Ukraine-Krieg Die EU-Sanktionen treffen Russland ins Mark

Eine Folge der Sanktionen: In Einkaufszentren stehen Läden leer. Das Foto entstand in Moskau.
Eine Folge der Sanktionen: In Einkaufszentren stehen Läden leer. Das Foto entstand in Moskau.

Die Strafmaßnahmen der Europäischen Union gegen Moskau wirken allmählich. Es gibt allerdings auch Leidtragende in der deutschen Wirtschaft. Massiv betroffen ist der Linde-Konzern.

Die Europäische Union (EU) erhöht den Druck auf Russland. Geplant ist ein Importstopp für russisches Gold. EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic sagte am Freitag am Rande eines Treffens der Europaminister in Prag, geplant seien „Sanktionen gegen Gold, das ein wichtiges Exportgut Russlands ist“. Zudem sollen einige Schlupflöcher geschlossen werden. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar hat die EU sechs Sanktionspakete gegen Moskau beschlossen.

Unterdessen wird deutlich, dass die bereits verhängten Maßnahmen gegen Russland allmählich die erhoffte Wirkung entfalten. Inzwischen ist nach Angaben der EU-Kommission fast die Hälfte der bisherigen russischen Exporte in die EU von den Sanktionen betroffen. Diese Zahl wird sich schnell erhöhen, da etwa für Kohle eine Frist für die Abwicklung bestehender Verträge gilt und die Sanktionen hier erst ab August 2022 wirken.

Öl-Embargo wirkt erst ab Dezember

Betroffen sind auch die Rohölimporte in die EU, die sich 2021 auf rund 48 Milliarden Euro beliefen, hinzu kommen Erdölprodukte im Wert von 23 Milliarden Euro. 90 Prozent davon sollen wegfallen, wenn ab dem 5. Dezember die Einfuhr von russischem Rohöl über den Seeweg verboten ist. Vom 5. Februar 2023 an gilt dasselbe für verarbeitete Erdölerzeugnisse. Das ist ein schwerer Schlag, da sich Russlands Staatshaushalt fast zur Hälfte aus den Öl-Einnahmen speist. Schon jetzt muss Russland sein Öl mit großen Abschlägen auf dem Weltmarkt verkaufen.

Probleme bereitet Russland auch, dass viele Hightech-Produkte nicht mehr aus der EU eingeführt werden dürfen. Dazu zählen etwa hochwertige Elektronik und Software, aber auch Ersatzteile oder Ausrüstung aller Art für Flugzeuge und Hubschrauber. Auch wichtige Technik, die in Raffinerien benötigt wird.

EU-Ausfuhrverbot trifft wichtige Rüstungsfabriken

Das EU-Ausfuhrverbot lähmt nach Einschätzung der EU schon jetzt Russlands militärische Fähigkeiten. Wichtige Rüstungsfabriken, die zum Beispiel Luft-Luft-Raketen und Panzer produzieren, mussten demnach bereits aufgrund des Mangels an Importgütern geschlossen werden. Zudem treffen die EU-Ausfuhrverbote IT-Unternehmen, Mobilfunkanbieter und die russische Autoindustrie, heißt es in Brüssel. Nach dem Weggang westlicher Autobauer werden in Russland nun sowjetische Marken wie der Moskwitsch wiederbelebt.

Russlands zivile Luftfahrt leidet nach EU-Angaben unter dem Verbot, in den europäischen Luftraum fliegen zu dürfen – vor allem aber auch unter den von der EU und den USA erlassenen Ausfuhrbeschränkungen für Ersatzteile und Services. Die meisten russischen Fluggesellschaften sind aus EU-Sicht nicht mehr in der Lage, internationale Sicherheitsanforderungen zu erfüllen.

In Einkaufszentren stehen ganze Ladenzeilen leer

Aus dem Kreml ist zwar immer wieder zu hören, dass die russische Wirtschaft nicht auf die Importe angewiesen sei und sich in Zukunft selbst versorgen werde. Das aber entpuppt sich inzwischen auch für die Normalbürger als leere Versprechung. Aus Moskau haben sich westliche Ketten zurückgezogen, in Einkaufszentren stehen ganze Ladenzeilen leer. Kinosäle müssen schließen, weil es keine Hollywood-Filme mehr gibt. Eine weitaus größere Gefahr für die Zukunft Russlands ist allerdings, dass viele junge Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren. Nach Schätzungen der EU haben zuletzt rund 70.000 IT-Spezialisten das Land verlassen und weitere 100.000 dürften folgen.

Linde-Anlagenbau verliert zwei Drittel seiner Aufträge

Allerdings sorgen die Sanktionen auch bei deutschen Unternehmen für Probleme. Kaum ein Konzern ist in Deutschland so stark von den Sanktionen gegen Russland getroffen wie der Anlagenbau von Linde.

Weil die Sanktionen gegen Russland unwiederbringlich fast zwei Drittel des Auftragsbestands im Anlagenbau des Dax-Konzerns gekostet haben, müsse das Management nun zu „notwendigen strukturellen Maßnahmen am Standort Pullach“ greifen, verkündete der für das Geschäft zuständige Linde-Vorstand Jürgen Nowicki am Mittwoch der dort gut 2000 Personen starken Belegschaft. So ist das in einem offenen Brief des Betriebsrats festgehalten. Rund 30 Prozent des Geschäfts sei anhaltend verloren, was nun Stellenabbau in ähnlicher Dimension nach sich ziehe, erklärte Nowicki nach Angaben von Teilnehmern der Veranstaltung. 600 Stellen sind damit akut bedroht.

Ein Firmensprecher will weder diese Zahl noch die Vorgänge als solches kommentieren. Man spreche mit der Belegschaft, hieß es vage. Die Zurückhaltung könnte auch an den Strukturen liegen, über die der deutsche Dax-Konzern mit dem aktuell höchsten Börsenwert mittlerweile gemanagt wird. Seit seiner Fusion mit dem US-Rivalen Praxair wird das Hauptgeschäft von Linde mit Industriegasen von den USA aus geführt. In Pullach vor den Toren Münchens residiert nur noch die Zentrale für den Anlagenbau, der lange als Ertragsperle galt.

Margenstarke Aufträge von Gazprom

Das lag vor allem auch daran, dass die Sparte margenstarke Aufträge des russischen Staatskonzerns Gazprom in mehrfacher Milliardenhöhe in seinen Büchern stehen hatte. Sanktionen des Westens wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben die mit einem Federstrich über Nacht obsolet gemacht.

Auch der Belegschaft war klar, dass das nicht ohne Folgen bleiben konnte. Sie hatte aber auf Kurzarbeit gehofft oder eine befristete Reduzierung der Arbeitszeit, was deutsche Tarifverträge in Krisenzeiten erlauben. Beide Varianten seien aber jetzt vom Management vom Tisch gewischt worden, bedauerten Teilnehmer einer Videokonferenz am vergangenen Mittwoch.

Belegschaft in Pullach wehrt sich

Die Belegschaft am bayerischen Standort murrt nun vernehmlich und will sich nicht in ihr Schicksal fügen. Mit Hilfe eines Wirtschaftsberaters will sie Alternativen zu einem Kahlschlag erarbeiten, wird im offenen Brief angekündigt.

Was das Personal in Pullach zusätzlich erzürnt, sind angebliche Pläne, Arbeiten an indische Billiglohnstandorte zu verlagern. Auch zu diesem Punkt schweigen Sprecher des Konzerns. Grundsätzlich stehe der Anlagenbau von Linde nämlich vor einer vielversprechenden Zukunft, glaubt das Personal. Der Umbau der deutschen und europäischen Energieversorgung mit Wasserstoffwirtschaft als wesentlicher Säule der Zukunft lasse bald viele neue Großaufträge erwarten. Wenn es so kommt, wie von der deutschen Belegschaft befürchtet, würden die dann aber immer mehr in Indien und immer weniger in Deutschland abgearbeitet. Mit dieser Strategie wolle das US-Management von Linde auch in Krisenzeiten die Gewinne hoch halten.

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