Herxheim Jugendstück „Livename“ über queere Lebensläufe im Chawwerusch-Theater
Das Stück spielt im Jahr 2133. In dieser unfreundlichen Zukunft wird den Menschen kein männliches oder weibliches Geschlecht zugeschrieben, das Erinnern und Erzählen von Vergangenheit ist streng verboten. Drei Jugendliche mit eigentümlichen Namen sind die Protagonisten von „Livename“. EbOy (Miriam Grimm), SpOtty (Svea Kirschmeier) und 4mazin (Stephan Wriecz). Sie wollen vor dem Ende ihrer Ferien noch einmal mit Alkohol kräftig feiern. In einer Sperrzone stoßen sie auf den „See der Geschichte“. Neugierig tauchen sie ab und machen allerlei erstaunliche Entdeckungen. Im Wasser finden sie Fotos, Videos, Texte und Erinnerungsfetzen aus vergangenen Zeiten.
Unter anderem schwemmt der seltsame See die Lebensgeschichte der queeren Pfälzerin Liddy Bancroff an die Oberfläche. Sie wurde 1908 in Ludwigshafen geboren – ein Bub, so dachte man. Doch Liddy, wie sie sich selbst nannte, empfand sich als Frau und wollte ihr eigenes freies Leben führen. In Berlin und Hamburg war sie als Sexarbeiterin tätig, geriet aber immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Genauer gesagt: mit dem Paragraphen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte. Für die Nazis war eine solche Gestalt untragbar: Liddy Bacroff wurde 1943 im KZ Mauthausen ermordet. „Auch in der Pfalz gab es queere Geschichte“, sagt Dramaturgin Monika Kleebauer, „diese Persönlichkeit hat uns fasziniert“.
Was für ein neumodisches Gendergedöns heute?
Neben dieser erschütternden Biografie machen die drei am See viele andere, auch heitere Entdeckungen aus der queeren Welt. Vieles ist für sie unfassbar, aber gleichzeitig spannend und anziehend, denn in ihrem grauen Utopia gibt es weder männlich noch weiblich; solche Unterschiede sind 2133 tabu.
In dem Stück, das für Menschen ab 14 gedacht ist, mischen sich zwei Themenkomplexe: Es geht um Gender, um geschlechtliche Vielfalt, und es geht um den Umgang mit Geschichte. Die fiktive Zukunft soll dazu dienen, unsere heutige Situation zu hinterfragen, erklärt Susanne Schmelcher, die als Gastregisseurin „Livename“ inszeniert hat. Dabei wird ein Stück Vergangenheit auf die Bühne gebracht, das die meisten kaum kennen, die Geschichte marginalisierter Gruppen. „Manche denken, was ist das heute für ein neumodisches Gendergedöns, aber das alles gab es auch früher schon.“
Wie im Bällebad bei Ikea
Ein Blick auf die Probebühne im Chawwerusch-Theater: Die drei Schauspieler tollen ausgelassen herum, es wird gejubelt und gestaunt, geschimpft und geschrien. Der See der Geschichte ist als Bällebad dargestellt, wie im Kinderparadies bei Ikea. Überdimensionale Buchstaben liegen auf dem Boden, die einfachen Kulissen und die Kostüme sind in Lila- und Fliedertönen gehalten - eine wohl bedachte Farbwahl, denn das sind Mischfarben aus rot und blau, aus „Mädchen und Junge“.
„Livename“ ist von Gastautor Frederik Müller eigens für die junge Sparte des Theaters, die Expedition Chawwerusch, geschrieben worden. Die ursprüngliche Idee ist im Jugendclub des Herxheimer Theaters entstanden, als beim Improvisieren das Thema Gender „aufploppte“. Durch Recherchen und weitere Improvisation schälte sich dann die Story heraus, die der Gastautor aufgeschrieben hat.
Bleibt die Frage, was der Titel „Livename“ bedeutet. Als „Deadname“ wird ein Name bezeichnet, den eine Person nicht mehr tragen und hören möchte, erklärt Schmelcher; oft ist das bei Transgender-Menschen der Fall. Die neue Wortschöpfung Livename bezeichnet also einen selbst gewählten, „lebendigen“ Namen.
Termin
„Livename – ein Stück über Gender und Geschichte“ hat am Freitag, 10. Februar, um 20 Uhr Premiere. Weitere Vorstellungen folgen bis 26. Februar. Mehr infos und Kartenvorverkauf unter www.chawwerusch.de.