getragen werden, verantwortet jeder Einzelne. Das können Studien schwer erfassen. Außerdem zielt die allgemeine Maskenpflicht auf den Schutz der anderen ab, nicht auf den Eigenschutz. Und da weisen Experimente mit Mund-Nasen-Bedeckungen darauf hin, dass sie die Ausbreitung von infektiösen Partikeln und Tröpfchen – Aerosolen – bremsen.

So demonstrieren einfache Laborversuche der Duke-Universität, dass schon aufwendigere Baumwollmasken andere vor einem großen Teil der eigenen Tröpfchen bewahren. FFP2-Profimasken ohne Ventil haben den besten Eigen- und Fremdschutz und halten die meisten Aerosole zurück, gefolgt von chirurgischen Masken. Schlecht weg im Test kamen Halstücher und Fleece-Schals: Vor allem Fleece zerkleinerte die Tröpfchen und verteilte mehr Aerosole.

Den Fremdschutz von Gesichtsvisieren hat etwa die Technische Hochschule Mittelhessen in Gießen bei Husten- und Niesversuchen belegt.

Eine Auswertung der kanadischen McMaster University von 172 Studien zu Abstand und Masken hat gezeigt, dass Mund- und Nasenschutz zusätzlich Sicherheit schafft. Die WHO änderte daraufhin ihre Einschätzung, dass Masken eine Pandemie nicht verlangsamen – eine Bewertung, die ursprünglich auch das Robert-Koch-Institut übernommen hatte und die auf Studien aus den 1930er und 1940er Jahren beruhte.

Behauptung 4

„Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass seit Mitte April kein einziges Sars-CoV-2-Virus mehr in den Sentinelproben nachgewiesen wurde. Die epidemische Lage nationaler Tragweite ist längst nicht mehr gegeben.“
Fakten: Auch diese Aussage vermischt unzulässig Dinge. Sentinel-Arztpraxen melden dem Berliner Robert-Koch-Institut das Grippe-Geschehen in Deutschland ehrenamtlich. In der Hochphase der Corona-Pandemie waren darunter auch einige Sars-CoV-2-Fälle.

Es ist aber nicht Aufgabe der Sentinels (auf Deutsch: Wächter), den Verlauf der Corona-Pandemie im Auge zu behalten. Neuinfektionen werden Berlin von den Gesundheitsämtern übermittelt. Und derzeit liegen die Fallzahlen so hoch wie lange nicht.

Behauptung 5

„Kinder sind und waren nie ernsthaft gefährdet durch Covid-19. Auch eine Gefährdung der Lehrer durch ihre Schüler ist so gut wie ausgeschlossen.“
Fakten: Richtig ist, Kinder haben nur sehr selten schwere bis tödliche Covid-19-Verläufe. Das bestätigen große Auswertungen weltweit oder die Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Wie gefährdet Lehrer sind, sich bei ihren Schülern anzustecken, ist unklar. Daten aus Deutschland zeigen, dass die Sars-CoV-2-Last von Kindern und Erwachsenen mit Symptomen vergleichbar ist. Eine kleine Schweizer Erhebung belegt: Kinder mit Symptomen geben in jedem Alter bei Infektionsbeginn ansteckende Viren ab.

Säuglinge scheiden nach einer Studie des Ann & Robert H. Lurie Children“s Hospital in Chicago größere Mengen an Erregern aus. Aber: Die Anwesenheit von Viren in den Atemwegen ist noch kein Beweis dafür, dass die Erreger stark verbreitet werden. Das hängt vermutlich – wie bei Erwachsenen – vom Einzelnen ab: Manche Menschen setzen mehr Viren als andere frei, warum, weiß man nicht. Diskutiert wird zum Beispiel über eine „feuchte Aussprache“.

Einer Covid-Kinderstudie aus Baden-Württemberg zufolge mit 5000 Probanden stecken sich Kinder seltener mit dem Coronavirus an als ihre Eltern. Man könne sie also nicht als Antreiber der Infektion sehen, so die Forscher. Eine Arbeit der Berliner Charité mit 3300 Kindern kommt zu dem Schluss, es gebe keine Hinweise darauf, dass Kinder bei Sars-CoV-2 nicht genauso ansteckend seien wie Erwachsene – die Befunde widersprechen sich nicht unbedingt.

Behauptung 6

„Es ist von einer breiten Hintergrundimmunität auszugehen, denn die T-Lymphozyten von über 80 Prozent der Allgemeinbevölkerung können Sars-CoV-2 aufgrund der Verwandtschaft mit anderen Coronaviren erkennen.“
Fakten: Es ist falsch, dass 80 Prozent der Deutschen immun gegen Sars-CoV-2 sind wegen vorangegangener Erkältungen, ausgelöst von harmlosen Coronaviren. Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und die Berliner Charité zeigen vielmehr in einer Laborstudie, dass ein Drittel der gesunden Teilnehmer, die noch nie Kontakt zu Sars-CoV-2 hatten, mit T-Zellen gegen das Virus reagierten. Ebenfalls getestet wurden Covid-Kranke: Ihre T-Zellen sprachen zu 85 Prozent auf Sars-CoV-2 an – was normal ist, der Körper bekämpft den Erreger ja gerade.

Andere Studien belegen eine T-Zellen-Reaktion bei 20 bis 50 Prozent der Probanden ohne Sars-CoV-2-Kontakt. Bei Kindern haben US-Studien harmlose Coronaviren entdeckt, was womöglich – neben anderen Immuneffekten – die Covid-Symptome dämpft. Vieles ist allerdings unklar.

Zudem berichten Forscher von Fällen in Belgien, den Niederlanden, den USA, Ecuador und Hongkong, wo sich einige Patienten Wochen bis Monate nach einer überstandenen Sars-CoV-2-Infektion noch einmal mit dem Virus angesteckt haben – und zwar mit einer anderen genetischen Variante. Das alles deutet nicht auf eine breite Hintergrundimmunität hin.

Behauptung 7

Die Corona-Impfungen seien unnötig und gesundheitsgefährdend.
Fakten: Die Aussage, der Impfstoff sei unnötig, ist falsch, da eine Herdenimmunität gegen das neue Virus in weiter Ferne ist. Der weitaus größte Teil der Deutschen hat noch nie mit Sars-CoV-2 Kontakt gehabt.

Die allgemeine Durchseuchungsrate mit dem neuen Coronavirus – die Prävalenz – liegt in der Bundesrepublik bei rund 1 bis 2 Prozent. In einzelnen Ansteckungshotspots wie in Heinsberg kletterte sie Tests zufolge auf 15 Prozent. Die Prävalenz meint die erfassten Fälle plus die Dunkelziffer der unentdeckten Infektionen.

So zeigt eine nicht repräsentative Untersuchung des Blutserums von 415 Teilnehmern aus Nordrhein-Westfalen, die keine Symptome und wissentlich keinen Covid-Kontakt hatten: 1,2 Prozent der Teilnehmer trugen Antikörper gegen Sars-CoV-2. Ähnlich die Ergebnisse in Baden-Württemberg mit 5000 Teilnehmern.

Die Durchseuchung kann trotzdem höher sein, denn Antikörpertests sind begrenzt aussagekräftig: Werden Antikörper nicht mehr gebraucht, baut der Körper sie ab und überlässt das Erkennen des Virus den Gedächtniszellen; sie sind schwer nachzuweisen. Zudem bildet offenbar nicht jeder Infizierte Antikörper.

Aktuellere mathematische Abschätzungen und Modelle berechnen eine Prävalenz von 2,2 Prozent – das wären insgesamt 1,8 Millionen Infizierte in Deutschland.

Bevor ein Impfstoff auf den Markt kommt, muss er seine Sicherheit mit klinischen Prüfungen in drei Phasen beweisen. Phase-III-Studien arbeiten mit Tausenden bis Zehntausenden Teilnehmern aus allen Altersschichten. Nur wenn der Nutzen eindeutig die Risiken überwiegt, wird ein neuer Impfstoff erlaubt. Das ist bei Sars-CoV-2 nicht anders.

Nach der Zulassung stehen die Impfstoffe weiter unter Kontrolle. Da die Impfstoffe gegen das neue Coronavirus sehr schnell entwickelt werden und man dabei auch gänzlich neue Wege geht, bleibt ein Restrisiko. Doch das Ziel ist wie immer, sehr seltene Nebenwirkungen mit weniger als einem Fall unter 10.000 Geimpften möglichst frühzeitig zu erkennen und dann schnell gegenzusteuern.

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