Rheinpfalz Kannen, Basalt und Klein-Hogwarts

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Rheinland-Pfalz feiert 2017 einen runden Geburtstag. 70 Jahre sind vergangenen, seitdem die Bürger sich am 18. Mai 1947 in einer Volksabstimmung für eine Verfassung des neuen Bundeslandes entschieden und den ersten Landtag wählten. Rheinland-Pfalz, lange Zeit als Land der Retorte bezeichnet, scheint mittlerweile zusammengewachsen zu sein; seine Regionen haben sich aber ihren eigenständigen Charakter bewahrt. Diese RHEINPFALZ-Serie porträtiert die verschiedenen Landesteile. Heute: unterwegs im Westerwald.

Sie haben einen eigenen Gruß „Hui! Wäller?“ „Allemol“. Und sie haben einen Marsch. Keine Frage, die Westerwälder wissen, wer sie sind. Vor allem das Westerwald-Lied macht das rechtsrheinische Mittelgebirge auch Menschen bekannt, die von den Flüssen Dill und Heller noch nie etwas gehört haben. Sie begrenzen wie der Rhein und die Lahn die Region, die sich über Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen erstreckt. Ein Erbe aus der Zeit, als Grafen und Kurfürsten das Sagen hatten. 1816 herrschten die Preußen und der Herzog von Nassau. „Oh du schöner Westerwald“ wurde später komponiert. 1935. Es gehört zu den bekanntesten Volksliedern, ist aber belastet. Wehrmachtsoldaten sangen es, als sie im Zweiten Weltkrieg in die Nachbarländer einfielen. Unumstritten ist der Wahrheitsgehalt der Zeile „Über deinen Höhen pfeift der Wind so kalt“, auch wenn Meteorologen das Klima als „warm und gemäßigt“ einstufen. Wer im Frühling aus dem südlichen Landesteil in den Westerwald kommt, stellt fest, dass die Natur dort später aus dem Winterschlaf erwacht. Dafür liegt in der Region die jüngste Stadt von Rheinland-Pfalz. Erst im März 2017 wurden der 4000 Einwohner zählenden Kommune Daaden im Landkreis Altenkirchen Stadtrechte verliehen. Besuchern stellt sie sich sehr geschichtsbewusst vor. Im Zentrum, dessen historisches Ensemble durch Neubauten wie einen Textilmarkt gestört ist, berichten Tafeln an Häusern von deren früherer Bedeutung. Auch Sinnsprüche sind beliebt. Kostprobe? „Lass die Hasser hassen und die Neider neiden. Sterben müssen alle.“ Daaden ist die Heimat des früheren Wirtschaftsministers und FDP-Urgesteins Hans-Artur Bauckhage. Dort lernte er das Backhandwerk in der elterlichen Bäckerei. Auch ein anderer Wirtschaftsminister, der heutige Landtagspräsident Hendrik Hering, kommt aus dem Westerwald. In dem schmucken Städtchen Hachenburg mit vielen sorgfältig restaurierten Fachwerkhäusern war er früher Bürgermeister. Das imposante, aus dem Mittelalter stammende Schloss der Stadt hat es sogar ins „Wall Street Journal“ geschafft: „Hinter den Mauern einer Burg aus dem 12. Jahrhundert, umgeben von einem bewaldeten Tal und 30 Meilen entfernt von der nächstgrößeren Stadt trainiert Deutschland seine erste Garde der Verteidigung gegen die Instabilität aus der Fremde.“ Eine Anspielung auf Harry Potter und die Verteidigung gegen die dunklen Künste, wie sie in der Zauberschule Hogwarts gelehrt wird. Seit 1980 betreibt die Bundesbank als Währungshüterin ihre Hochschule im Zentrum des Westerwaldes, weit weg von der hektischen Finanzwelt in Frankfurt. Etwa 40 Kilometer südwestlich vom Schloss wirkte schon einmal ein Westerwälder zähmend auf die Finanzwelt: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Als Bürgermeister von Heddesdorf, das heute zu Neuwied gehört, gründete er 1854 den späteren „Darlehenskassenverein“, ein Vorläufer der Genossenschaftsbanken. Bauern konnten günstige Kredite aufnehmen, um ihre Felder zu bestellen. Das Wirtschaftsleben in der Region ist heute von Dienstleistungen, mittelständischen Unternehmen und vom Tourismus geprägt. Wanderer werden seit 2008 mit dem Westerwaldsteig umworben. Ein Teil des obergermanisch-rätischen Limes, der Weltkulturerbe ist, führt ebenfalls durch den Westerwald. Die Landwirtschaft spielt eine eher untergeordnete Rolle und die Zeiten, in denen der Basaltabbau Tausenden von Westerwäldern Arbeit und Brot gab, sind lange vorbei. Nur die Zeugen dieser Zeit, Werkzeuge, Bilder, werden eifrig gesammelt und ausgestellt. Weiter südlich im Kannenbäckerland um Höhr-Grenzhausen ist Ton der Rohstoff, auf den die Wirtschaft baut. Die typischen grau-blauen Töpfe sind zwar immer noch allgegenwärtig, aber ein nennenswerter Faktor sind sie nicht mehr. Die Region arbeitet am Strukturwandel. Auf dem Westerwaldcampus werden Ingenieure der Werkstofftechnik Glas und Keramik ausgebildet. Künstliche Hüftgelenke, keramische Magnete. Das entsteht heute aus Ton. In zahlreichen Werkstätten haben sich außerdem Kunsthandwerker niedergelassen. Dort dominiert nicht mehr der grau-blaue Salzbrand. Modern ist das Design und frisch sind die Farben. Design, aber ganz anders, lockt die Menschen nach Montabaur. Dort eröffnete vor zwei Jahren am Bahnhof der Schnellbahnstrecke Frankfurt - Köln ein Fashion Outlet Center (FOC). Dass der Zug dort seit 2003 hält, hat die Mainzer Landesregierung der Bahn erfolgreich abgetrotzt, obwohl er nur wenige Kilometer entfernt auch in Limburg hält. Montabaur war ein Ausgleich dafür, dass die Trasse nicht über Koblenz geführt werden konnte. Design hat übrigens auch die hessische Stadt zu bieten, wenngleich eher in Sachen Badausstattung und sehr exklusiv am Bischofssitz. Info —Nächste Folge am 15. Mai: die Pfalz. — Bisher in der Serie erschienen: die Mosel (3. April), der Mittelrhein (10. April), der Hunsrück (18. April), die Eifel (24. April) und Rheinhessen (9. Mai).

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