Rheinpfalz Sie verstehen noch nicht jeden Seitenhieb

Nervös rührt Patricia Acker in ihrem Latte macchiato. Termine mit der Presse hatte sie noch nicht so häufig. Und was war sie erst nervös, als sie – der Nachname ist schuld – als jüngstes Stadtratsmitglied auch noch als Erste zur Ernennung musste. „Ich bin aber nicht gestolpert und habe noch rechtzeitig die Hand vom Oberbürgermeister gefunden und gedrückt“, erzählt sie lachend. Ein gutes halbes Jahr ist es jetzt her, seit sie und Fraktionskollege Carsten Brossette mit den anderen Stadtratsmitgliedern ihr Amt angetreten haben. Das Ziel, drei Sitze zu halten, wurde dank eines gestiegenen Stimmenanteils von 1,2 Prozentpunkten übertroffen, „Die Linke“ bekam ein viertes Stadtratsmitglied. „Es war schon eine Überraschung, ich hatte nicht gedacht, so jung in den Stadtrat zu kommen“, sagt Acker. „Es ist schon viel Verantwortung.“ Dessen ist sich auch ihr Parteikollege bewusst und nimmt diese ganz besonders ernst. „Es gibt Wochen, da mache ich kaum etwas außer Stadtrat“, sagt Carsten Brossette. „Im November, als der Haushalt dran war, war es schon stramm.“ Die Mengen von Unterlagen, mit denen „man bombardiert wird“, teils auch erst kurz vor den Sitzungen, habe er unterschätzt. „Und das sind ja meistens gerade nicht die unbrisantesten Sachen.“ Er liest viel, beide waren schon auf Fortbildungen, die Fraktionskollegen Stefan Glander und Elke Theisinger-Hinkel helfen. „Ich habe mir viel vorgenommen, mich einzuarbeiten, gerade die Energietechnik interessiert mich. Aber ich habe noch nicht so viel geschafft wie gewünscht“, meint der Elektrotechnik-Student etwas zerknirscht. Ein Konzept für eine saubere, autarke Stromversorgung der Stadt würde er gerne entwickeln. Doch beide wissen, dass es eben eine Weile dauert, bis man das Procedere kennt, sich eingearbeitet hat, und bis die Stadtratskollegen auch die Namen der Neuen kennen. Dabei sehen sich beide als Pragmatiker, die junge Stadträtin, die sich mit Anti-Kriegs- und antifaschistischer Arbeit politisiert hat, und der Student, der beim Amoklauf von Erfurt (2002) und der folgenden Killerspiel-Debatte erschrocken war, wie wenig informiert Politiker und auch die Presse gewesen waren. So ist es bei beiden nicht die Kommunalpolitik, die sie zum parteipolitischen Engagement gebracht hat. Auch bei ihren Freunden sehen sie das, es gebe wenig Interesse an kommunalpolitischen Themen bei Jugendlichen. Insgesamt würden sich beide mehr öffentliches Interesse an der Arbeit des Stadtrates wünschen. „Die Zeiten sind aber auch schwierig für Zuschauer“, meint Brossette. Sein Wunsch, einen Livestream und einen Mediathek-Zugriff einzurichten, sei allerdings schwierig umzusetzen. Es fehle das entsprechende Landesrecht, bei jeder Sitzung müssten so alle Anwesenden, auch Zuschauer, um ihre Zustimmung gebeten werden, erklärt der Netzpolitiker. „Viele Leute erreicht gar nicht, was wir hier so die ganze Zeit treiben.“ Beide betonen, immer gerne zu den Sitzungen zu gehen, immer etwas Spannendes zu finden. „Es ist wichtig, die Menschen zu beobachten, ihre Gestik und Mimik“, sagt Acker. Und Brossette ergänzt: „Bei dem ganzen Drumherumgerede versteht man (noch) nicht jeden Seitenhieb.“ Vor allem in den nicht-öffentlichen Sitzungsteilen und in den Ausschüssen werde mehr Tacheles geredet. „Im Jugendhilfeausschuss wird schon Wert auf meine Meinung als Jüngere gelegt“, sagt Acker. „Sonst habe ich aber manchmal das Gefühl, nicht ganz ernst genommen zu werden, mich noch beweisen zu müssen.“ In der Fraktion sei dies allerdings kein Problem, betont Brossette: „Wir gehen jedes einzelne, kleine Thema durch und sind meist auch einer Meinung. Es wird gleichwertig diskutiert. Da ist es auch gut, dass wir eine kleine Fraktion sind.“ Auch als Oppositionspartei trage man Verantwortung für die Stadt. „Es bringt nichts, utopischen Vorstellungen reformistisch nachzueifern. Mit dem Kopf durch die Wand hat noch niemandem geholfen. Wir wollen Gespräche suchen, auch Kompromisse eingehen, wo möglich zum Wohle aller auch Abstriche machen“, sagt Acker. Dennoch sei es wichtig, aus ideologischen Gründen auch Nein zu sagen, betont Brossette: „Wenn Baumfällungen wegen Prachtkäferbefall in der Schutzzone des Pfälzerwaldes gefordert werden, kann ich da nicht zustimmen. Oder wenn Luftschneisen in der Stadt zugebaut werden sollen.“ Was beide vorbringen: Sie haben das Gefühl, nicht nur wegen ihrer Jugend, sondern auch wegen ihrer Parteizugehörigkeit teilweise geschnitten zu werden – von Bürgern, von Stadtratsmitgliedern, auch von der Presse. Und sie machen sich Gedanken, wie ihre Arbeit im Stadtrat, die vielen dafür nötigen Stunden, sowie ihre Parteizugehörigkeit sich auf ihre Jobsuche auswirken wird. Acker ist gerade auf Lehrstellensuche, Brossette möchte nach Abschluss des Studiums im Bereich „saubere Energie“ arbeiten. „Man ist ja schon irgendwie eine Person des öffentlichen Lebens. Ich wäre auf jeden Fall froh, wenn sie mich nach meiner politischen Einstellung fragen“, statt nach dem Parteibuch zu bewerten, meint Brossette. Gegen Ende des Gesprächs ist die Nervosität abgeklungen. Doch es kommt dann noch eine Vorstellungsgespräch-Frage: Wo sehen sich die beiden in 20 Jahren? „Ob ich dann noch im Stadtrat bin, entscheiden doch die Wähler“, antwortet Acker. „Ich habe mir politisch nie langfristige Ziele gesetzt, es kam immer eins zum anderen“, meint Brossette. Und das wolle er auch so beibehalten. Eine rein politische Laufbahn können sich beide nicht vorstellen.

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