Lokalsport Südpfalz Interview: „Gewalt gibt es wohl von beiden Seiten“ – Andra Ziza über Selbstverteidigung für Frauen

Andra Ziza mit einem Schüler.
Andra Ziza mit einem Schüler.

Andra Ziza (49) aus Hördt ist der Cheftrainer des SKA Rülzheim, zwei seiner Mitstreiter bieten wieder einen Selbstverteidigungskurs nur für Frauen an. Wegschauen kannst du nicht bei Zwischenfällen, sich einmischen ist schwierig, sagt der Kata-Landestrainer. Er ist überzeugt: Selbstsicheren Frauen passiert weniger.

Herr Ziza, waren Sie schon mal Zeuge, wie eine Frau einen Mann angegriffen hat?
Nein, das ist mir bisher weder in der Realität noch in meiner langjährigen Tätigkeit als Karatetrainer passiert.

Warum schlagen Ihrer Meinung nach Männer häufiger zu und Frauen eher selten?
Das entzieht sich meiner Kenntnis. Gewalt gibt es wohl von beiden Seiten.

Was tun Sie, wenn Sie so etwas sehen?
Ich habe eine Situation erlebt, ich wollte gerade ins Training. Ich parkte mein Auto und begrüßte meinen Kollegen, der auch gerade kam. Wir bemerkten einen lautstarken Streit auf der anderen Straßenseite. Ein Mann schrie seine Frau oder Freundin an. Als sie zurückschrie, hat er ihr eine Ohrfeige gegeben. Daraufhin schrie ich über die Straße, dass er aufhören soll. Der Mann schaute zu uns herüber und kam auf uns zu. Ich sagte ihm, er soll sich beruhigen. Er wurde auch ruhig. Dann fragte die Frau, was uns das überhaupt anginge. Aufgrund solcher Situationen ist es ganz schwierig, auch bei den Selbstverteidigungskursen: Wie gehe ich damit um? Erkläre ich den Teilnehmern, sie sollen sich einmischen oder nicht einmischen? Wichtig ist: Wegschauen kannst du auch nicht. Irgendwas musst du schon machen. Jeder Teilnehmer hat natürlich eine andere Intention. Einige wurden schon angegriffen, andere finden es bedrohlich, durch die Stadt zu gehen und möchten vorbeugen. Und dann gibt es Teilnehmer, die ihr eigenes Selbstbewusstsein stärken möchten.

Verstehen Sie die Frau?
Nein. Ich habe von einer Frau gehört, die fast täglich verprügelt wurde. Täglich! Wir gingen an solch einem Tag mal vorbei und redeten mit dem Mann, der dann auch aufgehört hatte. Am nächsten Morgen jedoch war die Frau blau und grün. Und wenn du sie gefragt hattest, war ihre Antwort: alles in Ordnung, alles gut. Zehn Jahre später waren die beiden immer noch zusammen. Das kannst du nicht verstehen. Natürlich gibt es noch mehr Fälle, die ich persönlich erlebt habe.

Berühmte Frauen, die in die Öffentlichkeit gegangen sind (Me too), haben die Grundstimmung verändert. Wird das Ihr letzter Kurs sein, weil die Männer sich künftig nicht mehr trauen, Frauen für ihre Zwecke zu verwenden?
Ich glaube nicht. Außerdem finde ich es ziemlich bedenklich, alle Männer über einen Kamm zu scheren. Bestimmt gibt es Männer, die versuchen, Frauen für ihre Zwecke zu verwenden. Wobei ich diese Ausdrucksweise schon nicht gut finde. Aber der Großteil der Männer zollt den Frauen Respekt. Im umgekehrten Sinne gibt es sicher auch Frauen, die versuchen, Männer für ihre Zwecke zu verwenden.

Es wird also nicht so sein, dass Männer sich nicht mehr trauen, gewalttätig gegen Frauen zu sein, weil sie Konsequenzen fürchten?
Es wird immer Männer geben, die „Me too“ oder solche Bewegungen wenig interessiert. Ich denke, wenn eine Frau selbstsicher ist, passiert ihr weniger. Wir haben nach unseren Kursen das Feedback bekommen, dass die Frauen sich sicherer fühlen, weil sie wissen, wie sie sich am besten verhalten und sich im Notfall auch wehren können. Wenn die Frauen stärker sind, kann es passieren, dass Gewalt gegen sie weniger wird. Der Angreifer sucht sich ja immer ein leichtes Opfer aus.

Wäre es nicht klüger, eine Frau den Kurs leiten zu lassen?
Das ist sicher nicht verkehrt, allerdings haben wir aktuell keine Frau, die solche Kurse leiten könnte. Deshalb bieten wir getrennte Kurse an, damit die Hemmschwelle zur Teilnahme an einem Kurs niedrig ist. Frauen unter sich und Männer unter sich fühlen sich wohler.

Jede dritte Frau in Deutschland hat physische Gewalt erlitten, jede siebte sexuellen Missbrauch. Das hat eine Studie ergeben. Sie bieten dagegen „Verteidige dich!“ an. Wie viele Mädchen und Frauen haben Ihnen und ihren Mitstreitern schon gedankt, weil sie aus einer schwierigen Situation gekommen sind?
Eine Rückmeldung in diesem Sinne gab es noch nicht. Wir haben aber viele Frauen, die an weiteren Kursen teilnehmen. Dies zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Volker Albrecht und Markus Schmock haben die Leitung der Kurse übernommen. Beide haben den 3. Dan im Shotokan-Karate und die Ausbildung zum Trainer für Selbstverteidigung nach dem Qualitätsstandard der Polizei in Baden-Württemberg erfolgreich abgeschlossen. Sie bereiten sich intensiv vor, um auch Leuten, die mehrmals teilnehmen, eine Weiterbildung und Abwechslung zu bieten. In den Kursen wird Theorie und Praxis vermittelt.

Auch Sie haben eine spezielle Ausbildung als Gewaltschutztrainer, gemäß Qualitätsstandard der Polizei, absolviert. Was ist der Standard der Polizei?
Kinder in den Schulen dürfen keine Selbstverteidigung machen, dann würden wir damit nur Prügeleien auf dem Schulhof provozieren. Gewaltprävention für kleine Kinder heißt, sie stark, selbstbewusst zu machen. Wir versuchen zu vermitteln, wie sie gefährlichen Situationen ausweichen oder gefährliche Situationen abwenden können. Außerdem, dass Schutzbedürftigen, denn es sind ja immer die Schwachen, die angegriffen oder gemobbt werden, geholfen werden kann. Ich wünsche mir bei jedem Kurs, den ich anbiete, das Verständnis der Kinder für Schwächere zu wecken und zu vermitteln, dass jeder Mensch Respekt verdient. Das ist auch der Standard der Polizei.

Sie tragen den 5. Dan und sind Landestrainer Kata Schüler. Haben Sie Vorbilder?
Sensei Carlo Fugazza, ein Karate-Meister aus Italien, und Sensei Alessandro Cardinale. Cardinale ist Nationaltrainer, Fugazza war Nationaltrainer. Mir gefällt ihre Art, Karate zu lehren, die Technik, Perfektion, die Konzentration und der Respekt. Alle diese Aspekte leben diese Trainer auch in ihrem täglichen Leben.

Sind Sie Italiener?
Nein, ich bin Marokkaner.

Gibt es auch Kurse gegen psychische Gewalt?
Psychische Gewalt sollte erst erfolgreich von einem Psychologen behandelt werden. Uns fehlt die Ausbildung dazu. Psychische und körperliche Gewalt sind zwei völlig verschiedene Dinge, wobei körperliche Gewalt sicher auch psychische Schäden hinterlässt.

Zur Sache

Verteidige dich!“ ist ein Selbstverteidigungskurs für Frauen ab 16 Jahren, den der SKA Rülzheim am 30. Oktober (18 bis 21 Uhr) und 31. Oktober (9 bis 14 Uhr) in der Sporthalle der IGS Rülzheim anbietet. Kursgebühr: 50 Euro. Anmeldeschluss ist am 20. Oktober. Nähere Infos unter ska-ruelzheim.de.

Jede dritte Frau kennt physische Gewalt aus eigener Erfahrung.
Jede dritte Frau kennt physische Gewalt aus eigener Erfahrung.
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