Verkehr Pendler, Ausflügler, Radfahrer, Familien: Wem das 9-Euro-Ticket was bringt

Das 9-Euro-Ticket ist ein beispielloser Versuch, Pendler zu entlasten und von einem Umstieg auf die Bahn zu überzeugen.
Das 9-Euro-Ticket ist ein beispielloser Versuch, Pendler zu entlasten und von einem Umstieg auf die Bahn zu überzeugen.

Der Verkauf des 9-Euro-Tickets hat begonnen. So billig war Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) in ganz Deutschland wohl noch nie. Doch für wen lohnt sich das Ticket?

Für nur 9 Euro im Monat bundesweit Bus und Bahn fahren im Nahverkehr – das soll von Juni an möglich werden. Es ist ein beispielloser Versuch, Pendler zu entlasten und von einem Umstieg auf die Bahn zu überzeugen. Befürworter sehen eine große Chance für mehr klimafreundlichen Verkehr – Kritiker fürchten ein Strohfeuer und warnen, dass übervolle Busse und Bahnen mögliche neue Nutzer eher abschrecken. Das Ticket ist ab sofort erhältlich.

Welche Kunden haben überhaupt etwas vom 9-Euro-Ticket?

ÖPNV-Stammkunden: Für Pendler mit Abo für den Nahverkehr, mit Monats- oder Jahreskarte lohnt es sich in jedem Fall. Ihnen werden für die Monate nur 9 Euro abgebucht beziehungsweise sie erhalten automatisch eine Erstattung. Viele Verkehrsverbünde hoffen, mit den drei günstigen Start-Monaten dauerhafte Abo-Kunden zu gewinnen.

Auto-Pendler: Drei Viertel der Haushalte, die regelmäßig ein Auto nutzen, hielten in einer KfW-Umfage im Winter einen häufigeren Wechsel auf Busse und Bahnen für vorstellbar. Gut bedient mit einem Umstieg sind diejenigen von ihnen, die passende Bus- und Bahn-Verbindungen zur Arbeit haben, etwa in Ballungsräumen, Großstädten und vielen Mittelstädten. Sie sparen bares Geld, wenn sie ihren Wagen stehen lassen und öffentlich fahren. Denn das 9-Euro-Ticket kostet je Werktag weniger als 50 Cent. So günstig kommt man mit dem Auto kaum hin und her.

Ausflügler: Für viele Tages- und Wochenendausflüge, selbst für manche Urlaubsreise in Deutschland kann sich der Kauf lohnen. Touristiker rechnen mit großem Andrang. Zum Start und Abschluss langer Wochenenden wie zu Pfingsten (5./6. Juni) und Fronleichnam (16. Juni) rechnet der Fahrgastverband Pro Bahn jedoch mit Chaos in den Zügen Richtung Küste und Berge.

Dorfbewohner: Nicht so viel bringt das Aktionsticket für Bus und Bahn, wenn am Wohnort nur selten Busse oder gar Züge halten. Das ist in vielen Dörfern der Fall. An mehr als jeder dritten Haltestelle kann man nach Berechnungen der Bahn-Tochter Ioki weniger als einmal pro Stunde in die eine oder die andere Richtung fahren. Man kann auch dort Sprit und Parkgebühren mit dem 9-Euro-Ticket sparen, muss zeitlich aber sehr flexibel sein.

Radfahrer: Das hängt stark von Reisetag und -uhrzeit ab. Es könnte für Fahrgäste mit Rad mitunter eng werden in den Zügen. Denn die Anzahl der Stellplätze ist begrenzt. Wenn es zu voll wird, kann das Zugpersonal entscheiden, keine weiteren Fahrräder einzulassen – auch wenn die Besitzer schon ein Extra-Ticket fürs Rad gekauft haben. Das brauchen sie in den meisten Verkehrsverbünden ohnehin, denn im 9-Euro-Ticket ist die Mitnahme des Drahtesels nicht enthalten.

Familien: Laut Deutscher Bahn brauchen 6- bis 14-Jährige ein eigenes 9-Euro-Ticket oder einen anderen Fahrschein; die kostenfreie Mitnahme ist beim 9-Euro-Ticket ausgeschlossen. Kinder unter sechs Jahren reisen generell kostenfrei. Wer viele Kinder hat und nur einmalig einen Ausflug machen möchte, ist möglicherweise mit einem normalen Ticket besser bedient; es beinhaltet die kostenfreie Mitnahme von Kindern bis 14 Jahren.

Fernreisende und Fernpendler: Das 9-Euro-Ticket gilt nicht im Fernverkehr, also weder in ICE, Intercity und Eurocity noch in den Nachtzügen unterschiedlicher Anbieter, noch in Flixtrain oder Flixbus. Das DB-Fernverkehrsticket beinhaltet in 130 deutschen Städten außerdem das sogenannte City-Ticket: die kostenlose Anfahrt zum Bahnhof und Weiterfahrt zum Zielort mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch hierfür ist das 9-Euro-Ticket dort nicht nötig.

Wann gilt das 9-Euro-Ticket?

Das Ticket soll ab dem 1. Juni gelten – und dann jeweils im Juni, Juli und August für den jeweiligen Kalendermonat. Nicht möglich sind also gleitende Vier-Wochen-Zeiträume, etwa von Mitte Juli bis Mitte August. Fahren kann man bundesweit in allen Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen und Zügen des Nah- und Regionalverkehrs – egal ob von der Deutschen Bahn oder anderen Anbietern. Nicht genutzt werden kann der Fernverkehr. Das Ticket gilt nur für die 2. Klasse.

Wo kann man das Ticket kaufen?

Bei der Bahn und viele Verkehrsverbünden soll das Ticket ganz normal an Automaten, Ticketschaltern oder online zu haben sein. Die Branche plant auch eine gemeinsame Internet-Verkaufsplattform. Das Ticket ist auch beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar (RNV) erhältlich: in der Handy-Ticket-App, im Online-Shop der RNV sowie in der eTarif-App oder an VRN-Ticketautomaten und in den Mobilitätszentralen in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg sowie an allen Verkaufsstellen.

Wie sind die Konditionen?

Das Ticket kostet pauschal 9 Euro für beliebig viele Fahrten im Kalendermonat. Zu haben sein sollen auch Tickets für alle drei Monate auf einen Schlag, wie es bei der Deutschen Bahn heißt. Einen Bahncard-Rabatt auf die 9 Euro gibt es nicht.

Job-, Schüler-, Semesterticket: Was müssen Zeitkarten-Inhaber jetzt tun?

Wer schon ein Monats- oder Jahresabo hat, soll in den drei Monaten nur mit jeweils 9 Euro belastet werden. Die Kunden müssen dafür nicht von sich aus aktiv werden. Sie bekommen Nachricht von ihrem Anbieter oder dem Verkehrsverbund, wie die Verrechnung konkret aussieht: über eine Reduzierung des Bankeinzugs oder per Erstattung der Differenz.

Im Gebiet des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN) gilt das zum Beispiel auch für Job-, Semester- und Schüler-Tickets (Maxx-Ticket), die im Zeitraum Juni bis August dann deutschlandweit im Nahverkehr genutzt werden können.

Kann man Plätze reservieren?

Nein. Reservierungsmöglichkeiten gibt es in der Regel nur im Fernverkehr. Das 9-Euro-Ticket gilt aber im Nahverkehr.

Drohen überfüllte Busse und Bahnen?

Ein Nischenangebot ist der ÖPNV schon bisher nicht. Allein bei der bundeseigenen Bahn fuhren im vergangenen Jahr pro Tag mehr als drei Millionen Fahrgäste in knapp 22.000 Regionalzügen. Morgens und abends im Berufsverkehr herrscht in Ballungsräumen ziemliches Gedränge auf vielen Linien – an Sommerwochenenden sind Regionalbahnen ins Grüne generell gut gefüllt. Die Billigtickets fallen nun in die Ferienzeit, in der Schulkinder, Pendlerinnen und Pendler zeitweise nicht fahren. Manche könnten das Ticket aber für Ausflüge und Urlaubsreisen nutzen.

Wie groß wird der Andrang?

Genau weiß das niemand. Zu rechnen sei wohl mit ungefähr 30 Millionen Ticket-Nutzern pro Monat, erläuterte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Dies sei aber nur eine Schätzung.

Politik und Branche setzen darauf, dass die spektakuläre Aktion jetzt viele dazu bringt, sich überhaupt einmal richtig damit zu befassen, wann und wie Busse und Bahnen im Umkreis eigentlich fahren. Ungewiss ist auch, wie sich eine parallele Entlastung an Tankstellen auf die Umsteigelust unter Autofahrern auswirkt. Denn ebenfalls vom 1. Juni bis 31. August soll die Energiesteuer heruntergesetzt werden. Der Steuersatz für Benzin soll so um fast 30 Cent sinken, für Diesel um 14 Cent.

Fahren denn ab 1. Juni auch mehr oder längere Züge?

Die Branche will alles auf Schiene und Straße bringen, was rollt. Auf einen Schlag und für begrenzte drei Monate in großem Stil Extra-Fahrzeuge zu ordern und Fahrpersonal dazu, geht aber nicht.

Aktiviert werden sollen Reserven, „die aber nicht in einer nennenswerten Größenordnung“ vorhanden sind, erläuterte der Verband der Verkehrsunternehmen. Die Bahn macht nach Betriebsratsangaben wohl 40 bis 50 zusätzliche Doppelstockwagen betriebsbereit, viel mehr sei nicht drin. Mehr Aufwand dürfte zum Beispiel auch bei Reinigung und Service entstehen.

Warum ist das Ticket nicht gleich kostenlos?

Diesen Vorschlag hatte es aus den Ländern tatsächlich gegeben. Einfach auf Tickets zu verzichten – und damit auch auf Kontrollen – hätte den Aufwand deutlich gesenkt, lautete eine Argumentation. Ein Grund, dass nun ein kleiner Geldbetrag verlangt wird, ist aber auch der Blick über das Ende der Aktion hinaus. Bei zahlenden Kunden lässt sich die Nutzung besser analysieren.

Geplant sind Befragungen der Fahrgäste. Wer nutzt auf welchen Strecken Busse und Bahnen, wenn es deutlich günstiger ist? Das ist für die Verkehrsbetriebe und die Politik eine spannende Frage – auch wenn es künftig kaum bei 9 Euro pro Monat bleiben dürfte.

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