Wirtschaft Leitartikel: Mehr Streit wagen

Mit Volker Wissing (FDP) trat vor zwei Jahren der Wunschminister der

Wirtschaft an die Spitze des gleichnamigen Ministeriums

in Rheinland-Pfalz. Doch sein Profil bleibt bisher unscharf. Geräuschloses Arbeiten wird zum Markenzeichen der Regierung. In großer Harmonie bewegt sie wenig.

Die Wirtschaft brummt, die gefühlten Aussichten sind immer noch rosig, aber dennoch ist bei Wirtschaftsverbänden und Kammern ein gewisses Unbehagen über die Wirtschaftspolitik in Rheinland-Pfalz vernehmbar. Dass Lobbygruppen mehr Forderungen stellen, als die Politik erfüllt, ist normal. Schließlich haben Regierungen und Parlamente eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dennoch lassen die kritischen Stimmen aufhorchen. Schließlich hat Minister Volker Wissing (FDP) bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren reichlich Vorschusslorbeeren erhalten. Nach einer Legislaturperiode Rot-Grün mit einer engagierten und streitbaren grünen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke ließ die Landesvereinigung der Unternehmerverbände (LVU) jegliche parteipolitische Zurückhaltung fallen: LVU-Chef Gerhard F. Braun warb im Vorfeld der Landtagswahl 2016 für den Wiedereinzug der FDP in den Landtag. Brauns Kritik: Lemke sei vorwiegend Energieministerin, außerdem werde der Zustand des Straßennetzes zu einem Standortnachteil. Ursache war ein abgespeckter Verkehrsetat, den damals das Innenministerium verwaltete. Nach der Wahl übernahm das Umweltministerium den Bereich Energie und gab die Landwirtschaft ab. Unter Wissing kehrte auch der Verkehr ins Wirtschaftsressort zurück, FDP und SPD setzten einen höheren Etat durch. Das wird von der Wirtschaft honoriert. Es geht voran mit der über Jahre blockierten zweiten Rheinbrücke bei Wörth. Nachsicht waltet an anderen Stellen, denn den Mangel an Ingenieuren kann Wissing nicht so schnell beheben, um Projekte anzustoßen. Als Verkehrsminister punktet er. Mit dem Breitbandausbau, der federführend beim Innenministerium liegt, hadert die Wirtschaft dagegen. Es gehe zu langsam, und die Regierung verzettele sich. Das Land strengt sich an, hinkt aber bundesweit immer noch hinterher. In den aktuellen Debatten des Landtages spricht der redegewandte Südpfälzer Wissing klug zum EU-Haushalt und seinen Auswirkungen auf den ländlichen Raum oder zu den US-Strafzöllen. Allein, die Themen ziehen keine Aufmerksamkeit auf ihn. Seine Chancen könnten sich erhöhen, nachdem sich der neue CDU-Fraktionschef Christian Baldauf auf ihn eingeschossen hat. Aus der FDP-Landtagsfraktion, in der Wissing als Mitglied und als FDP-Landeschef großen Einfluss hat, kommen kaum Impulse. Die Fraktion hat sich unter ihrer neuen Chefin Cornelia Willius-Senzer gefestigt. Interne Querelen, sollte es sie noch geben, dringen nicht mehr nach außen. Allerdings arbeitet die FDP auch sonst eher geräuschlos – wie die ganze Ampelregierung. In großer Harmonie bewegt sie wenig. Nach den Pannen beim Verkauf des Flughafens Hahn war das zweite Regierungsjahr vom Bundestagswahlkampf und der Regierungsbildung geprägt. Wissing verhandelte über Wochen in Berlin, schien auf dem Sprung ins Bundeskabinett. Doch dann scheiterte Jamaika, es kam Schwarz-Rot. Ministerpräsidentin Malu Dreyer, zugleich SPD-Vizevorsitzende, bringt sich via Mainz immer wieder zu bundespolitischen Themen ein. Das solidarische Grundeinkommen fordert sie oder das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Wissing dagegen profiliert sich deutlich weniger als Parteipolitiker, obwohl er Vize-Regierungschef und FDP-Präsidiumsmitglied ist. Er verzichtet darauf, sich mit Dreyer über deren (bundes-)politische Vorstöße zu streiten. Drei Jahre sind es noch bis zur Landtagswahl, dazwischen sind Kommunal- und Europawahlen. Gelegenheit genug, das Profil zu schärfen.

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