Rheinpfalz Tirol: Pfälzerin von Kuh getötet

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Am 28. Juli 2014 ist Daniela M. im Tiroler Stubaital von einer Kuhherde getötet worden.

Ende Juli ist die Bad Dürkheimerin Daniela M. im Tiroler Stubaital durch eine Kuhherde getötet worden. Ihr Witwer fordert die österreichischen Behörden jetzt auf, Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen – und beklagt den respektlosen Umgang mit dem Tod seiner Frau.

Die Alm

Es war keine Bergeinsamkeit, in der Daniela M. aus Bad Dürkheim zu Tode gekommen ist, am 28. Juli 2014. Daniela M. ist neben einem geschotterten Fahrweg gestorben, wenige Meter von einer Hütte mit 300 Sitzplätzen entfernt. Es gibt Shuttlebusse, die Senioren oder Gehbehinderte dorthin bringen, von Neustift im Tiroler Stubaital zur Pinnisalm auf 1559 Metern Höhe. Vier Hütten finden sich in der näheren Umgebung, um die 1000 Sitzplätze insgesamt, Bergtourismus verdichtet im Naturidyll. Und dort, vor Postkartenkulisse, ist Daniela M., 45 Jahre alt und mit ihrem Hund auf einer Wanderung, gegen 15.15 Uhr von einer Kuhherde angegriffen und getötet worden – und hat damit für Schlagzeilen im Sommerloch gesorgt. „Die Killerkühe vom Stubaital“ hat die Bildzeitung damals getitelt.

Die Wut

Es hat sich jemand aus Tirol gemeldet, bei Frank M., dem Witwer. „Ich hab’ 14 Tage später eine vorgedruckte Postkarte bekommen“, sagt er, „mit einer Unterschrift von jemandem, den ich nicht kenne.“ Frank M. ist beim Gespräch in Bad Dürkheim um Beherrschung bemüht, aber manchmal brechen Trauer und Wut durch. „Man tut in Tirol so, als ob das alles die Schuld meiner Frau gewesen ist“, sagt Frank M., „der dummen, deutschen Touristin.“

Die Häufung

Binnen einer Woche nach dem Tod der Daniela M. sind in Tirol zwei weitere Menschen von Kühen attackiert und teilweise schwer verletzt worden – zwei Einheimische, wie die Regionalpresse betont. Eine halbe Stunde vor der Attacke, der Daniela M. erlegen ist, ist an gleicher Stelle eine italienische Familie von derselben Kuhherde angegriffen worden – und wohl nur mit viel Glück unverletzt davongekommen. Kurz nach dem Tod von Daniela M. hat sich eine andere Deutsche bei der Tiroler Polizei gemeldet und angegeben, ihr Hund sei zwei Wochen zuvor ebenfalls auf der Pinnisalm von derselben Herde angegriffen worden. Frank M. sucht zurzeit nach weiteren Touristen, die von Kuh-Attacken auf der Pinnis-alm betroffen waren.

Die Einbahnstrasse

Daniela M. hat an ihrem letzten Lebenstag eine Wanderung von rund 30 Kilometern gemacht. Sie ist gegen 9.30 Uhr mit der Gondelbahn ins sogenannte Elfermassiv über Neustift aufgefahren. Sie ist vom Gondelhaltepunkt auf die Karalm gewandert, von dort zur Innsbrucker Hütte aufgestiegen, von 1770 auf 2370 Meter. Sie ist am Nachmittag in Richtung Pinnishütte abgestiegen, sicher müde von der langen Wanderung, die Leine mit ihrem Hund um den Bauch gebunden. Am Eingang zur eingezäunten Pinnis-alm hat sie ein in den Boden eingelassenes Gatter passiert, das die Kühe auf der Weide halten soll, und sie hat ein Hinweisschild passiert, das insbesondere Hundebesitzer vor möglichen Gefahren durch Kühe warnt. Einen anderen Weg hat es für Daniela M. allerdings nicht gegeben: Es führt von der Pinnisalm nur eine Route ins Tal. Zwischen Weide und Weg gibt es dort, wie häufig im alpinen Raum, keinen Sicherungszaun. Daniela M. hat den Wanderweg nicht verlassen, ihr Hund hat sich nach Aussage eines Augenzeugen gegenüber den Kühen nicht aggressiv verhalten.

Die Herde

Daniela M. ist durch eine Herde von zehn Mutterkühen und zehn Kälbern getötet worden – eine Herde, die nach dem System der Mutterkuhhaltung organisiert ist. Die Kühe werden dabei nicht als Milchvieh im Stall gehalten, sondern weiden zusammen mit ihren Kälbern auf Freiflächen – als künftiges Schlachtvieh. Das System klingt nach einer Win-Win-Situation für Mensch und Rind: Die Tierhaltung ist für die Bauern weniger arbeitsintensiv und kann auch von Klein- oder Nebenerwerbsbauern praktiziert werden. Und die Tiere leben einen Gutteil des Jahres vergleichsweise artgerecht in natürlicher Umgebung, beispielsweise auf den alpinen Sommerweiden. Ein potenzielles Problem gibt es freilich: Milchkühe sind durch den regelmäßigen Melkvorgang an den Kontakt mit Menschen gewöhnt – Mutterkühe nur dann, wenn sich der Tierhalter darum kümmert. Es gibt deshalb Experten, die zu besonderen Sicherungsmaßnahmen raten, um Weidewirtschaft und Tourismus voneinander zu trennen: „Auch häufige Kontakte der Tiere zu Wanderern verpflichten zu größeren Sicherungsmaßnahmen, aus diesem Grund sind stark frequentierte Wege (...) auf alle Fälle abzutrennen“, so die „Tipps für den richtigen Umgang mit Weiderindern“ des österreichischen Lehr- und Forschungszentrums für Landwirtschaft Raumberg-Gumpenstein.

Die Checkliste

Frank M. legt beim Gespräch ein Papier vor: Im Jahr 2011 hat der Besitzer der Kuhherde, die Daniela M. getötet hat, ein Bauer aus Neustift, eine Checkliste der Schweizer „Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft“ (Bul) unterschrieben. Die Organisation berät Bauern unter anderem zum Thema „Mutterkuhhaltung“. Bei der Frage 12, „Sind allfällige Vorkommnisse mit Wanderern und Rindvieh bekannt oder erfasst?“, wurde auf der Liste „Ja“ angekreuzt. Gegenüber der Polizei hatte der Bauer zu Protokoll gegeben, vor dem tödlichen Unfall mit Daniela M. sei es zu keinen Problemen mit seinen Tieren gekommen. Auf Anfrage der RHEINPFALZ am SONNTAG wollte sich der Mann nicht äußern.

Die Statistik

Ein generell erhöhtes Gefahrenpotenzial durch freilaufende Mutterkühe erkennt Bul-Mitarbeiter Heinz Feldmann nicht. „Fakt ist, dass wir in diesem Jahr – in der Schweiz – keine schwerwiegenden Zwischenfälle hatten.“ Etwa 5000 bäuerliche Betriebe halten in der Schweiz Mutterkühe. Dort gibt es laut Feldmann pro Jahr drei bis sechs Zwischenfälle, an denen Mensch und Kuh beteiligt sind. „Todesfälle höchstens ein, zwei pro Jahr – in diesem Jahr noch keinen“, sagt Feldmann. Allerdings betreibt die Schweiz eine intensive Qualitätskontrolle bei der Mutterkuhhaltung: Die Bul-Checkliste wird dort laut Feldmann von den Bauern jährlich ausgefüllt – freiwillig, aber von Relevanz, wenn ein Schadensfall eintritt. „Das ist kein Papiertiger“, sagt Feldmann.

Das Opfer

Warum Daniela M. auf der Pinnisalm hat sterben müssen, darüber will Feldmann aus der Ferne nicht spekulieren – und tut es dann doch ein wenig: „Hat eine halbe Stunde vorher ein Vorfall mit Hund stattgefunden“, sagt Feldmann, dann sei Daniela M. vielleicht „nur das Opfer von etwas, das vorher passiert ist“. Um Näheres zu sagen „müsste man die Örtlichkeit kennen“, sagt Feldmann.

Das Tal

Frank M. kennt die Örtlichkeit. Er fährt seit 40 Jahren ins Stubaital, zunächst mit seinen Eltern, später mit seiner Frau Daniela. Und die Örtlichkeit, die er da beschreibt, die ist eine, in der sich Landwirtschaft und Tourismus auf engem Raum zusammendrängen, auf zu engem Raum vielleicht. Es gibt etwa 80 Fahrzeugbewegungen pro Tag im Pinnistal. Die Gondel fährt jeden Tag laut M. etwa 500 Menschen ins Massiv, dazu kommt eine unbekannte Zahl von Wanderern, die von unten aufsteigen oder von oben, vom Stubaier Höhenweg, herunterkommen. Diese Menschen, ob jung, ob alt, ob frisch oder erschöpft, werden über Wanderwege geführt, die quer über Kuhweiden führen, oft ohne Sicherungszaun. Almflächen großräumig einzuzäunen ist für den Präsidenten der Tiroler Landwirtschaftskammer laut Tiroler Zeitung „denkunmöglich“. „Auf dem Herzebenkasern und der Karalm (den beiden Nachbaralmen der Pinnisalm, d. Red.) geht’s doch auch“, hält M. dagegen.

Das Geld

„Die Kühe stehen da, weil man sie aus Gründen des Idylls und aus Subventionsgründen da haben will“, sagt M. 230 Euro Subventionen und Beihilfen pro Mutterkuh werden laut Tiroler Landwirtschaftskammer gezahlt – noch bis zum Ende des Jahres. Dann steht ein Systemwechsel hin zu Flächenförderung an. Von der werden die Besitzer kleiner Herden auf großen Flächen wie im Pinnistal tendenziell eher profitieren. Der Streichelzoo „Tourismus ohne Landwirtschaft ist für uns nicht denkbar“, sagt Roland Volderauer, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Stubai Tirol. Der Tod von Daniela M. ist für ihn „ein Vorfall, der für uns einzigartig ist“. Die Tiroler Landwirtschaftskammer hat nach dem Tod von Daniela M. eine Broschüre mit dem Titel „Eine Alm ist kein Streichelzoo“ herausgegeben, die Wanderer mit Comics über das rechte Verhalten auf der Bergalm informieren soll. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Daniela M. vor ihrem Tod versucht hätte, eine Kuh zu streicheln.

Die Vorahnung

„Ich glaube, diese Muttertierhaltung ist nicht gut“, sagt Christian Siller, der Inhaber der Pinnisalmhütte, in deren unmittelbarer Nachbarschaft Daniela M. gestorben ist. „Wenn die Tiere ständigen Kontakt zu Menschen haben, ist das anders.“ Die Vorfälle vor dem Tod der Frau aus Bad Dürkheim hat Siller mitbekommen, ist der italienischen Familie, die kurz zuvor angegriffen worden war, sogar noch beigesprungen. Hätte er selbst nicht dafür sorgen können, dass die Wanderer vor den Kühen sicher sind? „Ich bin nicht befugt, die Straße zu sperren – oder die Tiere wegzujagen“, sagt Siller. Die Kuhherde, die Daniela M. getötet hat, befindet sich in der Zwischenzeit auf einer Hochweide. „Ich glaube, wenn diese Kühe nächstes Jahr wieder (vom Tal, d. Red.) aufgetrieben werden – dann passiert wieder was“, sagt Siller.

Das Ende

Zurzeit sieht es so aus, als werde das Ermittlungsverfahren der Innsbrucker Staatsanwaltschaft zum Tod von Daniela M. ohne Anklageerhebung eingestellt. Hinweise auf einen Sorgfaltsverstoß haben die polizeilichen Ermittlungen gegen Unbekannt nicht erbracht, so die Behörde vor einigen Tagen. „Ein Hinweis dafür, dass eine nicht artgerechte Haltung für das Verhalten der Kühe ursächlich gewesen sei, hat sich nicht ergeben“, schreibt ein Behördensprecher. Was wird Frank M. tun, wenn das Verfahren tatsächlich eingestellt wird? „Notfalls geh’ ich bis zum Europäischen Gerichtshof“, sagt M. „Ich will nicht, dass meine Frau umsonst gestorben ist.“

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