Rheinpfalz So streift Facebook Verantwortung ab
Nach dem jüngsten Datenskandal erlebt der Facebook-Konzern die schwerste Krise seit seiner Gründung. Und noch immer will der Konzern keine Verantwortung übernehmen. Sein folgenreiches Geschäftsmodell heißt: Zielobjekt Mensch.
Die größte Taxifirma der Welt besitzt keine Taxen: Uber. Der größte Anbieter von Übernachtungen besitzt keine Immobilien: Airbnb. Die größten Telefonfirmen besitzen keine Netze: Skype, WeChat. Und die größte Medienfirma produziert keine Inhalte: Facebook. Die Beispiele stammen aus einer Aufzählung der IBM-Marketingexpertin Sandy Carter aus dem Jahr 2015. Sie stehen richtig am Anfang eines Artikels, der sich eigentlich nur um Facebooks Umgang mit Daten drehen soll. Denn all diese Firmen sind Internetplattformen. Darauf legen sie großen Wert, damit streifen sie alle Verantwortung ab: Uber für die Professionalität seiner Fahrer, Airbnb für Regeln zu Wohnnutzung oder Hotelgewerbe und Facebook für die Inhalte, die seine 2,13 Milliarden Nutzer lesen. Das Plattform-Argument wird uns durch diesen Text begleiten, es taucht wieder und wieder auf, wenn Facebook unter Druck gerät. Und der Konzern ist nicht erst seit dem jüngsten Skandal unter Druck. Der Datenmissbrauch von Facebook-Nutzern durch Cambridge Analytica hat allerdings eine besondere Sprengkraft entwickelt: Der Börsenkurs des Unternehmens hat eine Talfahrt sondersgleichen hingelegt. Der Marktwert von Facebook ist seit Mitte März um fast 100 Milliarden Dollar (81 Milliarden Euro) geschrumpft. Das ist, als hätte man auf einen Schlag den gesamten Marktwert der BASF vernichtet und noch ein bisschen mehr. Es gibt erste Aktionärsklagen und Nutzerklagen, dazu Vorladungen durch politische Gremien. Das Twitter-Stichwort #DeleteFacebook (lösche Facebook) geht um die Welt.
Weniger Werbeplätze
Die meisten Schmerzen dürfte dem Konzern aber bereiten, dass erste Unternehmen keine Werbung mehr dort platzieren wollen, darunter die Commerzbank, die Internetfirma Mozilla und Lautsprecher-Anbieter Sonos. Denn die Werbewirtschaft ist Facebooks Kunde. Die Nutzer sind es nicht; sie sind nur „Ziele“: targets. Schon seines Geschäftsmodells wegen ist Facebook keine neutrale Plattform. Es gewichtet das, was es seinem Nutzer zeigt, nach eigenen Interessen. Zum einen sind das Platzierungswünsche der Werbekunden, die hier auch austesten, wie verschiedene Werbeformen auf unterschiedliche Zielgruppen wirken. Zum anderen hat Facebook ein Interesse daran, viele Nutzer zu gewinnen und sie täglich ständig neu auf seine Seite zu lenken – gute Argumente für den Werbeverkauf. Niemand kann einem Unternehmer vorwerfen, Geld verdienen zu wollen. Dass Nutzer Facebook statt mit Geld mit ihren Daten bezahlen, war auch nie ein Geheimnis. Unternehmensgründer Mark Zuckerberg (33) spricht allerdings nicht wie ein Geschäftsmann, sondern wie ein Weltenretter. „Facebook wurde nicht geschaffen, um ein Unternehmen zu sein. Es wurde geschaffen, um eine soziale Mission zu erfüllen“, schrieb er 2012 im Gründerbrief zum Börsengang. Das Netzwerk, tönt er bis heute, sei dazu da, „die Menschen zusammenzubringen“.
Algorithmen bleiben Geheimnis
Tatsache ist: Facebook bringt Menschen zusammen, weil das seine Einnahmen steigert. Für gute Nutzerzahlen ist es zudem hilfreich, Nutzern gute Gefühle zu verschaffen. Dass Facebook den „Like“-Button einführte, aber keinen mit nach unten zeigendem Daumen, ist deshalb nur logisch. Logisch ist auch, Nutzern vor allem das zu präsentieren, was sie gern mögen. Wie die Algorithmen funktionieren, die auswählen, was der Einzelne auf seiner Timeline sieht und was nicht, gibt Facebook nicht preis. Sie scheinen jedenfalls ihren Zweck zu erfüllen: 2016 hielten sich die Nutzer im Schnitt 50 Minuten am Tag auf den Seiten des Konzerns auf. Der algorithmengesteuerte Weltausschnitt aber kann zu sich selbst verstärkenden Echokammern führen, in denen die eigene Meinung immerzu bestätigt wird. Facebook bringt die Menschen zusammen und kann dazu beitragen, sie auseinanderzubringen, wenn sie sich in bequemen ideologischen Bunkern einrichten. Nicht nur für Hersteller von Gesichtscremes ist Micro-Targeting interessant, sondern auch für gesteuerte politische Manipulation. Das wurde 2016 deutlich, im Kampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton um die US-Präsidentschaft. Falschnachrichten und Verschwörungstheorien hatten Hochkonjunktur auf sozialen Netzwerken. Jede Kritik schmetterte der Konzern in dieser Zeit mit seinem Standardargument ab: Wir sind eine neutrale Plattform. Als im Frühjahr 2016 ein Medium behauptete, Facebooks Newsfeed halte Konservative klein, betonte Zuckerberg, Facebook sei eine „Plattform für alle Ideen“. Als nach der Wahl Trumps im November 2016 Vorwürfe aufkamen, übers Netzwerk gestreute Falschinformationen hätten Trump ins Amt verholfen, winkte Zuckerberg ab, das sei eine „ziemlich verrückte Idee“. Einer von Zuckerbergs frühen Investoren und Förderern, Roger McNamee, bekam kurz vor den US-Wahlen auf eine besorgte Mail ebenfalls die altbekannte Antwort: Facebook sei eine Plattform, kein Medienunternehmen. McNamee war über die Ausflüchte so erbost, dass er begann, öffentlich über die Gefahren der sozialen Netzwerke für die Gesellschaft zu reden. Er gehört heute zum Gründerkreis des „Center for Humane Technology“, zusammen mit anderen einflussreichen Leuten aus dem Silicon Valley. Sie weisen auf Gefahren hin, die von sozialen Netzwerken für die Psyche von Kindern und für die Gesellschaft ausgehen: Internet-Abhängkeit, Konzentration des Selbstwertgefühls auf Likes, Filterblasen, gezielte Manipulation.
Nur schöne Worte
Nun war klar geworden: Via Facebook konnte man verdeckt Menschen beeinflussen. Die amerikanische Tech-Spezialistin Renée DiResta vergleicht die Manipulation auf sozialen Netzwerken mit dem Hochfrequenzhandel an Finanzmärkten: Mithilfe von Bots könne man leicht dafür sorgen, Fakes rasend schnell zu verbreiten. Viele aus der Tech-Gemeinde wandten sich nun ab. Die frühere Facebook-Managerin Sandy Parakilas forderte die US-Regierung öffentlich auf, Facebook einer staatlichen Kontrolle zu unterziehen, weil die Demokratie in Gefahr sei. Immer noch, immer wieder hat Facebook auf Kritik vor allem mit schönen Worten reagiert. Im Februar 2017 schrieb Zuckerberg an die Nutzer, er wolle dazu beitragen, dass Menschen besser informiert seien. Terroristische Propaganda solle besser aussortiert werden. Aber im vergangenen September gelang es der investigativen Medienseite Pro Publica, testweise Werbung auf Facebook zu schalten, die gezielt an Antisemiten ausgespielt werden sollte. Nutzer, die als Interesse „Judenhasser“, „Wie man Juden verbrennt“ oder „Warum Juden die Welt ruinieren“ angaben, sollten eine Botschaft des angeblichen Kunden gezeigt bekommen. Alle drei Zielgruppen seien binnen 15 Minuten vom automatischen Buchungssystem akzeptiert worden, berichteten die Journalisten. Facebook strich diese Kategorien sofort. Doch der Fall zeigt, wie mechanistisch seine Systeme den Begriff „Kunde“ verstehen. Diese Forscher haben mit Cambridge Analytica nicht zusammengearbeitet. Wohl aber ein Psychologe namens Aleksandr Kogan. Er erstellte ein Persönlichkeitsquiz als Facebook-App. Die nutzte dann nicht nur die Profile der 270.000 Quizteilnehmer, sondern auch Infos von deren Facebook-Freunden. So entstand ein Datenkorb über 50 Millionen Menschen, den Kogan unerlaubt Cambridge Analytica überließ. Die Daten könnte die Firma für Trumps Wahlkampf benutzt haben.
Nur eine Plattform
Neu an diesem Skandal ist, dass Facebook-Daten nach außen drangen. Nicht wirklich neu ist die lasche Reaktion des Konzerns: Er bemerkte schon 2015 den Datenklau und verlangte von Kogan und der Firma, alles zu löschen. Weder prüfte er das später nach, noch informierte er betroffene Nutzer. Erst vor zwei Wochen kam alles ans Licht. Ein paar Sicherheitsfunktionen mehr, ein paar Datenhappen weniger, damit hofft Facebook davonzukommen. Sein Geschäft wird dadurch nicht angetastet. Verantwortung für Inhalte übernimmt es weiterhin nicht. Facebook ist ja nur eine Plattform, nicht wahr? Es ist, wie neuen Angestellten dort gern erklärt wird, einfach ein neuer Kommunikationsweg, so wie einst das Telefon. Wird Facebook die Krise überstehen? Das kann man heute nicht sagen. Ein so weit gespanntes Kontaktnetz verlassen Leute ungern. Andererseits verliert Facebook seit einigen Jahren gerade bei jungen Leuten an Anziehungskraft. Ob aber nun Nutzer abwandern oder nicht: Regulierung ist möglich. Europa hat sich schon aufgemacht, die Internet-Multis bei Steuern und Datenschutz am Schlafittchen zu packen. Deutschland zwingt Facebook gesetzlich zum Löschen von Hassbotschaften. Von allein schützt der Konzern seine Nutzer nicht. Denn die Nutzer sind nur das hell ausgeleuchtete, exakt vermessene Produkt, das er an seine Kunden verkauft.