Technik Vom Reifenflicken zum Smartphone

Cai Rong Lim (r), früher Bereichsleiterin in der Produkt- und Technologie-Entwicklung bei Tesa prüft in einem Labor in der Nähe
Cai Rong Lim (r), früher Bereichsleiterin in der Produkt- und Technologie-Entwicklung bei Tesa prüft in einem Labor in der Nähe von Hamburg ein transparentes Klebeband.

Ohne filigrane Klebebänder wären Smartphones nicht denkbar. Bis zu 70 teils hauchdünne Klebefilme stecken in einem modernen Telefon. Sie haben nichts mehr gemein mit dem grobschlächtigen Urahn des technischen Klebebandes, das auf einem Umweg an den Markt kam.

Ein Stück Technikgeschichte beginnt mit einem Flop: In der 1890er-Jahren arbeitet der experimentierfreudige Apotheker Paul Beiersdorf in Hamburg an einem Wundpflaster. Das Pflaster soll hervorragend geklebt haben, aber wohl so gut, dass es die Haut schädigte. Apotheker Oscar Troplowitz, der Beiersdorfs kleines Labor übernommen hat, gibt der Erfindung dennoch eine Chance, wenngleich für einen ganz anderen Einsatzzweck: 1896 bringt er das Pflaster auf den Markt. Als „Cito-Sportheftpflaster auf Spulen – für Radfahrer, Reiter u. Touristen“ soll es etwa Radfahrern helfen, Reifen zu flicken.

Aus Pflaster wird Lassoband

Das Pflaster gilt damit als Urahn technischer Klebebänder, ohne die 125 Jahre später vom Smartphone bis zum Flugzeug praktisch kein Produkt denkbar wäre – und es ist die Wiege der heutigen Beiersdorf-Tochter Tesa SE, eines der weltweit führenden Unternehmen in Sachen Klebetechnologie.

Dass Fahrradreifen geflickt werden müssen, war damals ein neues Problem: Erst 1888 hatte der britische Arzt John Boyd Dunlop einen mit Luft gefüllten Fahrradreifen zum Patent angemeldet. Zuvor rumpelten Radfahrer auf Vollgummireifen über Wege und Straßen. Für Tesa ein Beispiel für Troplowitz’ „gutes Gespür“ für Trends und den Bedarf an Innovationen als Problemlöser. 1906 entwickelte Beiersdorf aus dem Cito-Pflaster das „Lassoband“ zum Verschließen von Dosen. In den 1930ern kamen „Federschutzgamaschen“, Klebebinden, die Fahrzeugfedern vor Dreck und Rost schützen sollten.

Auch bei anderen Branchengrößen spielte der Zufall beim Einstieg ins Klebebandgeschäft eine Rolle, wie etwa in den 1920er-Jahren beim US-Technologiekonzern 3M, dessen Anfänge in der Herstellung von Schleifpapieren wurzeln. „Beim Testen von Schleifmittelproben in einer Karosseriewerkstatt stellte Laborassistent Richard Drew fest, dass Lackierer Probleme beim Abkleben von Autoteilen hatten. Er kam auf eine Idee, die zur Erfindung des Abdeckbands führte“, schreibt der Konzern in seiner Firmenhistorie. „Das Klebeband war ein Erfolg und die Produktlinie der Marke Scotch war geboren.“ 3M war bereits 1930 mit der Erfindung eines transparenten Klebefilms am Start – ein paar Jahre bevor in Hamburg „Beiersdorfs-Kautschuk-Klebefilm“ eingeführt wird, der Urahn des „Tesafilms“.

Innovative Technologie

„Die Klebtechnik gilt heute als die innovative Verbindungstechnologie des 21. Jahrhunderts“, heißt es beim Industrieverband Klebstoffe. „Das Potenzial der Klebstoffindustrie ist weder technologisch noch marktmäßig auch nur annähernd ausgeschöpft.“ Neben Klebstoffen kommen dabei zum Beispiel im Automobilbau, der Elektronik oder am Bau technische Klebebänder zum Einsatz, die nicht nur unsichtbare Verbindungen schaffen, sondern je nach Bedarf zum Beispiel auch isolieren, Strom leiten, Daten speichern oder Stöße abdämpfen können. „Klebeband ist oft der versteckte Motor, der Innovationen im Produktdesign ermöglicht. Mit Klebeband können Sie Produkte dünner, leichter und ansprechender machen oder funktionale Merkmale hinzufügen“, heißt es beim Europäischen Klebebandverband Afera. „Beispielsweise können allein in einem modernen E-Mobil mehr als 130 Klebebänder verbaut sein – und in einem Handy rund 70“, sagt ein Tesa-Sprecher.

Daten zum Markt für technische Klebebänder und der Position einzelner Branchengrößen wie 3M oder Avery Dennison (USA), Nitto (Japan) oder Tesa sind kaum zu bekommen. Afera schätzt allein den europäischen Gesamtmarkt für Kleb- und Dichtstoffe auf 17 Milliarden Euro, mit einer geschätzten Wachstumsrate von jährlich 4 Prozent. Allein in Deutschland taxiert der Industrieverband Klebstoffe die Produktion auf jährlich mehr als 1,5 Millionen Tonnen sowie eine Milliarde Quadratmeter Klebebänder und -folien.

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