Rheinpfalz Im Abenteuerland

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Wir sind Familie: Eine Kita, ein Freigelände, eine Vision: Eine Spiellandschaft soll her, naturnah. Dafür müssen alle in die Hände spucken, Kinder, Eltern, Erzieher. Und ein Verein namens Naturspur. Bericht von einer nicht alltäglichen Baustelle.

Will jemand etwas bauen, etwas Neues, Großes, sind drei Menschen ganz besonders wichtig: derjenige mit dem Plan. Derjenige mit dem Bagger. Und derjenige mit dem Kies, der alles blecht. Derjenige mit dem Bagger heißt Stefan. Natürlich nicht nur, er hat auch einen Nachnamen. Aber hier auf der Baustelle im Hof der protestantischen Kita „Rappelkiste“ in Schifferstadt ist das nicht so wichtig. Wäre auch irgendwie albern. Man stelle sich nur vor, ein Mitstreiter ruft: „Herr Isselhard, heben Sie doch bitte mit dem Bagger die Steine weg.“ Was ein Quatsch. Viel einfacher ist doch: „Schdefan, schieb’ emol des G’lumps do fort.“ Und die Beer is g’schält. Stefan also, der Mann mit dem Bagger, ist gerade bemüht, Baumstämme in ihre korrekte Position zu hieven. Wo das ist, weiß wiederum der Mann mit dem Plan: der Frank. Frank, der Baumeister, so in der Art. Frank Kief, um korrekt zu sein. Was, wie erwähnt, wenig Bedeutung hat an einem Ort, an dem so hingebungsvoll geschafft wird: Bruchsteine setzen, Baumstämme schälen. Bohren, graben, schrauben, sägen, schubkärcheln. Ein Freigelände wird umgekrempelt. Komplett. „Naturnah“ gestaltet, wie es so schön heißt. Kein Stein bleibt auf dem anderen, keine Latte am Zaun. Was war, muss weichen. Oder wachsen in eine neue Form. 1400 Quadratmeter für die mehr als 100 Kita-Kinder, Hügel und Hindernisse, Steintreppen und Kriechgänge, Matschspielplatz und Wackelbrücken, Verstecke und Treffpunkte, Rutschen, Schaukeln, Seile, Sand. Ein „Zwergendorf“ für die Kleinen, ein Kletterparcours für die Großen. Ein ... – was ein Glück, dass der Frank den Plan hat. Man verlöre den Überblick. Apropos Überblick: Mal nachzählen. Mensch mit Bagger: da. Mensch mit Plan: da. Fehlt nur ... „Was määnsch, wie dief solle ma des Loch do noch mache: Reiche fuffzisch ned?“ Die Dame, die da buddelt und nun etwas ungeduldig fragt, hat die Ärmel hochgekrempelt, den Spaten in der Hand, Schweiß auf der Stirn und einen zu allem entschlossenen Blick. Doch, sicher, klaro, 50 Zentimeter reichen. Massig. Wäre jetzt auch keine gute Zeit für Widerworte. Das ist die Dame mit dem Kies. Nummer drei auf der Liste der wichtigsten Persönlichkeiten. Bärbel Gütter ist Leiterin der Rappelkiste, Wächterin des Geldes. Wird das Loch halt vertieft, sobald sie davongestapft ist. Das gehört im weitesten Sinn ja zum Ziel des Umbaus: Dass alle zufrieden sind, Erbauer und Bespieler. Dass sie etwas schaffen, zusammen. „Zsamme bresch glei isch“, ertönt eine Stimme. Alles muss raus, auch die Betonpalisade. „Do kummt die Sunn“, murmelt einer vor sich hin. Aber eine Schorle hat sie nicht dabei. „Kreizfeierdunnerwetter, welcher Simpel hot dann des do mol bedoniert? War des für de nächschde Krieg gedenkt? Andreas, Mustafa, helft ma mol.“ Szenenwechsel. Auf dem Vereinsgelände von Naturspur in Otterstadt, der „Naturei“, ist nichts betoniert – und nichts ist gerade. Rechte Winkel sind seltener als Elwetrittsche bei der Anilin. Krumme Baumstämme recken sich in den Himmel, verbunden durch Seile, Äste und andere Kletterhilfen. Wildbewachsene Hügel, Sandsteinstufen, Holzhütten. Als hätte es sich Robinson Crusoe in einer verlassenen Sandgrube gemütlich gemacht, und würde abends seine eigenen Feldfrüchte über dem Lagerfeuer brutzeln, wobei er bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich nimmt. Wer hierher kommt, ins Reich des Ungenormten, fühlt sich unwillkürlich wohl. Ein Ort, an dem man einfach man selbst sein kann. Man kann sich vorstellen, wie Kinder das hier empfinden müssen: als Explosion von Sinneseindrücken. Es zirpt und summt, es raschelt und klackert. Steine, Gräser, Sand, Rinde, Wurzeln, Wasser, Erde. So viele Ecken, Plätze, Geheimnisse. So viel zu entdecken. So viel auszuprobieren. Wie komme ich von A nach B? Mit dem Seil schwingen? Den Weg außenrum nehmen auf der Wackelbrücke? Über die Steine hüpfen? Oder doch lieber auf allen vieren krabbeln? Gepfiffen auf die guten Hosen. Man würde ja selbst gerne ... Zurück in der „Rappelkiste“ in Schifferstadt, die erst mal großflächig abgeräumt wird. Nicht aus einer Laune heraus, weil „naturnah“ gerade in Mode sei, sagt Kita-Leiterin Bärbel Gütter. Sondern weil das alte Spielgerät nach mehr als 20 Jahren schlicht am Ende war. Und weil es für die Knirpse, behördlich die „unter Zweijährigen“, noch nichts Altersgerechtes gab. Wenn neu, dann bitte so natürlich wie möglich, findet die Päda-gogin, die Kinder erlebt, die „öfter im Museum waren als im Wald“. Die brauchen nach Überzeugung der Kita-Chefin ein Gelände, das der Fantasie Raum lässt und erobert werden will – sofern es sich erobern lässt. Konzipiert ist eine Naturspur-Landschaft zwar für verschiedene Altersklassen. Doch sie stellt ungeahnte Herausforderungen (auch für die Erbauer, Anm. d. Red.). Erst wer körperlich und motorisch dazu in der Lage ist, kann sich den nächsten Bereich erschließen. Die Logik dahinter: Kann ein Kleinkind seinem Bereich entfleuchen, ist das keine Katastrophe, sondern der Zwerg ist dann reif für das nächste Abenteuer. „Die Anlagen werden nicht langweilig“, sagt Naturspur-Vordenkerin Petra Moser. Im Gegenteil: Die Landschaften verändern sich, passen sich unterschiedlichen Bedürfnissen an: „Wir wollen die Einrichtungen begleiten. Es gibt stets was neu zu machen. Unsere Gelände sind nie fertig.“ Manche Helfer sind es dagegen umso mehr. Schippen, graben, wuchten, schleppen – der Vierklang geht in die Knochen. Doch ohne sie, die ehrenamtlich Freiwilligen, lassen sich die Pläne nicht umsetzen. Sie wären entweder zu teuer. Oder sie würden gar nicht erst angegangen. Denn „die Neugestaltung soll ein Gemeinschaftsprojekt sein“, betont Petra Moser, „von allen getragen“. Dazu gehört, dass alle tragen. Sie und ihre Mitstreiter erhoffen sich dadurch einen Mehrwert für das soziale Leben in der jeweiligen Einrichtung. Es soll sich aus dem gemeinsamen Planen und Bauen etwas entwickeln, das über Steine und Holz hinausgeht. Darum werden die Kinder eingebunden, schließlich wissen die am besten, was ihnen Spaß macht und was sie gerne hätten. In einer Planungswerkstatt dürfen sie ihre Ideen selbst bauen, als kleine Modelle. Auch die Erzieher haben Wünsche, die Eltern ebenfalls. Dies alles wird von Naturspur in einen Plan gegossen, der an einem Elternabend besprochen wird. Mooooment! Und was ist mit der Kohle? Das Rappelkisten-Projekt kostet immerhin 90.000 Euro. Das ist das dickste Brett, das es zu bohren gilt, neben dem Gang durch die Verwaltungsinstanzen und Ausschüsse: das Spendensammeln. Bittbriefe schreiben. Klinken putzen. Die Rappelkiste gestaltete ein Kochbuch mit Rezepten aus der Kita-Küche, die Erzieher studierten ein Theaterstück ein. Schließlich stimmte der Schifferstadter Rat einem Zuschuss in Höhe von maximal 50.000 Euro zu – der Umbau konnte beginnen. Fast zwei Jahre dauerte es. Kinder, die mitgeplant hatten, sind bereits in der Schule. Aber so ein Arbeitseinsatz ist ja auch immer eine Art Investition in zukünftige Kindergartengenerationen. Ein Trost, auch wenn der Rücken schmerzt. Säße man doch in Stefans Bagger. „Passiert leider öfter, dass ein Projekt länger dauert“, bedauert Frank, der Mann mit dem Plan. „Dafür ist jeder Spielplatz ein Unikat, nichts von der Stange.“ Sein Lächeln ist mutmachend, seine Virtuosität im Umgang mit der Motorsäge beeindruckend. Frank ist Naturspurler, Sozialpädagoge und freiberuflicher Handwerker. Wie die anderen Mitglieder des Bautrupps wird er vom Verein für bestimmte Projekte gebucht und bezahlt. Allein davon leben könnte er nicht. Aber es sei eine „Arbeit, die Spaß macht mit Menschen, mit denen es Spaß macht“, sagt er. Wieder so ein Mehrwert, der über das Klettergerüst aus entrindeten Baumstämmen hinausreicht, das er gerade mit anderen zusammenfügt. „Robinie“, erklärt Frank. Dicht, schwer, äußerst robust. Hält Jahrzehnte, die Robinie. Kommt aus der Region. Und das Beste: Ist für die Industrie wegen ihrer Wuchsform vergleichsweise unattraktiv und daher günstig. „Wir nehmen nur natürliches Material, keinen Beton. Ist ökologisch und man hat später kein Entsorgungsproblem“, sagt Frank. Lässt sich auch leicht wieder ausgraben. Gepriesen sei die Robinie. Und jeder, der mit ihr plant. Außerdem sehe Naturmaterial doch auch schön aus, findet Frank. Ästhetisch. Vor allem: Es schärft die Sinne. Wie Studien von Bewegungstherapeuten zeigen, gehen Kinder mit einer natürlich anmutenden Umgebung anders um, vorsichtiger, alle Sinne einsetzend, sich erst einen Überblick verschaffend. „Man denkt immer: Weiß Gott, was da passieren kann“, sagt Petra Moser. Das Gegenteil ist der Fall: Es passiere viel weniger als auf nüchternen Spielflächen. Die Rückmeldung vieler Einrichtungen sei denn auch: Die Kinder sind fitter, weil sie sich mehr anstrengen müssen. So ist’s recht. Sollen ja nicht nur die Eltern abends müde sein. Folgerichtig sehen die Unfallkassen es mit Freude, wenn „naturnah“ umgestaltet wird. „Bewegungsmangel ist heute schon bei Kindergartenkindern ein weit verbreitetes Phänomen. Die daraus resultierenden motorischen wie sensorischen Defizite gefährden nicht nur die Gesundheit der Kinder, sie sind auch Mitursache für viele Unfälle“, heißt es bei der Gesetzlichen Unfallversicherung. Na, dann. Endlich rumpelt Stefan heran, Frank hat den Plan ausgeklappt, Bärbel notiert die Helferstunden. Knapp 500 sind es bisher. Bis alles fertig ist, nach einer längeren Pause vermutlich im kommenden Frühjahr, werden es noch mal 500 werden. Alla hopp. Wer baggert da so spät noch am Baggerloch? Es ist der Stefan mit dem Bagger und er baggert noch.

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