Wissen Neandertaler: Anderes Klima, neues Messer

Verschiedene Keilmesser sowie ein einfaches Messer mit Rücken (oben rechts) aus der Zeit der Neandertaler vor 60.000 bis 44.000
Verschiedene Keilmesser sowie ein einfaches Messer mit Rücken (oben rechts) aus der Zeit der Neandertaler vor 60.000 bis 44.000 Jahren, gefunden in der Sesselfelsgrotte bei Kelheim.

Klimaveränderungen kurz vor ihrem Verschwinden lösten bei den späten Neandertalern in Europa eine komplexe Verhaltensänderung aus: Sie entwickelten ihre Werkzeuge weiter.

Neandertaler lebten in einem Zeit-raum von etwa 400.000 bis 40.000 Jahren vor Christus in weiten Teilen Europas und des Nahen Ostens bis an den Rand Sibiriens. Werkzeuge stellten sie aus Holz und glasartigen Gesteinsmaterialien her, die sie zum Teil auch kombinierten, etwa um einen Speer mit einer scharfen und zugleich harten Spitze aus Stein zu versehen.

Keilmesser in verschiedenen Formen

Ab etwa 100.000 Jahren vor der heutigen Zeit war ihr Universalwerkzeug zum Schneiden und Schaben ein Messer aus Stein, bei dem der Griff bereits durch eine stumpfe Kante am Stück selber angelegt war. Solche sogenannten Keilmesser gab es in verschiedenen Formen.

Eine Forschungsgruppe der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der Università degli Studi di Ferrara (UNIFE) sind nun anhand von Funden in der niederbayrischen Sesselfelsgrotte der Frage nachgegangen, warum Neandertaler ihre Messer auf so unterschiedliche Weise herstellten. Benutzten sie die Messer für verschiedene Tätigkeiten oder stammen die Messer von verschiedenen Untergruppen der Neandertaler?

Auch Messer mit Rücken in Gebrauch

„Keilmesser sind eine Reaktion auf die hochmobile Lebensweise während der ersten Hälfte der letzten Eiszeit. Sie ermöglichten durch Nachschärfen eine lange Nutzung und waren gleichzeitig ein Universalwerkzeug – fast wie ein Schweizer Survivalmesser“, so Thorsten Uthmeier. „Dabei wird aber oft vergessen, dass es nicht nur Keilmesser gab. Messer mit Rücken aus der Zeit der Neandertaler weisen eine überraschend große Variabilität auf“, ergänzt Davide Delpiano. Mittels 3D arbeiteten sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Messerformen heraus, die in der Sesselfelsgrotte in Niederbayern gefunden worden waren, inmitten von 100.000 Artefakten und unzähligen Jagdbeuteresten des Neandertalers. Sogar die Überreste einer Neandertaler-Bestattung konnten geborgen werden.

Strategische Reaktion auf Einschränkungen

„Das technische Repertoire bei der Herstellung der Keilmesser ist nicht nur ein direkter Beweis für die hohen planerischen Fähigkeiten, sondern zugleich eine strategische Reaktion auf die Einschränkungen, die ihnen durch die Widrigkeiten der Natur auferlegt wurden“, sagt Uthmeier. Gemeint sind Klimaveränderungen nach dem Ende der letzten Warmzeit vor mehr als 100.000 Jahren. Besonders gravierende Kaltphasen während der darauffolgenden Weichsel-Kaltzeit begannen vor mehr als 60.000 Jahren und führten zu einer Verknappung der natürlichen Ressourcen. Um zu überleben, mussten die Neandertaler mobiler sein als zuvor – und ihre Werkzeuge anpassen.

Wahrscheinlich entwickelten die Neandertaler auf Grundlage der unifazialen – also einseitig gestalteten – Messer mit Rücken die auf beiden Seiten behauenen, bifazial geformten Keilmesser. „Das zeigt sich insbesondere an Übereinstimmungen an der Schneide, die in beiden Fällen aus einer flachen Unterseite und einer konvexen Oberseite besteht und vor allem für Schneidaktivitäten mit Längsbewegung geeignet war – daher ist die Bezeichnung als Messer durchaus richtig “, so Delpiano.

Zweischneidige Messer halten länger

Beide Messerarten haben offensichtlich die gleiche Funktionalität. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden untersuchten Werkzeugtypen ist die höhere Lebensdauer von Bifazial-Werkzeugen.

„Studien anderer Forschungsgruppen scheinen das zu unterstützen“, sagt Uthmeier. „An einem Mangel an Innovationsfähigkeit oder planerischen Denkens, wie manchmal behauptet, kann das Verschwinden der Neandertaler jedenfalls nicht gelegen haben“, ist er überzeugt.

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