Rheinpfalz Interview: "Hinter Hochstaplern stecken tragische Schicksale"

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Hochstapler wollen etwas anderes sein, als sie wirklich sind – und bisweilen gehen sie so sehr in der neuen Rolle auf, dass sie selbst nicht mehr wissen, wer sie sind. Was die Täuschung umso wirkungsvoller macht.

Hochstapler verwischen die Grenzen von Wahrheit und Lüge. Indem sie die Erwartungen und Sehnsüchte der Menschen ausnutzen, gaukeln sie vor, jemand anderes zu sein, sagt die Literaturwissenschaftlerin Anett Kollmann.

Frau Kollmann, gestatten: Napoleon Bonaparte. Bin ich ein Hochstapler?

(lacht) Das kommt ganz darauf an, ob Sie sich für Napoleon halten, dann wären Sie wohl eher ein Fall für die Psychiatrie, oder ob Sie sich für ihn ausgeben. Allerdings eignet sich die von Ihnen gewählte Identität nicht, um jemanden zu täuschen, schließlich kennt diese historische Gestalt jeder. Kaiser und Könige passen außerdem nicht in die heutige Zeit. Da müssen Sie schon eine andere Rolle spielen, um glaubwürdig zu sein. Wie wäre es mit einem Scheich, der mit Petrodollars winkt? Ja, das könnte klappen. Die Aussicht auf Reichtum ist eine sehr effektive Motivation, um bei denen, die man täuschen will, jegliche Vorsicht fahren zu lassen. Sie könnten auch die große Liebe heucheln oder als Mediziner Heilung versprechen. Sie müssen starke Gefühle und innige Wünsche ansprechen, um Erfolg zu haben: Gier, Liebe, der Wunsch nach Anerkennung, Macht, so etwas. Das hat in jedem Zeitalter funktioniert. Was macht demnach einen guten Hochstapler aus? Er oder sie hat ein ganz feines Gespür für die Sehnsüchte seines Gegenübers und für die Erwartungen, die es hat. Diese Erwartungen muss man erfüllen. Ich muss also so tun, als würde ich den Menschen geben, was sie wollen? Genau. Dazu müssen Sie erst mal so auftreten, wie Ihr Gegenüber es von Ihrer Figur erwartet. Wenn Sie also beispielsweise begüterten Menschen etwas aus der Tasche ziehen wollen, sollten Sie sich entsprechend wohlhabend geben. Wenn Sie als Adliger wahrgenommen werden wollen, müssen Sie die Verhaltensweisen des Adels kennen. Als Mediziner müssen Sie mit Fachbegriffen um sich werfen. Und so weiter. Hochstapler errichten also eine künstliche Fassade, wie Häuserfronten in einem Film? Weit mehr als das. Viele Hochstapler sind deshalb erfolgreich, weil sie ganz in ihrer Rolle aufgehen, sie füllen die Fassade sozusagen mit Leben. Sie wissen genau, wie ihre Rolle funktioniert, oft haben sie ihre Strategien über Jahre hinweg erprobt und verfeinert. Viele glauben auch tatsächlich irgendwann, das zu sein, was sie eigentlich nur vorgaukeln. Was treibt Hochstapler an: Wollen sie testen, wie weit man beim Täuschen der Mitmenschen gehen kann, wollen sie anderen an die Schatulle, oder geht es ums eigene Prestige? Alles. Wirklich. Es gibt eine ungeheure Bandbreite der Hochstapelei: Diejenigen, die sie aus Jux betreiben. Dann gibt es welche, die damit Gesellschaftskritik verbinden wie die „Yes Men“, die Hochstapelei zur Kunstform erheben. Es gab früher viele Frauen, die sich als Männer ausgaben, um einen als ungerecht empfundenen gesellschaftlichen Nachteil auszugleichen. Und natürlich gibt es den klassischen Hochstapler, der sich vor allem bereichern will. Allen gemeinsam ist, dass sie mit Absicht etwas anderes darstellen, als sie sind, weil sie sich davon einen Vorteil versprechen, und sei es nur, dass ihr Wunsch nach Anerkennung befriedigt wird. Geldgier und Geltungssucht, ist das die charakterliche Grundausstattung eines Hochstaplers? Diese Kombination ist bei den meisten sicher ein wesentliches Motiv. Dazu kommen ausgeprägte Minderwertigkeitsgefühle, fehlendes Mitgefühl, übersteigerte Selbstverliebtheit. Vielen wird eine dissoziale Persönlichkeitsstörung bescheinigt, das bedeutet, dass ihnen soziale Normen und Regeln egal sind. Sie ziehen ihr Ding skrupellos und ohne Unrechtsbewusstsein durch, die Folgen für andere sind ihnen gleich. Das gilt nicht für jeden Einzelfall, aber doch für den Löwenanteil. Hochstapler selbst sehen ihr Tun durchaus anders, als Demaskierung der herrschenden Verhältnisse. „Die Welt will betrogen sein“, hört man oft als Rechtfertigung. Und: will sie? Sagen wir mal so: Zur Hochstapelei gehören immer zwei. Einer, der betrügt, und einer, der sich leichtgläubig betrügen lässt. Das ist jetzt natürlich einfach gesagt, wenn man nicht selbst betroffen ist. Hochstapler sind oft sehr gut darin, andere zu manipulieren, indem sie ihnen etwas Verlockendes bieten, dem diese nicht widerstehen können. Das kann Liebe sein, Geld … … oder einfach eine gute Geschichte. O ja. Menschen hören gerne gute Geschichten, und die von Hochstaplern sind oft sehr gut. Das sollte den Gegenüber aber stutzig machen. Zu gute Geschichten sind immer zu schön, um wahr zu sein. Wie die von dem US-Milliardär, der im genau richtigen Moment groß in den Nürburgring investieren will? Hochstapler kommen oft wie gerufen. Sie ergreifen die Gelegenheit. Nach der Oktoberrevolution 1917 tauchten in Westeuropa viele vorgeblich vertriebene russische Adlige auf, die sich aushalten ließen. Wo Geldsorgen herrschen, klopft auf einmal ein Scheich an. Eine Zeitlang war es unter Hochstaplern in, sich als exotische Prinzessin oder Ähnliches auszugeben, weil die Menschen nach Geschichten aus entlegenen Weltgegenden gierten. Hochstapler verraten immer etwas über die Gesellschaft, der sie entstammen: Was ist zu der Zeit für die Menschen bedeutsam und erstrebenswert? Weil sie keine Konventionen respektieren, setzen sie sich einfach über diese hinweg und machen somit das unmöglich Erscheinende möglich. Da schwingt ein Hauch Bewunderung und Anerkennung mit, was für Bezeichnungen wie Heiratsschwindler oder Betrüger nicht gilt. Als Beobachter erfreuen wir uns an den oft schönen Geschichten und an der Fantasie, an der Raffinesse, die die Hochstapelei ermöglicht haben. Aber nur, so lange es uns nicht selbst betrifft. Sobald unser Geld weg oder unsere Gesundheit gefährdet ist oder wir um die Liebe betrogen sind, sind die Wunden tief. Wo Menschen zu Schaden kommen, hört der Spaß auf und beginnt der schamlose Betrug. Als Beobachter sind wir nicht frei von Häme, gerade wenn das sogenannte Establishment gefoppt wurde. Wenn also ein Anlagebetrüger einige Steuervermeider linkt. Oder wenn es ein Postbote wie Gert Postel durch Geschwafel zum geachteten Psychiater bringt und damit eine ganze Berufsklasse in Erklärungsnot gerät. Der Mann hat sogar eine Fangemeinde. Hochstapler erreichen mitunter Dinge, die zuvor nicht denkbar waren. Und sie erzählen gute Geschichten, daher befriedigen sie auch unsere Schaulust. Zugleich ist Hochstapelei verwerflich, weil sie nicht nur Menschen schädigt, sondern auch das Vertrauen erschüttert, das man Autoritäten entgegenbringt. Hochstapler verwischen sehr gekonnt die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge. Es verunsichert, wenn ich nicht gewiss sein kann, ob der Arzt vor mir auch wirklich einer ist. Oder der Gymnasiallehrer, der in Landau fünf Jahre unterrichtete, ohne ein Studium abgeschlossen zu haben. Oder der Pilot. Oder der Geistliche. Oder der Jurist. Rollen mit hohem sozialem Status und Macht sind bei Hochstaplern sehr beliebt, weil im richtigen Leben solche Positionen für sie meist unerreichbar sind. Das heißt nicht, dass sie in dieser Rolle stets unfähig wären. Aber oft geht auch etwas schief. Daher währen solche Maskeraden nie lange. Die fünf Jahre des Landauer Lehrers sind im Vergleich gar nicht schlecht. Den Rekord hält wohl Thèrése Humbert, eine Bauerstochter, die ab 1881 rund 20 Jahre lang die feine Pariser Gesellschaft narrte. Unter Soziologen gibt es die Theorie, dass wir alle Hochstapler seien, weil wir unseren Gegenübern ständig etwas vormachen würden. Wir spielen alle mehrere, zum Teil ganz verschiedene Rollen und inszenieren uns selbst, aber deshalb sind wir noch lange keine Hochstapler. Was nachweislich zugenommen hat, ist das Hochstapler-Syndrom: Viele Menschen glauben, sie hätten ihre Position nicht eigenem Können zu verdanken, sondern irgendwelchen glücklichen Umständen, und fürchten nun, irgendwann als Hochstapler enttarnt zu werden. Das hat mit den hohen eigenen Ansprüchen zu tun und einem gesellschaftlichen Trend zur Selbstoptimierung. Das ist tragisch. Auch hinter richtigen Hochstaplern stecken tragische Schicksale. Alle eint, dass sie ihr wahres Ich als ungenügend empfinden. Sie wollen dem entfliehen, über sich hinauswachsen. Hochstapelei ist durchaus auch Ausdruck von persönlichem Leid. Aber bemitleiden muss man Hochstapler nicht? Nein. Und auch nicht glorifizieren.

Anett Kollmann ist Biografin, Autorin, Medienwissenschaftlerin und hat einen Doktor in Literaturwissenschaft. Einen echten, wie
Anett Kollmann ist Biografin, Autorin, Medienwissenschaftlerin und hat einen Doktor in Literaturwissenschaft. Einen echten, wie die Berlinerin betont.Anett Kollmann: »Mit fremden Federn. Eine kleine Geschichte der Hochstapelei.«, Hoffmann und Campe, 252 Seiten; 22 Euro.
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