Wirtschaft Mysteriöse Hamsterkäufe bei Kondomen

Ein Mitarbeiter bei CPR zieht Kondome auf eine Metallvorrichtung, um die Warenqualität einer Stichprobe zu überprüfen.
Ein Mitarbeiter bei CPR zieht Kondome auf eine Metallvorrichtung, um die Warenqualität einer Stichprobe zu überprüfen.

Die Pandemie hat den Umsatz mit Präservativen schlagartig steigen lassen. Zwei der drei großen Produzenten in Deutschland berichten von einer anhaltend erhöhten Nachfrage. Allerdings ist mit der Prostitution vorerst ein großer Markt weggebrochen. Was aber steckt hinter den Hamsterkäufen im März?

Die Deutschen haben sich zu Beginn der Corona-Krise nicht nur mit Klopapier und Nudeln, sondern auch mit Kondomen eingedeckt. Der Kondom-Hersteller Ritex aus Bielefeld zum Beispiel meldete für den März eine Verdoppelung des Umsatzes im Vergleich zum gleichen Vorjahresmonat. Waren dies nur Hamsterkäufe oder haben Paare häufiger Sex, weil sie coronabedingt mehr Zeit zu Hause verbringen? Und verzichten Singles wegen der Abstandsregel auf intime Verabredungen? Studien gibt es dazu noch nicht, doch die Verkaufszahlen der drei Hersteller in Deutschland geben einige Hinweise.

In Sarstedt südlich von Hannover läuft die Produktion bei CPR rund um die Uhr, pro Sekunde werden etwa acht Kondome produziert. Zusammen 7000 Glasformen werden in flüssigen Kautschuk getaucht, der Latexfilm setzt sich an den Gläsern ab und wird fest. Zum Schluss werden die Gummis mit Bürsten abgestreift, gewaschen und verpackt.

Keine Lieferprobleme

Das Unternehmen produziert Eigenmarken für Drogerie- und Lebensmittelmärkte und hat einen eigenen Online-Shop. „Dort merken wir seit Corona eine gestiegene Nachfrage, dafür ist die Prostitution komplett weggebrochen“, berichtet CPR-Geschäftsführer Michael Kesselring. Nach seiner Einschätzung macht der käufliche Sex rund 20 Prozent des Kondommarktes in Deutschland aus. Lieferschwierigkeiten für den deutschen Markt sieht er derzeit nicht. Dagegen könnten Produktionsstätten in Asien wegen der Corona-Pandemie Probleme bekommen.

Kesselring gründete seine Firma 1987. Zu Beginn der Aids-Epidemie seien Kondome das „Produkt der Stunde“ gewesen, so wie es heute der Mundschutz oder Desinfektionsmittel sind. Inzwischen sei das Geschäft schwieriger, große Wachstumsraten kann man nach Ansicht Kesselrings nicht erzielen. Seit knapp einem Jahr befindet sich CPR in der Insolvenz. Dies sei ein Bankenproblem, das sich zeitnah lösen werde, sagt der 57-Jährige. CPR hat auch ein Werk in Erfurt und eines in Honduras in Zentralamerika. In Honduras sei kein Ende des Shutdown in Sicht.

Nach Einschätzung von Ritex-Geschäftsführer Robert Richter werden bundesweit ein Viertel der Kondome in der Prostitution verbraucht. Die Marke Ritex sei jedoch überwiegend im Einzelhandel aktiv und habe Käufer ab Mitte 20, die tendenziell in festen Partnerschaften seien. Diese hätten höchstwahrscheinlich zu Beginn der Krise Vorratskäufe getätigt. „Ich vermute, dass Paare in festen Partnerschaften auch mehr Sex hatten, sonst müssten die Umsatzzahlen jetzt doch einbrechen“, sagt der 39-Jährige. Sie liegen Richter zufolge aber immer noch im prozentual einstelligen Bereich über dem Vorjahresmonat.

Das Unternehmen Mapa produziert in Zeven zwischen Bremen und Hamburg unter anderem die Marke Billy Boy. Es geht von Hamsterkäufen zu Beginn der Pandemie aus, auf die ein niedrigerer Umsatz im Lockdown gefolgt sei. Mittlerweile pendele es sich alles wieder in den gewohnten Regionen ein, heißt es.

Pille und Präser gleichauf

Nach einer repräsentativen Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Verhütungsverhalten aus dem Jahr 2018 nutzen 47 Prozent der sexuell aktiven heterosexuellen Paare die Pille, 46 Prozent das Kondom. Sieben Jahre zuvor nannten nur 37 Prozent das Kondom. Vor allem unter 30-Jährige haben der Untersuchung zufolge zunehmend eine kritische Einstellung zu hormonellen Verhütungsmethoden. Den Befragten sei beim Kondom auch der Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen wichtig.

Größter Hersteller Europas

„Die Kondomnutzung ist normal geworden und wird als Zeichen von Verantwortung gesehen“, sagt Richter. Zwar seien die Arbeits- und Produktionskosten in Deutschland hoch, allerdings helfe der hohe Automatisierungsgrad. „Wir können sehr effizient arbeiten.“ Für Deutschland spricht laut Richter zudem das „Made in Germany“. Kondome sind Medizinprodukte. „Über den Online-Handel hat man das Problem, dass sehr viel, qualitativ teils minderwertige Ware aus Fernost nach Deutschland eindringt“, sagt der Ritex-Chef. Von verdächtig günstigen Produkten sollte man die Finger lassen.

CPR ist nach eigenen Angaben vor Ritex und Mapa der größte Kondomhersteller in Europa. Der Standort Deutschland hat historische Gründe. Zwar entwickelte ein Amerikaner, Charles Goodyear, das Verfahren der Vulkanisation, erfand den Autoreifen und stellte das erste Kondom aus Gummi her. Jedoch perfektionierte der Berliner Julius Fromm das Verfahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts und schuf das Latex-Kondom. Der von den Nationalsozialisten drangsalierte jüdische Fabrikant musste seine Firma weit unter Wert an die Patentante Hermann Görings verkaufen und emigrierte 1938 nach London.

Im Trend liegen heute ökologisch-nachhaltige und vegane Kondome – das hat möglicherweise das Berliner Start-up-Unternehmen Einhorn befördert, das „faire“ Kondome anbietet. Auch andere Hersteller bieten inzwischen Kondome an, bei denen die Naturkautschuk-Plantagen von der Organisation FSC zertifiziert sind, also hohen sozialen und ökologischen Standards entsprechen.

Qualitätskontrolle bei der CPR GmbH in Sarstedt, Niedersachsen: Eine Mitarbeiterin prüft ein frisch produziertes Kondom. Während
Qualitätskontrolle bei der CPR GmbH in Sarstedt, Niedersachsen: Eine Mitarbeiterin prüft ein frisch produziertes Kondom. Während der Produktion wird jedes einzelne Präservativ elektronisch überprüft.
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