Kultur Südpfalz Wundertüte im öffentlichen Raum
Kultur in Kairo folgt eigenen Gesetzen: Schauspieler beispielsweise leben gefährlich und haben in der Regel einen Brotjob, so dass Inszenierungen eher am Rande der Alltagsbewältigung entstehen. Umso erstaunlicher ist es, dass hier mit dem internationalen Downtown Contemporary Art Festival (D-CAF) ein übergreifendes Kunst- und Kulturfestival stattfand.
Auf den Straßen im Zentrum der Nil-Metropole sind die Bilder vieler Märtyrer zu sehen. An Hauswänden zum Beispiel sollen sie davon zeugen, was in den Tagen der Januarrevolution geschah. Man sieht sie aber auch an der Mauer des Al Ahly-Fußballstadions. Al Ahly-Fans und Hooligans waren 2012 in die bislang schwersten Ausschreitungen nach einem Spiel verwickelt. Man spielte beim Erzrivalen Al Masry in Port Said, am Ende waren 74 Menschen tot, knapp tausend verletzt. Dass die Bilder der Getöteten nun die Stadionmauer zieren, hängt mit der Vermutung der Kairoer Fans zusammen, die Polizei in Port Said habe damals weggesehen. Dass da auch bewaffnete Hooligans aus Kairo unterwegs waren, scheint keine Rolle mehr zu spielen. Die Katastrophe von Port Said wurde während eines dokumentarischen Theaterabends innerhalb des dreiwöchigen, internationalen D-CAF behandelt, das im Frühjahr alle Künste vom Film über Musik und Malerei bis hin zum Theater präsentierte. Der Abend der El Warsha-Theatergruppe stellte authentische Texte Betroffener aus der Januar-Revolution und der Zeit danach vor. Er war exemplarisch und hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Man verstand, dass das Theater mit so einer puristisch trockenen Dokumentarform Zeugnis ablegen will. Da die Texte aber kommentarlos von Schauspielern gesprochen wurden, entstand der Eindruck, jeder der sich damals äußerte, sei ein Held der Revolution, egal ob er nun als Demonstrant, Hooligan oder Kleinkrimineller unterwegs war. Hinzu kommt, dass heute neue Probleme anstehen, die auch in der Kunst zu reflektieren wären. Dagegen steht, dass die Situation ägyptischer Theatermacher nicht mit der in Mitteleuropa vergleichbar ist. Man lebt gefährlich, hat einen Brotjob zum Überleben und arbeitet über Monate hinweg an der jeweiligen Inszenierung. Wie sollte man da noch Zeit haben für Aktualisierungen bereits bestehender Theaterabende? Und kann man nicht froh sein, dass es überhaupt solche Theaterformen und so ein Festival gibt, das unter den gegebenen Umständen eher eine Wundertüte im öffentlichen Raum ist. Wunderbar war zum Beispiel, dass man am Ende tatsächlich alle Spielstätten und zehn Theaterproduktionen erreicht hatte, die konzentriert an drei Tagen rund um den Tahrir-Platz gezeigt wurden. Denn der Normalzustand in der Kairoer Innenstadt ist: Stau. Und man ist auf der Straße auch immer wieder mit einem gefährlichen Gemisch aus enttäuschter Erwartung und gestauter Aggression konfrontiert. Wilde Schlägereien entstehen wie aus dem Nichts. Als aufbauende und gestaltende Macht tritt die derzeitige Übergangsregierung so gut wie nicht in Erscheinung. Das D-CAF zum Beispiel bekommt gerade Mal 8000 Euro Unterstützung, aber nicht vom Kultur-, sondern vom Tourismusministerium. Das erfährt man von Ahmed El Attar, dem Herz und Motor des Festivals. Er ist Schauspieler, Regisseur und mit dem Monolog „On the importance of being an Arab“ vertreten. Man schlägt sich zum Rawabet Theater in einer mit Cafés belebten Straße durch. Da sitzt er dann auf der kleinen Bühne und bedient selbst die Übertitelungsanlage, während es ihm um Dinge wie das schwierige Verhältnis zum Vater oder den Ägypten-Besuch Barack Obamas 2009. El Attar und sein Team sorgen dafür, dass Ägypten mitten im postrevolutionären Chaos Signale künstlerischer Kreativität aussendet. Ohne ihn und seine Mitarbeiter würde es auch die Kooperationen ägyptischer Theaterkünstler mit Kollegen aus Afrika oder Europa nicht geben, die wiederum für die finanzielle Unterstützung von Institutionen wie dem British Council, der Ford Foundation und dem Goethe Institut sorgen. Die Koproduktion „An Empty House for Hospitality“ zum Beispiel widmete sich dem Thema Gewalt. Inszeniert hatten sie die französische Tänzerin und Schauspielerin Laurence Rondoni und der ägyptische Tänzer Mohamed Shafik. Als Laurence Rondoni dann mit ihrer Gruppe descent-danse und der Tanzperformance „What is left …“ antrat, ging es um das altbekannte Spiel missglückender Liebe, aber auf derart hohem Niveau, dass man die Anreise der französischen Compagnie nur begrüßen konnte. Anderen gelang das nicht. Aus Damaskus eingeladen war eine syrische Theaterproduktion, in der es unter anderem um Franz Xaver Kroetz’ „Wunschkonzert“ gehen sollte. Gibt es das: Theater mitten aus dem Bürgerkriegsland und dann auch noch mit Kroetz’ wortlosem Abschiedsbild einer lebensmüden Frau? Leider musste die Vorstellung in letzter Minute abgesagt werden. Aus Syrien raus wäre die Theatergruppe gekommen, nach Ägypten rein wollten die ägyptischen Behörden sie nicht lassen.