Rheinpfalz Studenten zurück an die Kopierer?

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MAINZ. Werden Studenten ab Januar ihre Literatur nicht mehr bequem via Internet herunterladen können? Bundesweit machen die Hochschulen Front gegen einen Rahmenvertrag, den die Kultusministerkonferenz (KMK) mit der Urheberrechte-Verwertungsgesellschaft (VG) Wort abgeschlossen hat. Sie halten das darin vorgesehene Vergütungsverfahren für viel zu aufwändig. Jetzt soll auf die Schnelle eine Übergangsregelung ausgehandelt werden.

Dozenten beglücken häufig ihre Studenten mit ellenlangen Literaturlisten, die sie zum besseren Verständnis ihrer Lehrveranstaltungen oder zur Vertiefung des Stoffes für notwendig erachten. Bevor das Internet populär wurde, stürmten zumindest fleißige Hochschüler regelmäßig Copy-Shops, um die empfohlenen Buchkapitel und Zeitschriften-Artikel zu vervielfältigen. Dank einer pauschalen „Kopiergeräteabgabe“ wurde dabei auch den Urheberrechten der Autoren Rechnung getragen. Heutzutage wird die „Semesterapparat“ genannte Literatur praktischerweise nicht mehr in Papier- sondern in digitaler Form zugänglich gemacht. Und zwar über Lernmanagementsysteme wie zum Beispiel „Olat“. Studenten können sich dadurch die beispielsweise für ihre Seminare benötigten Veröffentlichungen bequem herunterladen. Auch dafür erhielten die Autoren über die VG Wort bisher eine pauschale Vergütung, die von Bund und Ländern geleistet wurde. Grundlage für diese Vergütung war ein Vertrag, der zum Jahresende ausläuft, informiert das Mainzer Wissenschaftsministerium auf Anfrage. Die KMK hat deshalb Anfang Oktober auf Bundesebene einen neuen Rahmenvertrag abgeschlossen. Dieses Paragrafenwerk sollte auch einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) Rechnung aus dem Jahr 2013 Rechnung tragen, so das Mainzer Ministerium weiter. Nach dessen Rechtsprechung sei eine pauschale Abgeltung der Urheberrechte nicht mehr zulässig. Notwendig sei vielmehr eine nutzungsbezogene Erfassung der Literatur, die die Studenten von den Lernplattformen der Hochschulen herunterladen. Praktisch hätte das zur Folge, dass die Hochschulen penibel jeden Internet-Abruf registrieren und über eine Eingabemaske an die VG Wort übermitteln müssten. Denn nach der neuen Rechtslage hätte jede Alma mater dem Rahmenvertrag beitreten und selbst die anfallenden Internet-Abrufe abrechnen und berappen müssen. Dagegen laufen die Hochschulen seit Wochen Sturm. Ihr Argument: Viel zu aufwändig und deshalb unzumutbar. Inzwischen haben sich die Reihen des Widerstands geschlossen: Alle Landeshochschulrektorenkonferenzen – auch diejenige von Rheinland-Pfalz – haben ihren Mitgliedshochschulen empfohlen, diesem Rahmenvertrag nicht beizutreten. Damit drohte den Studenten zum Jahreswechsel ein Rückfall in vordigitale Zeiten. Es darf bezweifelt werden, dass die Hochschul-Bibliotheken für einen solchen Fall kurzfristig ausreichend vorbereitet wären. Zumal diese Einrichtungen in Rheinland-Pfalz nie besonders üppig ausgestattet waren. So gilt die Bibliothek der Universität Koblenz-Landau im bundesweiten Vergleich als geradezu miserabel versorgt, wie sich aus der Deutschen Bibliotheksstatistik ergibt. Danach verfügt Koblenz-Landau über knapp 500 Benutzerarbeitsplätze, 664.000 Bücher und 40 Personalstellen bei rund 16.000 Studenten. Zum Vergleich: Die Universität Rostock kann bei nur 14.000 Studenten mit über 1200 Benutzerarbeitsplätzen, über 2,1 Millionen Büchern und 93 Personalstellen glänzen. Die „Einheitsfront“ der Hochschulen hat aber offensichtlich Wirkung gezeigt: Vergangenen Freitag teilten Hochschulrektorenkonferenz, KMK und VG Wort mit, dass bis zum Jahresende ein Ausweg gefunden werden soll. Dazu werde eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt, die „eine einvernehmliche Lösung für die Handhabung des Urheberrechtes“ entwickeln werde. Denn: „Die Partner wollen eine bruchlose weitere Nutzung der digitalen Semesterapparate an den deutschen Hochschulen über die Jahreswende hinaus gewährleisten.“ Mehr noch: Bis Ende September nächsten Jahres soll „unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung“ eine „praktikable Lösung“ ausgehandelt werden. „Die rheinland-pfälzische Landesregierung begrüßt diese Initiative sehr und verbindet damit die Hoffnung auf eine Lösung im Sinne von Studierenden und Lehrenden an den Hochschulen“, teilte dazu ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministeriums auf Anfrage mit. Schließlich sei „die Nutzung digitaler Semesterapparate auf virtuellen Lernplattformen mittlerweile ein selbstverständlicher Bestandteil moderner Hochschullehre. Hier darf es keinen Rückschritt ins analoge Zeitalter geben“. Bleiben zwei Fragen: Warum hat sich die KMK überhaupt auf einen solchen Rahmenvertrag eingelassen? Und was geschieht, wenn sich die Arbeitsgruppe nicht bis zum Jahresende zusammenraufen kann? Denn das BGH-Urteil, das angeblich an allem Schuld ist, gibt es ja nach wie vor. Sollte es bis zum Jahreswechsel keine neue Regelung geben, wird es zumindest weiter möglich sein, durch die Unibibliothek lizenzierte Online-Ressourcen wie E-Books oder E-Journals als direkte Links über Lernmanagementsysteme bereitzustellen, teilte die Universität Koblenz-Landau mit. Außerdem seien die Lehrenden gehalten, ihre Unterlagen für das nächste Sommersemester noch vor Jahreswechsel den Studenten über „Olat“ und andere Plattformen zur Verfügung zu stellen. Bis 31. Dezember gilt nämlich noch das bisherige Recht, dürfen die Hochschüler nach Herzenslust die Literatur herunterladen und auch im neuen Jahr noch nutzen. Erst ab Januar müssen die Unterlagen aus Olat und Co. entfernt werden – wenn es bis dahin auf Bundesebene keine Einigung gibt. „Insoweit“, teilt die Uni-Zentrale in Mainz mit, „dürften sich die Einschränkungen durch die geänderte Rechtslage zumindest im kommenden Sommersemester in Grenzen halten“.

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