Wirtschaft Leitartikel: Billig ist nicht alles

Von der Pleite der zweitgrößten deutschen Fluglinie Air Berlin profitiert

vor allem die Lufthansa. Als Folge könnten die Ticketpreise steigen.

Die Liberalisierung des Luftverkehrs hat auch Schattenseiten. Zeitweise schien das Wachstum

des Luftverkehrs keine Grenzen

zu kennen.

Mit dem fragwürdigen Staatskredit von 150 Millionen Euro hat die Bundesregierung das sofortige Aus für Air Berlin nach deren Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im August verhindert. Zudem sorgte man dafür, dass die 8000 Beschäftigten – und die Wähler – erst nach der Bundestagswahl offiziell erfahren, was von der zweitgrößten deutschen Fluglinie übrig bleibt. Klar ist aber längst: Von der Pleite und Zerlegung profitiert vor allem die Lufthansa. Schon vor der Beantragung des Insolvenzverfahrens krallte sich die Kranich-Fluglinie ein Viertel der Air-Berlin-Flotte samt Crews per Leasingvertrag. Weitere bis zu 40 Flieger will Konzernchef Carsten Spohr. Zudem werden seit Monaten Piloten abgeworben. Damit könnte mehr als die Hälfte der Pleite-Flotte beim deutschen Marktführer landen. Die Bundesregierung hat damit kaum Probleme. Verkehrsminister Alexander Dobrindt meint, man brauche einen „nationalen Champion“ im harten Wettbewerb auf den liberalisierten Luftmärkten. Kein Wunder, dass der schärfste Konkurrent von Lufthansa in Europa, der Billigflieger Ryanair, ein deutsches Komplott vermutet, um mit der Air-Berlin-Insolvenz die Lufthansa zu stärken. Doch noch ist offen, ob die Kartellbehörden dulden, dass der Marktführer mit seinen bereits 674 Fliegern und fast 129.000 Mitarbeitern mit der Übernahme lukrativer Start- und Landerechte vor allem im Inland noch dominanter wird. Denn das wäre für Reisende keine gute Nachricht. Die Folge könnten weniger Angebote und teurere Tickets sein. Das deutet sich auf einigen Strecken bereits an. Was es für die Mitarbeiter bedeutet, wenn man Starke stärkt, zeigte schon die Eingliederungen der Nachfolger der Swissair, der Austrian und der belgischen Sabena in den Lufthansa-Konzern: Jedes Mal mussten die Beschäftigten schlechtere Bedingungen hinnehmen. Weniger Gehalt, längere Dienstzeiten oder kürzerer Urlaub droht wohl auch jenen Air-Berlin-Mitarbeitern, die beim Lufthansa-Billigableger Eurowings unterkommen. Andernfalls droht ihnen der Jobverlust. Die Pleite von Air Berlin zeigt einmal mehr, welch raue Sitten im Fluggeschäft herrschen, seit vor 30 Jahren die Liberalisierung in Europa begann. Die nationalen Regulierungen für Starts und Landungen fielen weg, staatliche Fluglinien wurden privatisiert. Die neue Konkurrenz durch Ryanair, Easyjet & Co. drückte mit allen Mitteln Kosten und Preise – ein ruinöser Wettbewerb entbrannte. Er hält bis heute an. Immer mehr Anbieter fallen ihm zum Opfer. In den USA beherrschen nach vielen Pleiten, Fusionen und Allianzen nur noch vier Airlines den Markt. Ähnliches ist über kurz oder lang auch in Europa zu erwarten. Die Bilanz der Liberalisierung ist also zwiespältig. Zweifellos profitier(t)en Reisende. War zu Monopolzeiten selbst ein Inlandsticket für Normalverdiener kaum bezahlbar, kann man heute teils so günstig durch Europa jetten, dass die Taxifahrt zum Flughafen teurer kommt. Als Folge sind die Passagierzahlen explodiert – obwohl das Fliegen die umweltschädlichste Reiseform ist. Die Politik steckt dafür die Rahmenbedingungen ab. Airlines zahlen keine Kerosin-Steuer, Flüge ins Ausland sind von der Mehrwertsteuer befreit. Manche Flughäfen werden hoch subventioniert, fragwürdige Geschäfts- und Steuersparmodelle geduldet. So zahlen den wahren Preis für den billigen Flug andere, zum Beispiel die Beschäftigten der Bodendienste, die oft zu Niedriglöhnen schuften. Das Klima wiederum leidet unter den 27.000 Fliegern, die im Schnitt jeden Tag allein über Europa ihre Abgasfahnen hinterlassen. Zeitweise schien das Wachstum des Luftverkehrs keine Grenzen zu kennen. Womöglich sind sie nun erreicht.

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