Meinung Leitzinsen: Schwieriger Balanceakt
Auf den ersten Blick steuert die Europäische Zentralbank (EZB) ruhigeren Zeiten entgegen. Mit aggressiven Zinserhöhungen stemmte sie sich gegen den Teuerungsschub wegen des Ukrainekriegs. Nun ist die Inflation wieder fast am Notenbankziel von 2 Prozent angelangt, folglich können die Zinsen auch wieder runter. Denkt man. Bei näherer Betrachtung bleiben aber erhebliche Risiken.
Der jüngste Rückgang der Teuerungsrate war maßgeblich niedrigeren Energiepreisen geschuldet. Im Servicesektor bleibt der Inflationsdruck hoch, angesichts der deutlich gestiegenen Löhne dürfte diese Dynamik weiter anhalten. Studien zeigen, dass sich hohe Lohnanstiege über Jahre hinaus in den Verbraucherpreisen niederschlagen. Auch die Kernrate der Inflation, bei der die stark schwankenden Preise für Nahrungsmittel und Energie ausgeklammert sind, hält sich auf erhöhtem Niveau. Gewonnen ist der Kampf gegen die Inflation also noch nicht. Allerdings muss die EZB aufpassen, die Wirtschaft im Euroraum nicht mit einer zu straffen Geldpolitik abzuwürgen. Mit Deutschland steckt der Wachstumsmotor des Währungsgebiets bereits in der Krise fest, wenngleich die EZB auf die Strukturprobleme hierzulande wenig Einfluss hat.
Doch wenn die größte Eurowirtschaft in eine tiefere Rezession gerät, würde dies den Preisauftrieb in der ganzen Eurozone dämpfen. Dann könnte auch ein Unterschreiten des Inflationsziels zum Risiko für die EZB werden.