Wissen Fake News: Die Wirklichkeit zurechtbiegen

Zu den bekanntesten Verschwörungstheorien zählt, dass die Mondlandung am 21. Juli 1969 nur eine spektakuläre Inszenierung war.
Zu den bekanntesten Verschwörungstheorien zählt, dass die Mondlandung am 21. Juli 1969 nur eine spektakuläre Inszenierung war.

Menschen, die die Existenz von Fakten abstreiten, glauben häufiger an Verschwörungstheorien. Besonders oft betroffen sind Frauen und Männer mit stark negativen Persönlichkeitsmerkmalen; zum Beispiel rücksichtslose Egoisten.

„Einige Menschen schenken Fake News Glauben, selbst wenn die wissenschaftlichen Fakten eindeutig dagegensprechen“, erläutert der Psychologe Jan Philipp Rudloff, der eine Studie am Institut Mensch-Computer-Medien der Universität Würzburg geleitet hat. Erforscht werden sollte, warum das so ist und welche Rolle dabei Vorstellungen über das Wesen von Wissen und Fakten spielen.

Rudloff hat mit seinem Team zu dieser Frage ein umfangreiches Experiment erarbeitet. Darin konfrontierten er und sein Professor, der Kommunikationspsychologe Markus Appel, mehr als 600 Versuchspersonen aus den USA mit verschiedenen Kurznachrichten; ein Beispiel dafür: „In den ersten drei Jahren unter Trump wurden 1,5 Millionen weniger Jobs geschaffen als in den letzten drei Jahren von Obamas Amtszeit.“ Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen beurteilen.

Bauchgefühl abgefragt

Im Anschluss daran füllten sie einen umfangreichen Fragebogen aus. Darin sollten die Probanden unter anderem angeben, wie stark sie bei der Bewertung von Behauptungen ihrem Bauchgefühl vertrauen, wie wichtig für sie handfeste Beweise sind und wie sehr sie annehmen, dass Politik, Wissenschaft und Medien Tatsachen je nach Interessenslage „fabrizieren“. „Wir fassen diese Aspekte auch unter dem Begriff ,epistemische Überzeugungen’ zusammen“, erklärt Rudloff – epistéme stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Erkenntnis“ oder „Wissen“.

Unterschied zwischen Fakten und Meinungen wird negiertZusätzlich klopfte der Fragebogen ab, wie wichtig den Versuchspersonen die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen – auch auf Kosten ihrer Mitmenschen – war. Diese Eigenschaft wird auch als der „dunkle Faktor der Persönlichkeit“ bezeichnet. Sie gilt als Kern verschiedener dunkler Persönlichkeitsmerkmale wie Narzissmus, Psychopathie oder Machiavellismus (wonach für politische Macht jedes Mittel erlaubt ist). „Jeder ist bis zu einem bestimmten Grad eigennützig. Problematisch wird es, wenn diese Fixierung aufs eigene Wohl so stark ist, dass dabei das der Mitmenschen keine Rolle mehr spielt“, so Rudloff.

Es wird nicht unterschieden

Bei der Auswertung der Daten zeigte sich: Je weniger die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an die Existenz von Fakten glaubten, desto schwerer fiel es ihnen, wahre Aussagen von falschen zu unterscheiden. Hinzu kam noch eine zweite Auffälligkeit: Je „dunkler“ die Persönlichkeit der Versuchspersonen, je ausgeprägter also ihr Eigennutz auf Kosten anderer, desto stärker zogen sie in Zweifel, dass es einen Unterschied zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und bloßen Meinungen gibt.

„Man könnte ihre Überzeugungen als postfaktisch bezeichnen; sie glauben vor allem das, was sich für sie wahr anfühlt. Menschen mit ,dunklen’ Persönlichkeitsmerkmalen biegen sich die Wirklichkeit so zurecht, wie sie ihnen passt. Also etwa: Ich trage keine Maske, weil das Coronavirus ja eh nur eine Erfindung der Medien ist“, erklärt Jan Philipp Rudloff. Diese Verdrehung der Tatsachen aus eigennützigen Motiven funktioniere besonders gut, wenn jemand ohnehin der Überzeugung sei, dass es keine unabhängigen wissenschaftlichen Fakten gibt.

Beweise werden nicht anerkannt

In einer anderen, im Frühjahr 2022 erschienenen Studie konnten Rudloff und Appel mit Fabian Hutmacher vom Lehrstuhl für Kommunikationspsychologie und Neue Medien bereits zeigen, dass Menschen mit dunkler Persönlichkeit während der Pandemie eher Verschwörungstheorien anhingen. Rudloff betont aber, dass keineswegs nur diese Gruppe dafür empfänglich ist. „Ausschlaggebend sind stets die epistemischen Überzeugungen“, sagt er. „Wer nicht an die Kraft stichhaltiger Beweise und Argumente glaubt, der lässt sich auch durch den beeindruckendsten Faktencheck nicht umstimmen – unabhängig davon, wie es um seine sonstigen Persönlichkeitseigenschaften bestellt ist. Das gilt für Falschnachrichten ebenso wie für Verschwörungstheorien“, stellten die drei Wissenschaftler gemeinsam fest.

In Krisen können die Folgen gravierend seinIn der Psychologie gehe man heute davon aus, dass sich grundsätzliche Vorstellungen während Kindheit und Jugend entwickeln und verfestigen. Für kleine Kinder gebe es in vielen Punkten nur schwarz oder weiß: Eine Idee sei gut oder schlecht, eine Behauptung wahr oder falsch. Später lernten sie, zu differenzieren: Ob jemand Beethoven mag oder auf Schlager steht, ist Geschmackssache. In dieser Zeit neigten sie dazu, unterschiedliche Meinungen als gleichwertig zu sehen – auch solche zu objektivierbaren Fragen wie der nach der Existenz des menschengemachten Klimawandels.

In Krisen gravierend

„Irgendwann lernen wir im besten Fall, unterschiedliche Positionen zu bewerten. Nach dem Motto: Es gibt unterschiedliche Meinungen, aber manche lassen sich besser belegen als andere“, sagt Rudloff. Diesen Schritt gehe aber nicht jeder. In Situationen wie dem Klimawandel oder auch bei Covid-19, in denen es auf eine rationale Einschätzung der Argumente ankomme, könne dieses Defizit gravierende Konsequenzen haben.

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