Meinung GDL-Streik: Rücksichtslose Rivalität

Leidtragende der GDL-Streiks sind die Bahnfahrgäste. Das Foto entstand am 11. August im Frankfurter Hauptbahnhof.
Leidtragende der GDL-Streiks sind die Bahnfahrgäste. Das Foto entstand am 11. August im Frankfurter Hauptbahnhof.

Die Lokführergewerkschaft GDL trägt ihren Konkurrenzkampf mit der größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG auf dem Rücken der Bahnkunden aus. Verständnis dafür kann sie angesichts der Corona-Krise nicht erwarten.

Bahnkunden hat es früher kaum interessiert, in welcher Gewerkschaft das Bahnpersonal organisiert ist. Heute ist es manchmal von zentraler Bedeutung für die Frage, ob man als Bahnfahrgast Chancen hat, an sein Ziel zu kommen. Dass trotz der Streiks der Lokführergewerkschaft GDL überhaupt noch ein relevanter Teil des Zugverkehrs in der Pfalz läuft, liegt vor allem daran, dass in der Rhein-Neckar-Region viele Lokführer nicht in der GDL, sondern in der größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG organisiert sind.

Zwar hat auch die EVG im Dezember 2018 einmal bundesweit den Bahnverkehr so gut wie komplett lahmgelegt – wohl vor allem, um ihre Macht zu demonstrieren. Das blieb allerdings eine seltene Ausnahme, die nur einige Stunden an einem einzigen Tag betraf. Die EVG organisiert viele Berufsgruppen und ist deshalb stark in Betriebs- und Aufsichtsräten der Deutschen Bahn (DB) vertreten. Dort spielt sie eine zentrale Rolle und ist deshalb auch besonders dafür sensibilisiert, wie sehr Streiks nicht nur den Kunden der DB, sondern letztlich auch dem Unternehmen und den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter schaden. Die DB-Schienengüterverkehrssparte DB Cargo hat sich von den Schäden, die die sich über Monate hinziehenden GDL-Streiks in den Jahren 2014/15 angerichtet haben, nie wieder richtig erholt.

Für GDL-Chef Claus Weselsky sind Streiks dagegen derzeit offenbar ein Selbstzweck. Kern des aktuellen Tarifkonflikts ist nämlich ein Machtkampf zwischen den Gewerkschaften EVG und GDL. Nachdem ein Koexistenz-Abkommen Ende 2020 ausgelaufen ist, gilt künftig nach dem Tarifeinheitsgesetz nur noch der Tarifvertrag der im jeweiligen Betrieb mitgliederstärksten Gewerkschaft. Weselsky hat darauf mit der Ankündigung reagiert, dass er die EVG aus der Rolle der stärkeren Gewerkschaft verdrängen werde, indem er die GDL auch für andere Berufsgruppen öffnet – begleitet von wüster Polemik gegen die EVG. Diese Ankündigung hatte Züge von Größenwahn, denn sie steht in groteskem Missverhältnis zur aktuellen Situation. Derzeit ist die GDL nach dem von der DB gemäß der Regularien im Tarifeinheitsgesetz ermittelten Daten lediglich in 16 von 71 strittigen DB-Betrieben die mitgliederstärkere Gewerkschaft. Nur in diesen gelten wohl künftig die GDL-Tarifverträge. In den übrigen 55 (darunter auch bei DB Regio in der Rhein-Neckar-Region) gelten die Tarifverträge der EVG.

Weselsky, der bisher mit allen Klagen gegen die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes gescheitert ist, hofft nun, durch Streiks zusätzliche Mitglieder zu gewinnen – auch in Berufsgruppen, die die GDL bisher nicht organisiert hat. Wenn sich – laut Daten der DB – an der ersten GDL-Streikwelle bundesweit 72 Stellwerker beteiligt haben, dann ist das – angesichts der Schlüsselrolle von Fahrdienstleitern im Bahnbetrieb – zwar mehr als „so gut wie niemand“ (wie die DB behauptet), aber doch weit entfernt von einer Größenordnung, die einen Vertretungsanspruch für diese Berufsgruppe begründen könnte. Massiven Schaden anrichten kann die GDL allerdings schon durch einen Streik von rund einem Viertel der DB-Lokführer.

Die GDL hat in früheren Tarifkonflikten oft von einer Art Jim-Knopf-Sympathiebonus profitiert. Sympathisch ist an den aktuellen GDL-Streiks aber gar nichts, sie sind vielmehr noch mehr als frühere völlig deplatziert und potenziell verheerend.

Zum einen wächst nun das Covid-Infektionsrisiko, weil es wegen der Streiks viel mehr überfüllte Züge gibt. Hinzu kommt, dass sich der klimaschonende Bahnverkehr gerade erst mühsam vom schweren Schlag der Corona-Krise erholt. Der Erfolg von werbewirksamen Aktionen wie dem Abo-Sommer in Baden-Württemberg, von dem auch die Pfälzer Kunden des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar (VRN) profitieren, droht durch die GDL-Streiks zunichte gemacht zu werden. Im Kontext der beiden aktuell in Deutschland wichtigsten Themen Corona-Krise und Klimaschutz sind die GDL-Streiks nicht nur ein großes Ärgernis, sondern ein Skandal.

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