Rheinpfalz Mit Pranger, Tränke und Donnerbalken

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ELZWEILER. Die Gemeinde Elzweiler ist ein Sackgassendorf: Die Straße, die in den Ort führt, endet dort, geht über in einen Feldweg, der in den Wald hineinführt. Das ist nicht nichts Einzigartiges. Doch irgendwo muss in Elzweiler am Samstag eine Zeitbarriere gewesen sein. Denn kaum hatte man die befestigte Straße verlassen, fühlt man sich um Hunderte von Jahre zurückversetzt.

Auf dem Weg tauchen plötzlich Menschen in mittelalterlichen Gewändern auf, von Weitem nimmt man den Geruch eines Feuers wahr. Vor einer Lichtung prangt in luftiger Höhe ein Schild mit der Aufschrift „Wiesen-Taverne“. Dahinter sind zwei kleine Unterstände zu erkennen – mit Schildern versehen, auf denen die Worte „Futterey“ und „Tränke“ zu lesen sind. Auch der obligatorische „Donnerbalken“ wird ausgewiesen. Etwas abseits ist offenbar vorgesorgt, falls sich ein Gast nicht benehmen sollte: Ein Pranger wartet darauf, Übeltäter büßen zu lassen. Aber was passiert hier gerade? Ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum? Die zwanzig Meter lange Tafel, eigens für diesen Abend aus einem dicken Baumstamm gefertigt, die unter einem mit einer Plane überdachten Unterstand offenbar auf ein Festmahl wartet, gibt den ersten Hinweis. „Seid gegrüßt“, ruft jemand. Es ist Klaus Simon, der – wie sich herausstellt – für all das verantwortlich zeichnet. Gemeinsam mit seiner Frau Gabi feiert er Geburtstag. Klaus Simon, stilecht gekleidet in Lederhose, Hemd und sogenannter Gugel, ist bereits vor ein paar Monaten 50 Jahre alt geworden. Bei seiner Frau Gabi, gewandet in ein blaues Kleid, war es am Tag vor dem Fest so weit. „Unser Faible für das Mittelalter fing 1998/99 an“, erinnert sich Klaus Simon. Für einen Wettbewerb eines Radiosenders hatte war damals ein kleiner Mittelaltermarkt in Elzweiler organisiert worden, und seither ist das Ehepaar infiziert. „Wir fahren seitdem regelmäßig auf Mittelaltermärkte und haben irgendwann beschlossen: Wenn wir 50 werden, feiern wir im mittelalterlichen Stil.“ Und wer sich auf der Lichtung umschaut, der erkennt schnell: Die Simons machen keine halben Sachen. Das Bier wird aus Holzfässern serviert, die eigens aus der Vorderpfalz besorgt und in wochenlanger Arbeit wieder funktionsfähig gemacht wurden. Außer Bier gibt es Wasser, Wein und Saft – weder Cola noch Limo. „Das gab es ja auch im Mittelalter alles noch nicht“, erklärt Gabi Simon schmunzelnd. Auch das Mahl für die Gäste ist außergewöhnlich: Neben Schmalz- und Quarkbroten zur Vorspeise gibt es unter anderem „Wildschwein in der Kiste“: Es wird in einer Holzkiste zubereitet, deren Deckel aus einer Stahlplatte besteht. Obenauf brennt ein Feuer. „So ist das Innere wie ein Backofen“, erklären die Simons. Jeder Gast findet auf seinem Teller einen Holzlöffel und ein Messer. Gabeln gibt es nicht. Ganz wie im Mittelalter eben. Auch für die stilechte musikalische Umrahmung ist gesorgt: Die beiden Spielleute von „Maleficius“ sind eigens aus der Nähe von Frankfurt am Main angereist. Im Gepäck haben sie authentische Instrumente wie beispielsweise Sackpfeifen und eine Laute. Rund drei Wochen habe es gedauert, die Lichtung in eine Art mittelalterliches Feldlager zu verwandeln – ein Heidenaufwand für nur einen Abend. Schon im Frühjahr habe man gar angefangen, das entsprechende Holz für die Unterstände zu schlagen. Von so viel Aufwand sind die rund 70 geladenen und fast alle in entsprechender Gewandung erschienenen Gäste natürlich schwer beeindruckt. Und um die Illusion perfekt zu machen, hat Klaus Simon für kleine Besucher auch noch eine Geschichte auf Lager, woher die Spuren auf dem Boden stammen: nicht etwa von Traktorreifen – obwohl sie irgendwie schwer danach aussehen. „Das sind Spuren vom Schwanz des legendären Drachen vom Sachsbachtal. Den habe ich vor zwei Wochen in einem heroischen Kampf erlegt, damit meine Gäste heute gefahrlos feiern können“, erklärt der Gastgeber und präsentiert seinen Dolch als Tatwaffe. Doch die Tatsache, dass er Mühe hat, sich dabei das Lachen zu verkneifen, lässt am Wahrheitsgehalt dieser Mär zweifeln. Ansonsten ist die Illusion aber nahezu perfekt, und für die Simons und ihre Gäste war es ein toller Abend und wahrscheinlich eine lange Nacht, in außergewöhnlicher Atmosphäre.

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