Gasmangel Industrieverband: „Energiepolitik im Schneckentempo“

Zur Bekämpfung des drohenden Gasmangels ist vor wenigen Tagen bislang ein einziges Steinkohlekraftwerk an den Strommarkt zurückg
Zur Bekämpfung des drohenden Gasmangels ist vor wenigen Tagen bislang ein einziges Steinkohlekraftwerk an den Strommarkt zurückgekehrt: Es handelt sich um das Kraftwerk Mehrum im niedersächsischen Hohenhameln.

Putin dreht den Gashahn zu: Deutschland muss Riesenprobleme lösen, um die Energieversorgung zu sichern. Industriepräsident Siegfried Russwurm sieht das Land in der größten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Ihm ist das Tempo der Bundesregierung viel zu langsam. Dabei muss Deutschland mehr Gas sparen als jedes andere EU-Land.

Der Bundesregierung mangele es an Geschwindigkeit im Umgang mit der Energiekrise. „Es geht jetzt um Entschlossenheit und Schnelligkeit“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. Er kritisierte außerdem, der Brennstoffwechsel in Betrieben weg von Gas zum Beispiel zurück auf Öl werde durch langwierige Genehmigungsverfahren ausgebremst.

Russwurm nannte die Lage angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 sehr ernst. „Eines haben wir ja alle gelernt: Der Gasfluss scheitert nicht an der Technik“, sagte er. „Es ist der Präsident im Kreml, der politisch entscheidet, wie viel Gas wir kriegen, egal mit welchem Argument er das begründet. Deutschland und Europa müssen handlungsfähig bleiben. Umso wichtiger ist es, so rasch wie möglich nicht mehr Spielball einer erpresserischen Politik zu sein.“

„Bremse der Verwaltung“

Russwurm forderte von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der Bundesregierung mehr Tempo bei der Umsetzung beschlossener Maßnahmen, wie dem Ersatz der Stromerzeugung aus Gas durch das Wiederanlaufen von Kohlekraftwerken. Habeck habe am 18. Juni erklärt, dass Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden müssten. Erst sieben Wochen später sei das erste wieder ans Netz gegangen.

„Das ist nicht die Geschwindigkeit, die Deutschland im Krisenmanagement braucht. Deutschland befindet sich in der größten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Wirtschaft und Privatverbraucher müssen ihren Teil zum Gassparen beitragen, um Produktionsstopps zu verhindern.“

Auch an anderen Stellen gehe es zu langsam voran, beklagte Russwurm. Er nannte den Brennstoffwechsel in Betrieben – weg von Gas zum Beispiel zurück auf Öl. „Viele Unternehmen können und wollen das, bekommen dafür aber nicht schnell genug eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung“, sagte er. Dabei geht es um den Ausstoß von Schadstoffen. „Zum Krisenmanagement gehört es, dass Behörden Brennstoffumstellungen und andere Gaseinsparprojekte schnell genehmigen.“

Es sei sehr vernünftig, dass Unternehmen – ohne Entschädigung, allein aus Gründen der Versorgungssicherheit – von Gas zurück auf Öl wechseln wollen. „Dafür nutzen sie unter anderem Anlagen, die bereits bestehen und schon einmal genehmigt waren. Dass diese nun erneut ein langwieriges Genehmigungsverfahren brauchen, dafür habe ich kein Verständnis“, sagte Russwurm. Es falle auch in den Unternehmen schwer, diese Bremse der Verwaltung einzusehen. Es gebe Tausende von Unternehmen, die aktuell solche Genehmigungen bräuchten.

„Höchste Priorität: Gasspeicher füllen“

Russwurm forderte weiterhin ergänzende Schritte. Neben einem kurzfristigen Auktionsmodell für Unternehmen, um Gas einzusparen, brauche es auch ein zweites Instrument für die mittelfristige Freigabe von Gaskontingenten durch Unternehmen. „Sonst droht der Auktionsmechanismus am Bedarf der Industrie vorbeizuführen“, warnte Russwurm. Die Mehrkosten, sei es bei der Beschaffung anderer Energieträger oder der Abschaltung einzelner Produktionseinrichtungen, müsste der Staat zumindest anteilig ersetzen. „Höchste Priorität muss es sein, jetzt weiter die Gasspeicher zu befüllen.“

Das Auktionsmodell soll industriellen Verbrauchern Anreize bieten, Gas einzusparen. Im Kern geht es darum, dass Industriekunden, die auf Gas verzichten können, ihren Verbrauch gegen ein Entgelt verringern, das über den Markt finanziert wird – und sie das Gas zur Verfügung stellen, damit es eingespeichert werden kann.

Deutschland muss seinen absoluten Gasverbrauch so stark wie kein anderes EU-Land reduzieren, um das Einsparziel der EU von 15 Prozent zu erreichen. Nach einer Rechnung der Deutschen Presse-Agentur basierend auf Daten der EU-Kommission muss die Bundesrepublik von Anfang August bis März nächsten Jahres gut 10 Milliarden Kubikmeter weniger Gas verbrauchen, um das von den EU-Ländern beschlossene Ziel zu erreichen. Die in Deutschland zu sparende Gasmenge kommt etwa dem Durchschnittsverbrauch von fünf Millionen vierköpfigen Haushalten im Jahr gleich.

Reichen 15 Prozent?

Somit muss Europas größte Volkswirtschaft wegen ihres vergleichsweise hohen Gasverbrauchs in absoluten Zahlen mehr sparen als andere. Insgesamt muss die EU rund 45 Milliarden Kubikmeter Gas sparen – für fast ein Viertel der Einsparung wäre also Deutschland verantwortlich.

Wegen des Kriegs in der Ukraine haben sich die EU-Länder auf einen Notfallplan geeinigt, da ein Lieferstopp von russischem Gas befürchtet wird. Falls nicht genug gespart wird und es weitreichende Versorgungsengpässe gibt, kann ein Unionsalarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) meint allerdings, dass 15 Prozent nicht reichen, um sich auf den Winter vorzubereiten. Um eine größere Krise zu verhindern, müsse Europa seinen Gasverbrauch um 20 Prozent verringern.

Deutschland ist nach Ansicht von Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) bereits auf einem guten Weg. Demnach liegt die Bundesrepublik bei 14 oder 15 Prozent Einsparungen im Vergleich zum Vorjahr. Habeck hat mehrfach gesagt, dass Deutschland seinen Verbrauch um mehr als 15 Prozent mindern sollte.

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„Deutschland und Europa müssen handlungsfähig bleiben. Umso wichtiger ist es, so rasch wie möglich nicht mehr Spielball einer er
»Deutschland und Europa müssen handlungsfähig bleiben. Umso wichtiger ist es, so rasch wie möglich nicht mehr Spielball einer erpresserischen Politik zu sein«, sagt Siegfried Russwurm, Präsident des Industrieverbandes BDI.
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