Wissen Interview: „Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Geruch“

Professorin Andrea Büttner, Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (
Professorin Andrea Büttner, Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)

An den Düften der Vergangenheit forscht Chemie-Professorin Andrea Büttner von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) für das EU-weite Projekt „Odeuropa“.

Die Geschäftsführerin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung erhofft sich davon auch Antworten auf aktuelle Fragen. Im Interview spricht sie über die Bedeutung von Gerüchen früher und heute.

Für das Forschungsprojekt „Odeuropa“ arbeiten an der FAU Forschende aus den Geisteswissenschaften, der Chemie und den Digitalwissenschaften an einer Datenbank historischer Gerüche. Als Quelle dafür dienen alte Bilder und Texte. Gibt es, Frau Büttner, für bestimmte Zeiten „typische“ Gerüche?
Die gibt es und die sind meistens ein Abbild dessen, wie wir leben, wie wir produzieren und handeln. Man muss sich nur die Zeit vorstellen, als die Dampfmaschinen und Züge aufkamen oder als man mit großindustriellen Produktionsformen angefangen hat. Auch die Entwicklung des Bewusstseins für Hygiene und Gesundheit hat damit zu tun. In bestimmten Phasen der europäischen Geschichte hat man einfach seinen Nachttopf aus dem Fenster geschüttet, bis man realisierte, dass das mit Blick auf Seuchen etwas ungeschickt ist. Dieser Wandel äußert sich eins zu eins in regionalen Gerüchen. Und wenn man heute durch die Welt reist, findet man auch noch Orte, an denen es so riecht wie wahrscheinlich vor 500 oder 600 Jahren in Europa.

Im Zuge der Globalisierung haben wir Zugang zu fast allen Regionen und damit auch allen Aromen der Welt. Spiegelt sich das auch in unserem Alltag wider?
Das Verrückte ist: Wir denken, wir hätten alles. Aber faktisch findet eine Verarmung statt, weil wir in vielen Ländern dieser Welt in Supermärkte gehen können, wo überall das gleiche Produkt im Regal steht, das auf einen Massenmarktgeschmack ausgerichtet ist. Früher gab es viele verschiedene regionaltypische Ausprägungen von Produkten, das haben wir ein Stück weit verloren. Deswegen ist „Odeuropa“ ein guter Weg, den Leuten vor Augen zu führen, dass man früher von einem Ort zum nächsten marschieren konnte und da gab es beispielsweise komplett unterschiedliche Käsesorten.

Sie forschen auch daran, wie man Erkrankungen über spezifische Geruchsprofile erkennen kann. Gibt es dafür technische Lösungen, auf die Ärztinnen und Ärzte zurückgreifen können, um nicht an jedem Patienten schnuppern zu müssen?
Es gibt Sensorsysteme, damit so etwas maschinell erfasst werden kann. Die Herausforderung im Moment ist, dass das eher Hinweissysteme sind und es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Mit anderen diagnostischen Methoden muss man dann weiter nachbohren. Aber das ist eine völlig unterschätzte Funktion des Geruchssinns, die früher sicher eine größere Rolle gespielt hat, als man nicht überall einen Arzt in der Nähe hatte.

Im Internet

Projekt Odeuropa: https://odeuropa.eu/

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