Wirtschaft Der große Kamera-Bluff

Periskop-Objektive, die um die Ecke gucken, sind seit einigen Jahren die erste Wahl für große Tele-Brennweiten.
Periskop-Objektive, die um die Ecke gucken, sind seit einigen Jahren die erste Wahl für große Tele-Brennweiten.

Es gibt richtig gute Smartphone-Kameras. Und es gibt allerlei haltloses Gerede. Wir trennen die Spreu vom Weizen.

Kameraausstattung und Display sind die beiden Eigenschaften, nach denen die meisten Käufer ihr neues Smartphone wählen. Beide wurden immer besser. Bei den Objektiven werden Käufer aber zusätzlich oft mit Bluffs gelockt.

Problem 1: Der „Zoom-Faktor“. Entgegen allen Behauptungen: Smartphones haben noch keine echten Zoom-Objektive wie Digitalkameras. Ein Zoom-Objektiv bietet schließlich eine stufenlose Brennweitenveränderung. Bei Smartphones bezeichnet „Zoom“ aktuell einerseits das „Heranholen“ eines Motivs mit einer festen Tele-Brennweite, zum anderen das Brennweitenverhältnis zwischen dem Ultraweitwinkel und dem Tele-Objektiv. Liefert das erste 12 mm (Kleinbildäquivalent), das andere 120 mm, ist das ein „Zoomfaktor“ von 1:10. Aber auch das ist kein echtes Zoom. Das Samsung Galaxy S20 Ultra hat etwa ein Brennweitenverhältnis 1:8 – ein sehr guter Wert.

Problem 2: Digitalzoom. Das ist kein Zoom, sondern nur ein Ausschnitt aus den Pixeln, die ein Sensor liefert. Das Bild wird also immer pixeliger oder immer schwammiger, je mehr die Elektronik glattbügelt. Mittlerweile vermeiden Hersteller den Ausdruck „Digitalzoom“ und sprechen von „Superzoom“, „Space Zoom“ oder „Ultrazoom“ mit einem Faktor von 50 oder gar 100. Das eigentlich sehr gute Samsung Galaxy S20 Ultra lockt beispielsweise mit Faktor 100. Da müsste also ein Bereich zwischen 13 und 1300 mm abgedeckt werden. Das sind reine Fantasiezahlen, die nichts mit einer echten optischen Vergrößerung zu tun haben. Etwas anders liegt es beim Hybridzoom. Ein Smartphone mit drei Kameras wechselt dann je nach Bildwinkel zwischen den drei Objektiven und setzt nur bei Zwischenwerten einen leichten Digitalzoom ein. Hat jeder Sensor genug Pixel, können dabei ordentliche Bilder herauskommen.

Problem 3: Pixelzahl. Manche Smartphones wie das exzellente iPhone 12 bescheiden sich mit 12 MP und hoher Lichtstärke bei den Hauptkameras. Andere locken mit 48, 64, 108 MP. Sensoren mit 200 MP haben Hersteller wie Samsung und Xiaomi bereits in der Schublade. Was ist besser? Es kommt drauf an. Apple gönnt seinen Pixeln viel mehr Platz auf dem Sensor. Das bedeutet wenig Störungen und hohe Lichtstärke. Wer auf viele Megapixel setzt, nutzt aber meist Pixel Binning. Dabei werden benachbarte Pixel zu einem Pixel verrechnet. Weil hier smarte Bildanalyse genutzt wird, werden Störungen herausgerechnet. Bei einem Motorola Moto G30 werden dabei aus 64 MP nur noch 16 MP. Samsung kondensiert in einer 108-MP-Kamera sogar neun Pixel zu einem. Das Resultat ist ein 12-Megapixel-Bild. Der Vorteil: Bei hellem Licht werden mehr Pixel direkt eingesetzt. In der Dunkelheit wird zusammengerechnet. Nachtaufnahmen sehen dann immer noch sauber aus. Viele Smartphones besitzen auch einen Nachtmodus. Dabei wird sehr schnell eine Reihe von Bildern von einem Motiv gemacht und zu einem – oft zu hellen – HDR-Bild mit satten Kontrasten verrechnet. Und wer bei hellem Licht einen größeren 64 MP Sensor ohne Pixel Binning einsetzt, kann sogar mit behutsamem Digitalzoom noch gute Bilder machen. Dann liefert ein Bild vielleicht noch 12 oder 16 MP. Aber das ist mehr als ausreichend.

Problem 4: Zahl der Kameras. Es kommt nicht auf die Zahl, sondern die Mischung an. Schlicht überflüssig sind Makro-Objektive. Sie haben mit oft nur 2 MP zu wenige Pixel. Der Effekt ist mager. Und ein Weitwinkel lässt bereits meist spannende Nahaufnahmen zu. Manche Hersteller rechnen Linsen für Tiefen- und Entfernungsmessung zu den Kameras. Beim Kauf also am besten herausrechnen. Interessant sind Ultraweitwinkel, Normalobjektiv und ein möglichst starkes Tele, letzteres am besten als Periskop ausgelegt, weil das größere Brennweiten liefert. Ein Brennweitenverhältnis der drei Objektive von 5:1 ist sehr gut, von 8:1 exzellent. Zum Vergleich: Kompakte Digitalkameras liefern bei echten Zoomobjektiven ein Verhältnis von 20:1 oder 30:1. Was ist noch zu beachten? Spricht ein Hersteller bei einem Ultraweitwinkel von 0,6, ist das Verhältnis zum Normalobjektiv gemeint. Hat das 20 mm Brennweite, liefert das UWW 20 x 0,6 = 12 mm Brennweite. Zur Orientierung ist das statthaft, aber erklärungsbedürftig, vor allem wenn es mit irreführenden „Zoomfaktoren“ kombiniert wird.

Eine aktuelle Kaufempfehlung: Motorolas neues Topmodell, das Edge 20 Pro, besitzt drei Kameras: Eine 108 MP Hauptkamera mit Pixel-Binning, ein 16 MP Ultraweitwinkel und eine 8 MP Kamera mit einem Periskop-Teleobjektiv. Das liegt in der Gehäuse-Ebene, ragt also nicht heraus. Das Gesamtbrennweitenverhältnis der drei Linsen liegt bei 5:1. Das gelungene Kamera-Handy kostet 700 Euro. Motorola wirbt darüber hinaus mit einem „50-fach Superzoom“. Da wird aber wieder nur digital getrickst. Dabei wäre das hier nicht nötig. Eine etwas abgespeckte Version, das Edge 20, hat neben den Standard-Kameras ein Teleobjektiv, das nur für ein Gesamtbrennweitenverhältnis von 3:1 reicht, für etwa 500 Euro.

Was wird kommen? Schon 2020 hat das chinesische Unternehmen O-Film ein Periskop-Objektiv entwickelt, das eine echte variable Brennweite zwischen 85 und 170 mm bei einer variablen, aber eher mageren Blendenöffnung bieten soll. Auch Apple arbeitet an solchen Objektiven. Im Juli wurde ein Patent für eine Periskop-Zoom-Kamera bekannt, das mit zwei Prismen arbeitet, also mit einer Umlenkung des Lichts über zwei Ecken. Insider rechnen mit einer Marktreife für 2023.

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