Kunst Zum 100. Geburtstag: Skulpturen-Ausstellung von Margot Stempel-Lebert

Eins der schönsten Exponate: „Fischer“ von 1990.
Eins der schönsten Exponate: »Fischer« von 1990.

Nur wenige Künstler haben so viele Spuren in der Pfalz hinterlassen wie Margot Stempel-Lebert. Der Kunstverein ihrer Heimatstadt Landau ehrt die Bildhauerin, die am 2. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre, mit einer großen Ausstellung.

Gibt es denn keinen Kunststudenten im Land, der ein Thema für eine Masterarbeit sucht? Das Feld ist gerade bereitet: Die Kuratorin Karin Engelbrecht vom Landauer Kunstverein hat 94 Arbeiten von 24 privaten und öffentlichen Arbeiten aus nah und fern zusammengetragen, die zum Teil noch nie öffentlich zu sehen waren. Ein Kandidat müsste also viele Klinken gar nicht mehr putzen, um einige wichtige Arbeiten dieser 2009 gestorbenen Bildhauerin für ein Werkverzeichnis aufzunehmen. Verdient hätte sie es.

Margot Stempel-Lebert 1979 in Paris.
Margot Stempel-Lebert 1979 in Paris.

Der Zahn der Zeit nagt, denn besonders der intensivste, völlig eigenständige Teil ihres Oeuvres ist nicht für die Ewigkeit gemacht: die geschweißten Eisenskulpturen, die nach dem Wunsch von Margot Stempel-Lebert dem Wetter zum langsamen Verrosten preisgegeben werden sollen. In den 1960er-Jahren, als die Gräuel von Krieg und Holocaust noch nachwirkten, begann sie diese existenzialistischen, in der Form reduzierten Arbeiten mit von Schmerz und Leid gezeichneten Körpern. Dafür hat sie Fundstücke vom Schrottplatz gesammelt. Beim Schweißen hat sie trotz ihrer zarten Statur selbst Hand angelegt, dabei die Nähte deutlich sichtbar gelassen. Ebenso die Tropfen geschmolzenen Metalls, die wie Narben und Geschwüre die oft schrundige, rostige Oberfläche überziehen.

Die Brust schlaff, die Haut in Falten

Ein sehr schönes Beispiel für ihren authentischen Stil ist die große Skulptur „Alt werden“ von 1985, die seit 30 Jahren vor der Villa Streccius steht: Mann und Frau einander zugeneigt, die Rücken gebückt, die Brust schlaff, die Haut in Falten. Aber ihre Technik konnte sie auch auf kleines Format herunterbrechen, wie eins der schönsten Werke der Ausstellung zeigt: die beiden filigran gearbeiteten Fischer mit Netz. Die ruhig in ihre Arbeit versunkenen Gestalten sind mit ihren sparsamen Gesten so etwas wie der Gegenentwurf zum Manierismus mit seinen exaltierten Attitüden.

„Alt werden“ (1985) vor der Villa Streccius in Landau
»Alt werden« (1985) vor der Villa Streccius in Landau

Eines von vielen berührenden Sinnbildern für die geschundene Kreatur ist Stempel-Leberts gefesseltes Lamm, in dem noch die Schlachtaxt steckt. Gleich mehrfach hat die Bildhauerin das Motiv eines Cellospielers verarbeitet – in der Landauer Ausstellung ist eine etwa lebensgroße Variante zu sehen mit dem an einen Stuhl angelehnten Instrument ohne Musiker. In Landau sind zudem neben christlichen Themen mehrere mythologische Figuren zu sehen wie Pan und Minotaurus.

Unprätentiös und uneitel

Diese Eisenskulpturen wirken so unprätentiös und uneitel, dabei dem Menschen zugewandt, wie man es sich von der Bildhauerin selbst erzählt. Es gibt nur wenige Bilder von ihr, denn sie ließ sich nicht gerne fotografieren. Und auch als Richtergattin nach ihrer Heirat 1962 mit Martin Stempel scheute sie sich nicht, in Arbeitskluft herumzulaufen – immerhin: Wir schreiben Jahre, in denen Konventionen in einer konservativen Kleinstadt wie Landau noch groß geschrieben wurden.

Die technischen Fertigkeiten hat sie sich selbst erarbeitet in der Landauer Schlosserei von Emil Forler, erzählt dessen Sohn Stefan, der ebenfalls Metallbildhauer wurde. Später habe Stempel-Lebert einen eigenen 400-Apère-Apparat besessen und damit zehn Millimeter starke Baustahlplatten verarbeitet, schreibt Heinz Setzer im Katalog zur Ausstellung.

In klassischer Pose: „Sitzende Frau“
In klassischer Pose: »Sitzende Frau«

Beeindruckt von Picasso

Stilistisch wagte sie sich nicht so weit vor wie andere in der Nachkriegszeit des Aufbruchs. Sie blieb meist der Gegenständlichkeit verpflichtet. Die Pose mancher Frauenplastik wirkt geradezu klassisch. Stark beeindruckt zu haben scheint sie Picassos bronzene „Ziege“ von 1950.

„Ziege“ (1980)
»Ziege« (1980)

Die Ausstellung zeigt Stempel-Leberts Skizzenbuch mit ihrer Studie der Plastik, und Ähnlichkeiten lassen sich auch bei eigenen Exemplaren wie ihrer Ziege in der Frankenthaler Fußgängerzone und einer kleineren Ausführung in der Landauer Ausstellung unschwer ausmachen. Auch mit mehreren Stierplastiken, die ja auch ein Lieblingssujet des Spaniers waren, erweist sie ihm ihre Reverenz.

Stiere aus Eisen vor einer Arbeit auf Sackleinen.
Stiere aus Eisen vor einer Arbeit auf Sackleinen.

Stempel-Lebert hat sich in vielen Materialien und Techniken ausprobiert, wobei ihre Fassadenbilder in Sgraffito-Technik, die Aquarelle aus Urlauben und die Emaille-Arbeiten mit den vielen Farbschichten stärker im Zeitgeist verwurzelt sind als ihr bildhauerisches Werk samt Skizzen, das heute noch frisch und modern wirkt. Als eine Augenkrankheit und die körperliche Kraft das gefährliche und punktgenaue Schweißen nicht mehr zuließen, hat sich Stempel-Lebert darauf verlegt, alte Eichenbalken zu meist hoch aufgeschossenen Figuren zu arbeiten mit einer an primitive Kunst erinnernden Formsprache.

„Eva sitzend“ um 1995, im Hintergrund zwei „Stehende“.
»Eva sitzend« um 1995, im Hintergrund zwei »Stehende«.

Von der Gestapo verhört

Eine Figur, die Skulptur „Weiße Rose“ im Frank-Loebschen Haus von Landau, mag sie wohl an ein Kapitel ihrer Münchener Studentenzeit erinnert haben. Nachzulesen ist es in Wolfgang Diehls Beitrag zum Ausstellungskatalog. Die in Landau geborene Tochter des aus Heuchelheim stammenden Kunstmalers Fritz Lebert ging mit Hilfe eines Stipendiums 1942 als 20-Jährige an die Akademie der Bildenden Künste in München und war zuletzt Meisterschülerin von Josef Henselmann, bei dem auch Michael Croissant, Otto Kallenbach und Gernot Rumpf lernten. Sie hatte ein Studentenzimmer bei dem Philosophieprofessor Kurt Huber bezogen, der im Mittelpunkt der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ stand. Bis zur Hinrichtung der wenig älteren Geschwister Scholl scheint sie ahnungslos gewesen zu sein, wurde aber mehrfach von der Gestapo verhört.

Als Resultat der Kriegswirren und der verpflichtenden Scheinwerfereinsätze an der Flak machte sie erst 1952 ihren Abschluss und ging, bevor sie nach Landau zurückkehrte, an die von Oskar Kokoschka gegründete Salzburger Sommerakademie. Die Begegnung mit dem Italiener Giacomo Manzù dort hat sie wohl stark geprägt. Schon bald nach ihrer Rückkehr in die Pfalz erhielt Stempel-Lebert als noch unbekannte Künstlerin schon größere Aufträge für den öffentlichen Raum.

1982 mit Kahnweiler-Preis ausgezeichnet

Eine sehr frühe Arbeit von 1957 sind die beiden Bronzetüren an der Pirminiuskapelle des Klosters Hornbach. Stempel-Lebert hat beim Wiederaufbau der Alexanderkirche in Zweibrücken mitgewirkt, als Wettbewerbssiegerin ein Ehrenmal für die Gefallenen in Flemlingen geschaffen, die Apostelsäule in der Landauer Johanneskirche und in Rockenhausen eine „Dreiergruppe“, für die ihr 1982 der Daniel-Henry-Kahnweiler-Preis für Plastik verliehen wurde.

Nicht verschwiegen werden soll ein anderes Kapitel von Stempel-Leberts Lebensgeschichte: Als 1968, 30 Jahre nach dem Brand der Landauer Synagoge, das von ihr gestaltete Mahnmal enthüllt wurde, war auch ihr Schwiegervater zugegen, der frühere Kirchenpräsident Hans Stempel, der wegen seiner Nähe zu früheren NS-Leuten in der Kritik steht.

Termin

Der Landauer Kunstverein zeigt die „Gedächtnisausstellung 100 Jahre Margot Stempel-Lebert“ bis 15. Januar in der Villa Streccius, Südring 20: Do-So 14-17 Uhr, Di und Mi 17-20 Uhr. Eröffnung ist am Freitag, 2. Dezember, um 19 Uhr. Matinee am 8. Januar, 11 Uhr, zum Thema: „Von Eva zu Pan – die Figuren von Margot Stempel-Lebert im Spiegel der Literatur von Heine bis Saalfeld“.

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