Wirtschaft Wie treffsicher sind Fußball-Prognosen?

Joshua Kimmich (Mitte) gilt mit einem Marktwert von 90 Millionen Euro als der derzeit wertvollste deutsche Nationalspieler. Serg
Joshua Kimmich (Mitte) gilt mit einem Marktwert von 90 Millionen Euro als der derzeit wertvollste deutsche Nationalspieler. Serge Gnabry (rechts) kommt auf 70 Millionen Euro, Marcel Halstenberg (links) auf 14 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de).

Volkswirte, Mathematiker, Sportsoziologen – mit viel Sachverstand und einer gehörigen Portion Begeisterung berechnen allerhand Experten Ergebnisse von Fußballspielen. Hat Deutschland Chancen auf den Europameistertitel?

Deutschlands Fußball-Fans können aufatmen: Anders als bei der verkorksten Weltmeisterschaft 2018 dürfte das Team von Bundestrainer Joachim Löw bei der diesjährigen Europameisterschaft die Vorrunde überstehen. Die fußballbegeisterten Volkswirte der Dekabank haben mit standesgemäßer Akribie ausgerechnet: Die Wahrscheinlichkeit für ein Scheitern der DFB-Elf noch vor dem Achtelfinale liege „nur bei gut 20 Prozent“. Und das, obwohl die deutsche Nationalmannschaft mit Titelverteidiger Portugal, dem amtierenden Weltmeister Frankreich und Ungarn womöglich die schwierigste Gruppe erwischt hat.

Allerdings: Schon im ersten K.o.-Spiel könnte nach Berechnungen der Deka-Experten für Deutschlands Fußballer das Turnier beendet sein – ausgerechnet gegen England. Dabei hatte doch der frühere englische Weltklasse-Fußballer Gary Lineker einst festgehalten: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“

„„Fußball hat viel mit Zufall zu tun“

Marktwert von Spielern und Teams, Rangliste, historische Ergebnisse – die Deka-Ökonomen sind nicht die einzigen, die anhand solcher Faktoren Ergebnisse von Fußballspielen vorhersagen. Der Frankfurter Mathematik-Didaktiker Matthias Ludwig betreibt mit seinem Team seit 2012 das Portal „fussballmathe.de“. Der Physiker Andreas Heuer aus Münster erklärt auf der Webseite „www.kickform.de“, ob und wie man Ergebnisse von Fußballspielen berechnen kann.

Zur WM 2018 mussten die Zahlenjongleure um Ludwig einräumen: „Mit Pauken und Trompeten ist die deutsche Mannschaft als Gruppenletzter ausgeschieden. Da konnten wir rechnen, wie wir wollten. Aber Moment: Haben wir uns verrechnet?“ Rückblickend bilanziert Ludwig: „60 Prozent der Ergebnisse sagen wir von der Tendenz her korrekt voraus.“ Das reiche zwar nicht, um ein Tipp-Spiel zu gewinnen, sagt Ludwig. Aber es demonstriere nicht nur Schülern, wie viel Spaß solche Zahlenspiele machten. „Fußball hat viel mit Zufall zu tun, weil so wenige Tore fallen“, erklärt der Mathematik-Professor. „Zum Glück, sonst würde es ja kaum einer anschauen.“ Was die deutsche Mannschaft im aktuellen Turnier angeht, bleibt Ludwig defensiv: „Die deutsche Mannschaft sollte als Gruppenzweiter ins Achtelfinale einziehen. Wenn sie es dann ins Viertelfinale schafft, bin ich zufrieden.“

Geld als Erfolgsfaktor

Treffsicher freilich sind Prognosen nicht immer, da mögen die Berechnungsmodelle noch so ausgeklügelt sein. Die Dekabank-Volkswirte bauen in ihrer EM-Analyse vor: „Als Mitarbeiter im Makro Research ist man es nicht nur gewohnt, für alle möglichen zukünftigen Ereignisse eine Prognose abzugeben. Man kann üblicherweise hinterher auch genau erklären, warum diese Vorhersage dann doch nicht ganz zutreffend war.“

Herauskristallisiert hat sich über die Jahre, dass Geld im Milliardengeschäft Fußball ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. „Man sieht seit einigen Jahren, dass Marktwerte die Leistungsfähigkeit von Spielern immer genauer abbilden können“, erklärte der Gießener Sportsoziologe Michael Mutz, der zusammen mit Berliner Kollegen unter anderem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Vergangenheit mehrfach Prognosen über den Ausgang von Fußball-Turnieren und Fußball-Ligen publiziert hat.

Die vergleichsweise einfache Formel dafür: Während der Marktwert das sportliche Leistungspotenzial eines einzelnen Fußballers abbildet, ist eine Mannschaft die Summe der Marktwerte aller Einzelspieler. Demnach sollte die teuerste Mannschaft auch die potenziell spielstärkste sein und deshalb auf die höchste Wahrscheinlichkeit kommen, das Turnier zu gewinnen.

England hat den teuersten Kader

Tatsächlich gewannen die Teams mit den seinerzeit höchsten Marktwerten die Fußball-WM 2006 (Italien) und 2010 (Spanien), Spanien holte als damals teuerstes Team auch die Europameistertitel 2008 und 2012. Bei der WM 2014 waren gemessen an den Marktwerten Spanien und Deutschland favorisiert, den Titel holte bekanntermaßen das DFB-Team mit dem seinerzeit zweitteuersten Kader.

„Den teuersten Kader hat – Stand heute – die englische Mannschaft, dann kommen Frankreich und Deutschland“, erklärt Mutz. Wird England also Fußball-Europameister 2021? „Bei Turnieren spielen Zufall und Glück eine größere Rolle. Es ist daher schwieriger, den Sieger vorherzusagen“, schränkt Mutz ein.

Podolski: „Manchmal gewinnt der Bessere“

Sicher ist jedenfalls: Bei der „Uefa Euro 2020“, die wegen der Corona-Pandemie mit einem Jahr Verspätung am vergangenen Freitag angepfiffen wurde, spielen 24 Mannschaften in elf Ländern um einen Pokal. „In einem Fall würde ich mich festlegen“, wagt Sportsoziologe Mutz einen Tipp mit Blick auf die deutsche Mannschaft: „Es gibt einen Sieg gegen Ungarn in der Vorrunde. Da muss sich der höhere Marktwert einfach durchsetzen.“

Getreu der Philosophie von Ex-Nationalspieler Lukas Podolski: „So ist Fußball. Manchmal gewinnt der Bessere.“

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