Meinung Stuttgart 21: Aufpreis für Milliardengrab

Bei dem Projekt „Stuttgart 21“ sind die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen.
Bei dem Projekt »Stuttgart 21« sind die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen.

Die Finanzierung der Bahn-Infrastruktur ist ein groteskes Sammelsurium von Ungereimtheiten. Kunden der Bahn und ihrer Wettbewerber droht künftig eine Art inoffizieller Stuttgart-21-Zuschlag bei der Schienen-Maut.

Das Schienennetz der Deutschen Bahn (DB) gehörte bei den Verhandlungen über die Bildung einer Ampelkoalition zu den stark umstrittenen Themen. Pläne von FDP und Grünen, das Netz vom DB-Konzern abzutrennen, scheiterten am Widerstand der SPD. Als Kompromiss sieht der Koalitionsvertrag nun vor, dass die DB-Infrastrukturtöchter für Netz und Bahnhöfe zusammengelegt werden und künftig keine Gewinne mehr an den DB -Konzern abführen sollen.

Es ist schwer zu verstehen, dass die DB Netz AG einerseits stark von Bundeszuschüssen abhängt, andererseits aber oft einen Bilanzgewinn ausweist und Gewinne abführt. Die Finanzierung der Infrastruktur seit der Bahnreform von 1994 ist ein Sammelsurium von Ungereimtheiten. Der größte Webfehler der Bahnreform war die Annahme (oder Illusion), dass sich der Unterhalt des Schienennetzes allein aus von Verkehrsunternehmen gezahlten Trassengebühren finanzieren lässt. Dies führte zu einem Verfall der Schieneninfrastruktur, die ihren Höhepunkt Ende der 1990er-Jahre erreichte. Damals drohte der Kollaps des Bahnverkehrs durch Streckensperrungen und Langsamfahrstellen. Als der damals neue Bahnchef Hartmut Mehdorn diese Situation im Jahr 2000 kurz nach seinem Amtsantritt offenlegte, erreichte er, dass durch ein Sonderprogramm des Bundes, für das indirekt Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen zur Verfügung standen, die größten Versäumnisse aufgearbeitet werden konnten.

Perspektive für Erneuerung des Schienennetzes

Nach Auslaufen des Sonderprogramms verschärften sich die Probleme aber wieder. In Etappen gebessert hat sich die Situation durch die ab 2008 geschlossenen Verträge zwischen Bund und DB, die im Fachjargon LuFV (für Leistungs-und Finanzierungsvereinbarung) genannt werden. Die jüngste, für die Jahre 2020 bis 2029 abgeschlossene, LuFV III hat mit steigenden Bundesmitteln die Voraussetzungen für eine Erneuerung des Bestandsnetzes eröffnet, die nun allerdings durch die jüngsten Baupreissteigerungen wieder gefährdet ist.

Mehrkosten bleiben an der DB hängen

Erhebliche finanzielle Belastungen drohen der DB zudem durch das Milliardengrab „Stuttgart 21“. Hier passierte Ähnliches wie zuvor schon bei der ICE-Strecke Nürnberg–Ingolstadt. Auf Druck des Eigentümers Bund verpflichtete sich die DB, ein politisch von der Bundesregierung gewünschtes Projekt zu für die DB extrem nachteiligen Konditionen zu bauen. Die Mehrkosten blieben und bleiben an ihr hängen. Impliziter Teil dieses Deals war wohl die Perspektive, dass sich die DB später einmal ihre Mehrkosten über die Trassengebühren (Schienen-Maut) zurückholen kann. Praktisch bedeutet das, dass jeder Zug (und damit jeder Kunde der DB und ihrer Wettbewerber) eine Art unfreiwillige Stuttgart-21-Abgabe zahlen müsste. Solange Parteien, die „Stuttgart 21“ befürworten (Union, SPD und FDP), an der Bundesregierung beteiligt sind, besteht seitens der Regierenden allerdings keinerlei Interesse, diese Zusammenhänge zu thematisieren. Am ehesten hätte das wohl ein grüner Verkehrsminister wie Anton Hofreiter getan, der sicher auch deswegen SPD und FDP sehr unwillkommen gewesen wäre.

Eine Stuttgart-21-Abgabe als Aufschlag auf die Schienen-Maut wirkt im aktuellen Klimaschutz-Kontext noch absurder als früher. Aus Klimaschutz-Gründen wäre es wichtig, zur Förderung des umweltschonenden Schienenverkehrs die Trassengebühren zu senken anstatt sie immer weiter zu erhöhen. Hierzu findet sich im Ampel-Koalitionsvertrag aber nur eine wachsweiche Formulierung mit Haushaltsvorbehalt. Wenn DB Netz keine Gewinne mehr abführen muss, kann das den Druck zu weiteren Trassenpreiserhöhungen etwas reduzieren, aber das Problem der unzureichenden Netzfinanzierung wird so nicht gelöst.

Bahnverkehr: Schlüsselfaktor Schienen-Maut

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